Treuversprechen als Fortsetzung von Teil 1
How are you, liebe Blog-Gemeinde?
Haben Sie den ersten Teil meiner Linkserfahrung im Königreich gut verdaut? Okay, dann widmen wir uns in diesem Teil nun abschließend einmal mehr den JA-Sagern. Ja kann man gar nicht oft genug sagen, bei der Frage nach einer weiteren Grillwurst oder nach einem weiteren Bier, ob man daran gedacht hat, auf der richtigen Straßenseite zu fahren oder – als Antwort auf diese eine Frage, ob man sein Leben in guten wie in schlechten Zeiten an der Seite des Anderen verbringen will. Doch dazu kommen wir ein bisschen später, wenn es linkslinkslinkslinkslinks! in Richtung des alten Vineyards geht. Zunächst möchte nach einer kurzen Nacht ein echtes Englisches Frühstück vertilgt werden, damit der rechts sitzende Fahrer auch genügend Kraft für die Weiterfahrt im knuffigen Citroen C3 hat. Echt Englisch. Sie ahnen schon…
Berühmt sind sie, die Briten. Aber nicht für ihr Essen.
Es stammt historisch wohl aus den ärmeren Vierteln der Landarbeiter und Docker, das über die Grenzen der Insel hinaus bekannt Kombinat aus kleinen, pikanten Würstchen, Champignons, Speck, Rührei und weißen Bohnen in einer Art lauwarmem Tomatensud. Dazu reicht man Toast, Orangenmarmelade und eine braune, malzige Sauce. Mein halbfinnisches Fräulein Altona empfiehlt mir lächelnd, zumindest die Bohnen zunächst in einem extra Schälchen servieren zu lassen, damit sie mir nicht das ganze Essen verderben. Ich bin sehr gespannt. Der indische Frühstückskneipenwirt, bei dem wir im londoner Morgensonnenschein platznehmen, füllt gut gelaunt den Tisch mit den bestellten Nahrungsmitteln. Wenn wir mal ehrlich sind, klingt die Zusammenstellung nach einer lustigen Grillparty, also eigentlich gar nicht so schlecht. Aber… es ist 9.00 Uhr A.M. Das ist das Problem. Will ein deutscher Magen diese kulinarischen Ergüsse so früh schon annehmen? Ja (da ist es wieder!), er will. Das Frühstück schmeckt erstaunlich gut, ich lasse lediglich die Orangenmarmelade weg, aber das hat andere Gründe. Test bestanden.
Schöne englische Countryside. Unter einem unerwartet blauen Himmel rollen wir nordöstlich von London in Richtung des Vineyards, wo um 13.00 Uhr der englisch-finnische Cousin meiner hübschen, deutsch-finnischen Begleitung seine englische Partnerin zu ehelichen gedenkt. „Linkslinkslinkslinkslinks!!!“ Ach ja. Aber auch sonst wird der Trip alles andere als langweilig. Mein Schatz skippt gern die Radiosender. Vermutlich wird bei der Abgabe des Autos morgen die einzige Beanstandung ein völlig abgegriffener Sendersuchlaufknopf sein. Aber mal ehrlich, haben Sie im Radio schon einmal „Turning Japanese“ von den Vapors gehört? Im RADIO, betone ich? Nein. So etwas geht nur im Königreich, die Musikauswahl ist einfach unglaublich. Laut mitsingend (und in alten Guitar Hero Zeiten schwelgend) rollen wir mit ausgereiztem Soundsystem auf den Parkplatz des Old Red Lion Inn – und parken direkt vor unserer Zimmertür. Klasse.
Thommy! Joanna! Was seid ihr für ein hübsches Paar! Der Bräutigam hat sich noch vor dem Erscheinen der Braut erfolgreich Mut angetrunken, und in einer langen, ergreifenden Zeremonie des Standesbeamten müssen beide abwechselnd die Litanei des Vertrauens und des Zusammenhaltens nachsprechen. Die Dame immer nach dem Herren, damit sie historisch gesehen noch die Möglichkeit hat, nein zu sagen. Was sie nicht tut. Wie wird mir? Ich kenne die beiden noch gar nicht, und mir kullern Tränen aus den Augen. Die englische Ansprache des Zeremonienmeisters ist doch irgendwie eine ganz andere Nummer als der trockene Beamtentext in den spießigen Säälen deutscher Standesämter. Nun sind sie husband und wife. Ich schiele verlegen die schöne Frau rechts von mir an, finde sie bezaubernder als je zuvor und mache mir ein paar ganz heimliche Gedanken… aber das wird eine ganz andere Geschichte.
Hier auf dem Land beginnt man früh und legt eine vordefinierte Schlusszeit fest. 00.45 Uhr soll Ende sein! Den Raum dazwischen füllt man klassisch 🙂 Das gute Wetter und die Schönheit der Landschaft um uns herum lassen jedes (kalte) Pint noch ein bisschen besser schmecken, und ich trinke mich völkerverständigend durch so sagenhafte Namen wie Eagle, Bombardier und Guinness. Umringt von fröhlichen Finnen, Engländern und Australiern wühle ich mich ganz anständig durch mein Schulenglisch und beantworte höflich und uninformiert Fragen zu unserer Fußballnationalmannschaft. Nebenbei versuche ich, das nicht ganz ernst gemeinte (aber immer wieder laut ausgesprochene) „you fucking German!“ von Thommys Bruder Christopher umzupolen… Ein bisschen Zeit habe ich ja noch.
Und erneut überrascht mich das Essen. Sowohl das Dinner im Salon als auch das Mitternachtsbuffet entlang der Tanzfläche sind von einer ausnehmenden Köstlichkeit! Hat das etwas mit dem finnischen Einfluss zu tun, oder muss ich alle meine gesammelten Vorurteile tatsächlich noch einmal überdenken? Draußen auf dem Hof werden Zigarren geraucht, drinnen wird getanzt, gelacht und gegessen. Die Bar teilt reichlich Pints aus – die man hier lustigerweise selbst bezahlt. Ich zünde mir inmitten des illustren Trubels ein Pfeifchen an und schmauche, Holmes-like, glücklich vor mich hin. Und ich werde den Satz von Thommy nie vergessen: „Well, since I saw you smoking that pipe… I think you are family.“ Was gibt es herzlicheres, als in eine Familie aufgenommen zu werden, die man bis gestern noch gar nicht kannte? Sehr, sehr glücklich schlafen wir um Punkt 00.45 Uhr in unserem kleinen Zimmerchen mit Blick auf die Wiese ein. Draußen schnaubt ein Pferd, und irgendwo ruft ein Käuzchen…
Bevor es am nächsten Morgen in die grobe Richtung London Heathrow zurück geht, frühstücken wir noch zusammen mit dem jungen Brautpaar in der warmen Sonne. Die vergangenen Stunden haben noch lange nicht meinen Kopf erreicht, also gucke ich mir stumpf den alten Opel des Bräutigams an.
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Sollte ich mir auf den Straßen des Königreichs jemals Sorgen über die Rückspiegel gemacht haben, erhalte ich hier Absolution! An diesem Vauxhall Cavalier (ein Opel Vectra) sind einfach … äh … gar keine mehr dran 🙂 Klasse.
Es ist noch ein bisschen Zeit, bis der knuffige kleine Benzinschlucker wieder abgegeben werden muss, und so führt unser Rückweg durchs schöne Cambridge. Sitz der einzigartigen Eliteuniversität und ähnlich gestrickt wie fast alle anderen Städtchen hier auch. Lange Straßen, gesäumt von kleinen bunten Geschäften, Pinguin-Wäschereien und Pubs. Läden mit gebrauchten Platten, Gitarren und Spielekonsolen wechseln sich ab mit indischen Futterkisten, alles ist durchwebt mit jungen Menschen jedweiliger Herkunft und Muttersprache. Überhaupt herrscht hier eine etwas größere Entspannung als im quirligen London. So sind sie, die Studenten… Wir passen uns dem an und holen uns auf der riesigen grasbewachsenen Parkfläche im Zentrum einen zünftigen Sonnenbrand. Im eigentlich so verregneten England. Verrückt, oder?
Unter dem immer noch erstaunlich blauen Himmel wirken die typischen englischen Vorstadtstraßen und ihre kleinen Erkerhäuschen mit den vielen Schornsteinen wie aus einem Märchen. Hier hat jedes einzelne Zimmerchen einen kleinen Kamin!
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Telefonzellen. Habe ich doch gerade bei mir zu Hause in Deutschland ein Telefonzellenendlager fotografiert, stehen sie hier noch überall rum. Groß und rot, wie im Englischbuch in der 6. Klasse. Wie lange wohl noch, bis die Handygeneration sie auch hier überholt hat?
Auch die englischsten Tage gehen spätestens in dem Moment zu Ende, wenn man den Mietwagen wieder volltankt. Linkslinkslinkslinkslinks! Nicht auf den letzten Meilen nun noch irgendwelche Kratzer in den Lack linksen, die bei der Abholung noch nicht vorhanden waren! Nicht vorhanden ist auch der Tankdeckel unter der Klappe. Aha? Wo ist der hin? Seltsam. Egal, auch der abgegriffene Sendersuchlauf-Knopf geht durch die Endabnahme beim freundlichen Inder, und wir rennen mehr als wir laufen zu den Terminals… Und natürlich hat Hille uns vor den langen Schlangen auf der englischen Seite der Flugverbindung gewarnt, man nehme hier die Sicherheitsbestimmungen ein bisschen genauer. Und natürlich stehen wir in dieser Schlange quälend lange an, weil von den 12 Schaltern hier genau ein einziger geöffnet hat. Aber wie schon das gute Omen in Form eines umgekippten Orangensafts eine schöne Reise eingeläutet hat, so läutet eine exklusive Platzvergabe im Flieger direkt vor dem Notausgang eine schöne Reise auch wieder aus. Erstmalig kann ich in einem Flugzeug die Beine ausstrecken. Ob ich mal probiere, wie so ein Emergency-Exit entriegelt wird, damit ich es nach einem Absturz auch wirklich hinbekomme…?
Nicht lange nach dem Start muss ich ihr versprechen, ab jetzt keine Ich-sitze-vorm-Notausgang-Witze mehr zu reißen… Dieses Versprechen wird wiederum belohnt mit einem kühlen holländischen Bier plus Kräcker vom Kabinenpersonal, das beschlossen hat, ab morgen schon wieder zu streiken. Aber wen interessiert morgen? In einer langen Kurve kreist der Silbervogel der 500-Millionen-Euro-Verlust-Airline über die Stadt, die ich lieben gelernt habe. Ich möchte auf jeden Fall bald wiederkommen, und eine Einladung von dem frisch vermählten Vauxhallfahrer haben wir schon in der Tasche! Ich konnte hier vor Ort mit den meisten Vorurteilen aufräumen. Man isst hier keine Quallen, und das, was man isst ist eigentlich ganz lecker. Das Wetter soll manchmal nicht so schön sein, aber Schleswig-Holstein ist auch keine meteorologische Karibik. Und alle sind unglaublich freundlich. Hey Great Britain – I really like you! Und nun geht es wieder zurück in den Alltag mit Geschichten von einem, der auszog, ein dickes altes Auto zu fahren… Warten Sie. Ich muss noch die Zeit verstellen…
Sandmann