Ay Gemeinde,
die Zeiten, in denen Christo süffisant schmunzelnd seidene Stoffbahnen über monumentale Gebäude geworfen hat, scheinen vorbei. Heute, in Zeiten des Euro und der allgemeinen Geldlosigkeit, ist man bescheidener. So sind es auch weniger die gewaltigen Dimensionen eines spaßig verkleideten Reichstages, die am Hafen von Saint-Tropez dem Spaziergänger ins Auge fallen, als mehr die unscheinbaren Stoffgaragen, einzig zum Zwecke erschaffen, den bösen Regen vom Blech fern zu halten. Denn Blech rostet bekanntlich, mal abgesehen vom verzinkten Stahl meines Audi V8. Warum spannt nun ein ortsansässiger Franzose ein farbanfrohes Deckchen über die vier Räder seines Fortbewegungsmittels? Vermutlich, weil er sich keine eigene Garage leisten kann. Oder liege ich in der zu Grunde gelegten Preisklasse womöglich falsch?
Schauen wir uns die Objekte einmal an.
Gleich zu Beginn der Bestandsaufnahme passieren wir eine gut gespannte, geniale Gattung jener Faltfetzen, von denen man annehmen mag, dass sie ganz sicher von hochbezahlten irischen Adelskindern unter Wasser mundgewebt und anschließend in reine Naturfarben getaucht wurden. Die Gesamterscheinung scheint regelrecht mit der Umgebung zu verschmelzen. Sie schreit förmlich nach einem dezenten Übersehenwerden. Anmutig treten die Konturen des Autowagens unter der Hülle hervor, hier scheint wirklich alles zu sitzen. Manch weitgereistes weiblich Wesen wäre entzückt, würden ihre Oberteilchen immer so gut sitzen.
Was genau verbirgt sich unter den zahlreichen zauberhaften Ziehfalten genau? Kenner erahnen eine verspielt umwebte Kühlerfigur und schließen spontan einen Toyota Corolla aus. Weitere Anhaltspunkte mögen beiläufig die filigranen Initialien des Besitzers geben, die an der angenommenen Vorderseite aufgehäkelt wurden. Reinhold Runge? Rüdiger Rümmel? Raoul Rotier? Hier können wir nur spekulieren. Ich denke, unter diesem Kleidchen könnte sich ein Fahrzeug verbergen, welches gern Understatement verströmt und sich deshalb bescheiden in ein Eckchen drückt. Lediglich bekleidet mit dem kleinen Schwarzen. Wie angenehm.
Vielleicht werden wir hier ein wenig konkreter.
Ein lieblos plazierter Sack outet den Besitzer dieses geparkten Fahrzeugs in meinen Augen als Aldi-Kunden. Wer seinen Einkauf schon in billige Plastiktüten stopft, von dem kann man mitnichten eine eigene Garage erwarten. Vermutlich spielte auch ein gewisser Zeitdruck eine Rolle beim Überwerfen der weißen wulstigen Warenhaushülle, die Nähte sitzen schlecht, sind nicht richtig gerade gezogen und bescheren dem Auto einen Arsch wie einem übergewichtigen Teenager in Lidl-Hosen. Alles guckt unten raus, man ahnt die Falten und die Zellulite wird nur sporadisch überdeckt. Nein, nein. Gehen wir in diesem Fall einmal dichter heran.
Ich wage, was ich bei besagter Hosenträgerin niemals wagen würde: Ich gucke ein wenig unter die Hülle. Und der erste Eindruck verstärkt sich noch! Billige Radkappen aus dem Baumarkt mit einem oberpeinlichen Stierwappen in der Mitte, dazu hat jemand noch mit einem Edding was italienisches auf die Bremsbacken gekrakelt. Ich bitte Sie, da hört doch wirklich alles auf. Unsereiner muss in der letzten Ecke des öffentlichen Parkplatzes schimmeln, während hier der heimlich hortende Hinterhofadel seine Rostlauben abgedeckt mit einer Mülltüte vor dem Hafenbecken entsorgen kann. Die Stoßdämpfer sind auch kaputt, das ganze Mobil liegt nahezu auf dem Boden. Aber Armut findet sich offensichtlich überall, sogar im Hafen von Saint Tropez.
Einen Versuch habe ich noch.
Der letzte vorläufig verhalten verhüllte Autowagen scheint sich nicht entscheiden zu können, ob er mehr aus Motorhaube oder aus Fahrerkabine besteht. Man kann es auch nicht so richtig erahnen, ist doch seine jutebeutelgleiche Blisterhülle derart straff um die runden Ecken gezurrt, dass man ihn regelrecht erstickend pfeiffen hört. So etwas sagt wiederum einiges über den Besitzer aus. Hat er etwas zu verbergen? Ist der letztendlich leidgeplagte Lack schlecht, womöglich voller peinlicher Kratzer? Oder gar mit Aufklebern aus Bad Harzburg und Goslar verziert? Versteckt sich hier ein Mazda MX5, der schon immer ein wenig mehr sein wollte?
Wir sehen den Frankreich-Touristen endgültig ratlos. Da im Inneren der zahlreich vorhandenen angrenzenden Mobile-Homes eine Vielzahl von maulkorblosen monoton murrenden Pitbulls randaliert, als ich mich näher als 30 Zentimeter an das hellgrau betuchte Vierrad wage, scheint ein Lupfen des Röckchens in unerreichbare Ferne gerückt. Schade. Verschmitzt schielt eine kleine Felge frech unter dem Faltdach hervor, als wollte sie mich verhohnepiepeln. Südfrankreich steckt voller Rätsel. Einige davon in der nicht nachvollziehbaren Verkehrsplanung der Küstenstraßen verankert, und einige unter mehr oder weniger preiswerten, gespannten Hüllen begraben.
Oder sind diese Autos gar alles Erlkönige? Was sagen Sie?
Spannmann