Lieber Holger,
da suche ich zwischen meinen alten Songtexten nach vergangenen Traurigkeiten und finde einen lange vergessenen Zeitungsartikel. Alt ist er, vergilbt. Der Klebstoff, mit dem ich ihn damals in mein Büchlein geklebt habe, kommt schon von unten durch. Eine Zeitung, die es nicht mehr gibt, schreibt da von dir. Und es kommen die Bilder zurück in meinen Kopf. Ich sehe auf die Datumsanzeige meiner Uhr. Es ist heute über 21 Jahre her, dass du dich in Uelzen, unserer gemeinsamen Heimatstadt, in dein neues Auto gesetzt hast. Auf nach Schleswig-Holstein! Du wolltest dich in der Gegend rumtreiben und mich besuchen, deinen alten Freund aus der Grundschule. Unterwegs hattest du noch ein bisschen gefeiert und neue Leute kennen gelernt. Du bist nie bei mir angekommen.
Du alter Kasper!
Wir saßen an unserem ersten Schultag nebeneinander auf diesen kleinen, braunen Stühlen und trieben unsere Klassenlehrerin Frau Rehberg in den Wahnsinn (weißt du das noch?). Es schien ziemlich aussichtslos, neben dir witzig zu sein. Weil du einfach immer noch ein bisschen witziger warst. Ich zeichnete Comics, aber du auch. Wir waren ständig in die gleichen Mädchen verliebt. Kennst du noch Claudia aus Uelzen? Als gut ausgebildete YPS-Geheimagenten sprachen wir auf dem Schulhof über sie immer nur von „Objekt“. Heute bekäme man dafür Ärger, weil’s nicht politisch korrekt ist.
Na ja, und Silke… die hatten wir sogar in einen Baum in dem Wald in der Nähe von Ripdorf geritzt. Den Baum gibt es noch, ich bin immer mal wieder da. Man kann den Namen noch immer gut lesen. Er steht heute ein bisschen weiter oben, und direkt nebenan ist irgendwie ein Gewerbegebiet mit großen grauen Lagerhallen aus dem Boden gewachsen. Aber der Baum ist noch da. Äh… verzeih mir diese alberne Mütze auf dem Foto. Ich fand das damals cool. Deine Jacke ist auch nicht besser!
Rot war die Farbe der ewig unerfüllten Teenager-Liebe. Rot war die Farbe des Feuers, welches unseren Spielplatz und die alten Autos im Kartoffelschuppen auf dem Feld kaputt machte. Rot war auch die Farbe deines ersten eigenen Autos, ein Ford Escort XR3i. Neunzehnhundertneunundachtzig war das eine echte Rakete, klar, das entspricht deinem Temperament. Ein Jahr vorher – weißt du noch? – habe ich mich mit Anlauf gegen die Telefonzelle geworfen, aus der du deine Freundin angerufen hast. Du wolltest, dass sie denkt, du würdest gerade von ihrem Ex bedroht. Spektakulär. Seit dem kann ich meine linke Schulter nicht mehr richtig nach hinten drehen, aber das ist eine andere Geschichte. Dein Ford war wild, dein Ford war neu und er war schnell. Alle in deiner Familie haben gefühlt, dass dir dieses Auto nicht gut tut. Aber du wusstest, wie man die Mädels der späten 80er beeindruckt.
Denk kurz einmal nach, wenn du dieses Bild anschaust. Konntest du damals in Soest auf der Klassenfahrt ahnen, was nur 7 Jahre später passieren könnte? Hatte ich, als ich mein Eis schleckte, gedacht, dass ich 26 Jahre später noch einmal wieder hier sein werde? In Soest, auf der Möhnetalsperre, nach einer gescheiterten Ehe mit einer neuen Freundin? Nein, hatten wir beide nicht. Ich bin noch immer da, denke nach und schreibe diese Zeilen. Das Internet gab’s noch nicht, 1982, als dieses Bild gemacht wurde. Wir verewigten unsere Weisheiten und Wünsche mit grünen Geha-Füllern auf echtem, ausbleichendem Papier. Oder wir ritzten sie mit Teppichmessern in die Buchen. Die Welt ist heute eine andere. Sie dreht sich, und das Leben geht unaufhaltsam weiter, für mich und für die meisten von uns. Dein Leben endet am 01.10.1989 um 1.06 Uhr an einem Baum in der Nähe von Neustadt in Holstein.
Das Wetter ist schön. Passt nicht zu meiner Stimmung. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Eine rote Abendsonne scheint auf die Linkskurve in Höhe der Lübbschen Mühle, einer kleinen Seitenstraße an der L 309, wenige Kilometer hinter Neustadt. Ich stehe hier und versuche, etwas zu spüren, nach all den Jahren zu erfahren, wo es passiert ist. Du hattest zu viel getrunken in jener Nacht. Ich finde keinen Baum, der an seiner Wurzel abgeschält ist. Es gibt kein vergilbtes Kreuz. Und trotzdem muss ich weinen. Dein Leben hat irgendwo hier vor 21 Jahren ein Ende gefunden. Ich klingel zurückhaltend bei ein paar Anwohnern. Sie können sich schemenhaft erinnern. Ja, dieser böse Baum, an dem schon viele Autos zerschellt sind. Er ist vor einigen Jahren abgesägt worden. Ich bekomme die Telefonnummer eines damaligen Mitgliedes der freiwilligen Feuerwehr. Aber mir fehlt die Kraft, dort anzurufen. Es wird wohl hier gewesen sein.
Es ist meine heute 15jährige Tochter Khania, die mir ein Lied vorspielt. Untitled von Simple Plan. Ich sehe das Video, denke an deine Eltern und deine Schwester und wie sie jetzt wohl leben. Immer wieder kommen mir bei Minute 2.30 die Tränen, es zerreißt mich, und mindestens noch ein Mensch in dieser Welt da draußen wird ebenfalls wissen warum. Vielleicht ist der plötzliche Tod eines guten Freundes so etwas wie das Ende von allem, was ich mir vorstellen kann. Und noch immer habe ich keine Möglichkeit gefunden, Abschied zu nehmen. Weil ich nicht genau weiß, wo es passiert ist. Aber mir wurde ein weiteres Jahr geschenkt, vielleicht nehme ich all meinen Mut zusammen und frage deine Familie, oder die Jungs, die mit im Auto saßen.
Mach’s gut Holger, du Kasper, du Clown. Wir haben so viel miteinander gelacht, vielleicht hat zumindest das genügt. Irgendwo hier hat es ein Ende gefunden, der Traum unserer Kindheit, die verrückten Nachmittage mit den Detektivsets aus dem neuen Yps. Die kindlichen Zeichnungen, die jungfräulichen Mädchennamen in unseren Schulheften, es ist alles vorbei. Und die Liebe zu schnellen Autos. Du wolltest mich besuchen. Wenn ich irgendwann einmal mehr erfahre, will ich dir ein Kreuz aufstellen. Und sei es nur, um allen Lebenden, die an dir vorbei fahren, zu sagen, dass sie bitte bitte auf sich aufpassen sollen.
Dein Sandmann
Hey Jens
Wie immer wenn Du Deine Gedanken von Holger mit uns teilst greift irgendwie eine eiskalte Hand nach mir, die sich erst nach einiger Zeit wieder verflüchtigt.
Zuviel getrunkenb und dann Auto gefahren…HA! Das habe ich auch schon hinter mir. In meinem Jugendlichen Leichtsinn. Ich habe mehrhere Autounfälle zum großen Teil unbeschadet überstanden. Wobei mir einfällt das ich Dir immer noch ein Photo von dem Opel Kadett „schulde“ aus welchen ich damals so gerade eben als Kind herauskam. Auch damals war der Täter ein Baum der sich ein wenig Glatteis zu nutzen machte.
Ich bin froh das ich es bis jetzt geschafft habe. Von dem erlebten zehre ich noch heute, wenn ich die Gedanken ein wenig schweifen lasse. Diese sehr intensiven Gedanken und Erlebnisse hören aber bei ca. 25 Jahren einfach auf. Ich wurde vernünftiger. Wenn man bedenkt das ich ein Jahr zuvor noch für eine Currywurst nach Berlin gefahren bin…:)
Irgendwie fehlt mir diese Zeit. Manchmal.
Jetzt habe ich mein geordnetes Leben, meine Familie und VERANTWORTUNG. Ich gehe zur Arbeit, zahle meine Rechnungen und hänge meinen Hobby´s hinterher.
Und damals waren solche Leute für uns einfach nur Spießer.
Wie die Zeit einen doch verändert mein lieber.
V8 mäßige Grüße
Markus der die Teppiche aus seiner Lady unter der Dusche schrubbt
Ach Markus,
da kann man sich aber auch die Frage stellen, ob es denn wirklich bessere Zeiten waren, als du für eine Currywurst nach Berlin gefahren bist…?
Als man ein bisschen jünger war, hat man verrücktere Sachen gemacht. Aber auch eine Menge Albernheiten, die ich persönlich nicht vermisse. Den Typen, der damals die Comics gezeichnet hat, würde mein halbfinnisches Fräulein Altona nicht mit dem Ars** angucken 😀 und das zurecht.
Ist nicht der Konflikt zwischen den Generationen immer der gleiche? Wir finden die Teenager anstrengend, verstehen ihre Sprache und ihre Wünsche nicht. Sie sind laut und prollig. Im Gegenzug sind wir selbst für die spießig und unflexibel.
Und wenn schon…?
Dein Leben ist das, was du daraus machst. Wie du schon schreibst, du hast jetzt Verantwortung. Und der kommst du nach. Aber nichts spricht dagegen, im Kopf noch ein bisschen bescheuert zu sein. Und vielleicht mal wieder für einen Hot Dog nach Dänemark zu fahren. Du bist doch auf einem guten Weg 😉
Sandmann
Ay Jens
Ein bißchen bescheuert sind wir glaube ich beide. Jeder auf seine Art und Weise. 😉
Und ob es damals wirklich bessere Zeiten gewesen sind? Ich sage es einmal so. Man fühlte sich freier, unbefangener. Halt nicht so eingeengt im Sinne einer Schublade. Mann lebte des Lebens Willen und hatte einfach nur Spaß. Über eventuelle Folgen dachte man erst später nach und lachte dann herzlich darüber. Kannst Du mir folgen? 🙂
Die heutige Jugend ist in meinen Augen einfach nur…zu brutal für mich. Von damals kenne ich solche Agressionen überhaupt nicht. Und wenn dann wurde es von Mann zu Mann geklärt. Und nicht drei zu eins.
Hinterher wurde dann eventuell noch ein Bier getrunken und gut war es.
Dies liegt aber auch zum großen Teil am Umfeld bzw. der Erziehung der Eltern, wenn manche Kinder sich völlig gehen lassen. Ein wenig lenken mit Stimme und Hand schadet mit Sicherheit nicht.
Und einmal nach Dänemark für eine gut Pölser im Teigmantel? Hehe
Warum eigentlich nicht. Ist eigentlich genauso verrückt wie eine Tour nach Berlin. Nur das in Dänemark die Luft und das Ambiente besser ist. 😉
V8 mäßige Grüße
Markus
Ach ich weiß nicht.
Zeiten ändern sich immer, und ich habe nicht das Gefühl, dass sich im Verhältnis der Jugend zu uns alten Säcken mehr geändert hat als noch vor 30 Jahren. Der Ton hat sich geändert, das tut er immer, und du bekommst durch die Nachrichten und das Netz einfach mehr mit als früher.
Und es kommt auch sehr auf das Umfeld an, in dem du lebst und aufwächst. Stress und unfaire Aktionen gab es schon immer. Wenn sie heute deinem Kind die Bench-Jacke oder das Handy auf dem Schulweg klauen, war es damals vielleicht das Fahrrad oder die Mütze. Wer weiß?
Ich schätze mal, in Wahlstedt hast du da nicht viele positive Beispiele zu bieten… man hört ja so einiges aus der Region…
Ich mache mir jetzt noch einen großen heißen Tee und schiebe meine Viren und Bakterien heute hoffentlich endgültig ins Nirvana. *schnief*
Sandmann
Moin ihr „alten Säcke“ 😉
Markus, irgendwie hast Du ja recht, früher hat man einfach gemacht. Autos in der Pampa geschweißt? Kein Problem! Heute wüsste ich nicht einmal eine Wiese, wo das möglich wäre ohne dass sich jemand aufregt! Damals haben wir alle an der Tanke rumgehangen, bei Wind und Wetter! Heute fahren alle Kombi… (ich nicht, der Kombi gehört meiner Frau, ich habe nur ein Motorrad! Dass das mal klar ist! 😛 )
Auf der anderen Seite hat Jens natürlich auch recht, war damals alles besser? Irgendwie gab es auch Schlägereien und vor allem Unfälle mit betrunkenen Jugendlichen, die im Ernstfall noch Freunde oder gute Bekannte waren…
Aber selbst wenn man in der Zeit reisen könnte (OK, Jens und Örg können…!) sind es die Erfahrungen wert gewesen! Auch wenn ich nicht betrunken Auto gefahren bin und noch kein Auto geschrottet habe. Allerdings habe ich auch damals, als Jens die Zeilen zum ersten mal gepostet hat schon gesagt, dass ich genügend Freunde das letzte mal auf dem Friedhof gesehen habe.
Insofern ist es gut, dass wir älter geworden sind, wir können die Erfahrungen anders werten und vor Allem weitergeben. Und wenn man es schafft seine Rechnungen zu bezahlen und sein Leben auf die Reihe bekommt, dann MUSS man durchgeknallt sein und einen Spleen haben. Egal ob alte Autos oder was anderes.
Die anderen Exemplare kann man sich täglich im „Unterschichtenfernsehen“ anschauen wie sie sich und ihre Dummheit prostituieren…
Meine Meinung. Und Kombis braucht man! 😉
Steffen.
Nein, Kombis braucht man NICHT!
Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse.
Ich würde mich allerdings zu einem A7 hinreißen lassen, aber das ist ja auch kein Kombi…
Nachdem heute auf Facebook umfangreich mein Geburtstag gefeiert wurde, stehe ich dem Internet wieder ein bisschen kritischer gegenüber, dabei lächelnd. Es war ein guter Tag. Und ich bin glaube ich auch wieder gesund genug, dass ich morgen mal wieder zur Arbeit gehen kann und niemanden mehr anstecke.
Ich hörte übrigens, dass nicht nur Holgers Kreuz nicht existiert, sondern dass sein Grabstein (nach 20 Jahren) wohl anscheinend nicht mehr da sei. Hm. Das muss ich beizeiten mal anschauen, dann ist ja bald GAR nix mehr nach außer der Erinnerung…
Sandmann
Immerhin hast du die Erinnerung noch, Sandmann. Und die kann dir keiner mehr nehmen.
Eine sehr ergreifende Geschichte. Stimmt nachdenklich.
Abel
Manchmal habe ich auch ZU viele Erinnerungen und vergesse dann gern mal den Blick auf das Hier und Jetzt. Das hat meine kleine Tochter wohl von mir geerbt 😉
Fahr vorsichtig.
Sandmann
Hey Sandmann,
jetzt habe ich das doch gelesen, obwohl ich es erahnt habe, worum es gehen könnte…
Dieses Thema umgehe ich ganz gern, weil das nach vorn schauen mir besser bekommt. Es war das Datum deiner Veröffentlichung, was mich angezogen hat:
Oktober. Ich mag den Monat nicht! Jedes Jahr – Ende Oktober – geht es mir so schlecht, dass ich kaum etwas zustande bringe…. Das Gefühl heißt Trauer & hört nie auf!
Ich fühle mit Dir und sende ganz viele herzliche Grüsse
Vreni
Liebe Vreni,
ich mag gar nicht nachfragen… vielleicht erzählst du es mir ja mal bei einem Gläschen Wein, entweder im Mai bei El Gigante oder vielleicht mal im Vorbeiflug in der Schweiz…
Da ich mich ja auch Sandmann’s October schimpfe, wirst du dem entnehmen, dass ich persönlich mit dem Oktober an sich keine schlechten Erinnerungen verbinde. Meine Tochter hat da Geburtstag, und ich erlebte 2007 goldene Zeiten im K70 🙂 Um mal wieder ein wenig Freude aufkommen zu lassen…
Sandmann
Hey Sandmann,
dein Name ist gut so, wie er ist. Ich verbinde nichts negatives mit deiner Namensgebung. Es ist einfach die letzte Oktober- Woche die mir zu schaffen macht & das seit 10 Jahren. Also noch nicht so lange, wie bei dir. Es wird einfach nicht besser & jedesmal wünschte ich, ich hätte einen Wunsch frei….
Persönlicher wird’s hier nicht.
Toll, dass du an deinen Freund denkst und dich erinnerst. Dafür braucht es keinen Ort.
Schau nach vorn! Es geht weiter…
Gute Nacht!
Vreni
Liebe Vreni,
unter jedem Dach ein *ach*… Ich würde das gern mal irgendwann hören. Bis dahin hoffe ich, dass du erfolgreich loslassen kannst. Ich selbst häng ja auch viel zu viel in meiner eigenen Vergangenheit rum, und auch da ist nicht immer alles goldig gewesen. Na gut…
Sandmann
Traurig. Herzliches Beileid. Aber ein schönes, emotionales Denkmal für einen Freund.
Hallo Kalle,
danke dir. Ich hätte gern ein Kreuz an der Stelle, wo es passiert ist. Aber da ist nichts mehr, nicht mal mehr der Baum. Wenn es überhaupt genau da war, wer weiß das denn heute noch?
Holger hat jetzt nicht mal mehr ein Grab. Das ist letztes Jahr eingeebnet worden, es hat wohl niemand mehr die Pacht weitergezahlt.
Zack. So schnell verschwindet einer aus dem Leben, aus der Welt und aus den Erinnerungen. Manchmal macht mir das Angst…
Sandmann
Hey Sandmann, ich poste es auch gerne hier nochmal!
Ich habe genau das gleiche Erlebnis hinter mir… Seit der ersten Klasse beste Freunde gewesen. Er hatte sich gerade einen Corrado G60 gekauft und ich dachte noch: Das Teil ist aber verdammt schnell. An besagtem Tag bin ich mit meiner Freundin aus Hamburg zu Ihm gefahren. Mit dem 320 E von ihrem Vater. Ich war Megastolz und bin mit ihr ordentlich über die Bahn bis nach Hittfeld gebügelt. So mit 220 Sachen… Wir wollten zu viert in den Heidepark, Pärchentag quasi. Als wir auf dem Hof ankamen, kamen mir sein Vater und seine Freundin entgegen. Mit betretener Miene meinte sein Dad nur: Komm mit rein, wir müssen reden. Er wollte seine Freundin abholen und kam in einer ganz leichten Rechtskurve mit völlig überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern. Er krachte dann rechts gegen eine große Eiche. Ich bin noch wie ein Verrückter zurück nach Hamburg gerast, weil er ins AK Altona verbracht wurde. Der Arzt durfte mir nichts sagen, aber als ich meinte, ich hätte schon gehört, dass es schlecht aussieht, sagte er nur zu mir: „Na, dann sind Sie ja gut vorbereitet!“ Realisiert habe ich es trotzdem erst, als ich eine Stunde später seine Freundin am Telefon hatte, die mir dann unter Tränen sagte, dass er es nicht geschafft hat. Heute weiss ich, wieso ich damals als erstes Auto einen 68 PS Saugdiesel von meinen Eltern bekommen habe. Der brauchte zwar 18,8 Sekunden von 0 – 100 und lief 140 Spitze, aber dafür bin ich noch am Leben!
Aus heutiger Sicht muss ich leider sagen, dass es wohl irgendwie vorherbestimmt war, dass Sven viel früher gehen musste als andere. Wir sind auf dem Land groß geworden und er hatte schon immer einen Hang dazu, alles schneller und gefährlicher zu machen. Keiner konnte mit 14 schon so virtuos mit der Kettensäge umgehen wie er. Natürlich ohne Schutzkleidung. Seit er 10 war, ist er auch regelmäßig mit Opas Trecker durch die Gegend gefahren und ich muss sagen, selbst 30 km/h können auf einem Deutz D3006 verdammt schnell sein. Regelmäßige Arm- und Beinbrüche wegen Fahrradstunts oder Parkour-Versuche (Damals hieß das noch rennen und springen) gehörten dazu. Irgendwie dachte er wohl, dass er das Auto im Griff hat. H-Schaltung und Lenkrad hatte er ja schon mit 10 Jahren im besagten Deutz. Nur, dass dieser tiefer gelegte und flach gemachte Golf II (So wirkte der Corrado auf mich von innen) eben halt viel schneller war.
Ach ja: 3 Artikel in verschiedenen Zeitungen, der grösste mit Bild war in der… Bild! Irgendwo habe ich den auch noch rumliegen, oder meine Mutter hat ihn irgendwo konserviert.
Ay Bo,
🙁 das ist heftig. Und krass, dass du da auch so etwas wie „Vorherbestimmtheit“ siehst. Holger war glaube ich auch nicht für ein ewiges Leben gemacht. Der war tatsächlich auch schon immer ein verrückter Hund. Tragisch nur, abgesehen von der Tragik an sich, dass er sich nicht allein tot gefahren hat…
Inzwischen gibt es nicht mal mehr sein Grab. Alles weg…
Sandmann
Ja, schon krass. Man hat tatsächlich auch als junger Mensch schon einige nahestehenden Menschen überlebt. Das hat was Schockierendes. Und an so Beispielen wie Holger kommt halt hinzu, wie lange es her ist. Bin im Zivildienst und bissel danach insgesamt fast 3 Jahre Notarztwagen gefahren. Zivis hatten damals gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Kein Schon-Programm, einmal alles. Krankheiten, Unfälle…Todesfälle. Auch da waren Leute dabei, die ich aus dem näheren Umfeld kannte.
Unser heutiges Lebensgefühl ist mit den Bildern der Erinnerungen, die ja nicht mitwachsen konnten, nicht mehr überein zu kriegen. Diese Kluft wächst, und die hat was Gespenstisches. Fühlt sich mindestens an wie 2 Welten, eher wie 2 Leben. Ich denke auch oft andersrum. Wer von denen heute nochmal wiederkäme, der fände sich nicht mehr zurecht.
Aber eins ist klar: Wirklich „weg“ sind nur die Vergessenen. Dafür, dass das nicht geschieht, reichen oftmals kleine Gedanken, ein Foto, eine Erinnerung, oder so Geschichten, wie diese hier. Sie stehen beispielhaft für alle Gedanken, Fotos, Erinnerungen und Geschichten, die irgend Jemanden in uns lebendig halten.
Danke Jens, für die Initialisierung, nochmal ´nen Blick in den eigenen Schuhkarton der Erinnerungsbilder zu werfen…
Besten Gruß aus Siegen,
Dirk
Lieber Dirk,
der eine geht, die andere kommt… deshalb komme ich auch erst jetzt dazu, auf deinen sehr tiefgründigen Text zu antworten. Die Geburt von Sandmädchen 4.0 hat mir andere Prioritäten diktiert 😉 Aber nun bin ich wieder da.
Holger nicht mehr, und viele andere Holgers auch nicht. Es sind ja nicht nur die Freunde und Bekannten – es sind, je älter man wird, auch die nahen Verwandten. Und die langen, die sehr langen Freunde. Ich habe das Glück, noch eine Menge Eltern zu haben. Die haben sich zwar 1980 getrennt, aber jeweils neu geheiratet und mir noch einen Haufen Halbgeschwister beschert. Und alle sind noch da. Wenn ich rekapituliere, wie es mich zerrissen hat, als mein Opa starb… ich möchte das nicht auf meinen Papa oder meine Mama hochrechnen. Möge da noch viel zeit ins Land gehen, bitte.
Und ja, ich glaube du hast auch Recht mit den nicht mitwachsenden Bildern. Die früh Verstorbenen sind „forever young“, sie sind in ihrer Zeit geblieben. Ich bin wirklich gespannt, ob man sich eines Tages wiedersieht. Ob es so etwas wie einen Himmel gibt, oder ob einfach alles vorbei ist. Spannend. Es wird sich nicht verhindern lassen, das zu erleben.
Sandmann
Oh je, das ist immer richtig traurig, wenn jemand den man sehr mag oder liebt, von uns geht. Die Geschichte nimmt mich richtig mit und ich werde in Zukunft etwas vorsichtiger sein.
Alles Liebe
Manuel
Ich war 16, meine sehr gute Freundin war 15. Sie kam mir an diesem Abend noch im Hausflur entgegen, wir lachten uns an, grüßten uns, unterhielten uns flüchtig da wir uns eh jeden Tag sahen. Hätte ich gewusst das es das letzte Mal ist das ich dich sehe… 3 Stunden später stieg sie in das Auto einer Freundin, die sie von zu Hause abholte. Das Haus ihrer Eltern war das letzte am Ortsrand. Sie fuhren los, den kleinen Hügel hinterm Dorf hinauf. Auf der anderen Seite der Hügelkuppe setzte ein Autofahrer zum überholen an. Du warst noch nicht angeschnallt, keine hundert Meter von zu Hause entfernt. Am nächsten Morgen weckte mich meine Mutter, ich war noch gar nicht ganz da und hörte sie sagen das du einen Unfall hattest und es nicht geschafft hast. Ich konnte es nicht fassen und meine Mutter und ich saßen auf meinem Bett und wir sprachen uns gegenseitig die Gefühle von der Seele. Dann kam der Tag deiner Beerdigung. Ich fand es sehr schön wieviele Freunde und Bekannte sich vor der Kapelle versammelten um dir die letzte Ehre zu erweisen. Es unterstrich für mich das du besonders warst. Dennoch kam es mir surreal vor und im nachhinein fühlt es sich wie ein Film an. Ungläubig stand ich in der Menge als dein Sarg vorbeigetragen wurde. Deine Eltern wollten dich auf dem kleinen Friedhof in Hohen Mistorf beerdigen, sicherlich damit du ihnen ein Stück näher bist. Wir fuhren also los, um nach Hohen Mistorf zu kommen mussten wir durch unser Dorf, ich kannte den Weg sehr gut. Dennoch, und für mich auf völlig unerklärliche Weise, ich habe keine Sekunde daran gedacht das wir die Unfallstelle passieren. Wir kamen über den Hügel und es brach aus mir heraus, ich fing anfallartig an zu heulen. Ich glaube das war der Moment wo mir bewusst wurde das du wirklich nicht mehr da bist. Ich vermisse dich. 27 Jahre ist es her und ich frage mich was du aus deinem Leben gemacht hättest. Eins ist sicher, du wärst noch mehr Menschen eine Bereicherung in ihrem Leben gewesen. Ich werde dein Lächeln nie vergessen, bis wir uns wiedersehen.
Lieber Martin,
ich schrieb das ja schon an anderer Stelle – deine Zeilen haben mich tief berührt und sehr traurig gemacht. Ich weiß gar nicht, was das mit mir macht, wenn ich solche Geschichten erfahre. Natürlich ist es tröstlich, dass andere Menschen auch schlimmen Kummer erlebt haben, denn man ist mit seinen Gedanken nicht allein und wird verstanden. Trotzdem ist das andere ja auch schlimmer Kummer, den man niemandem Wünscht 😢 Und mehr Kummer macht den See aus Kummer immer größer.
Ach jeh.
Da draußen in der Welt ist so viel Traurigkeit. Halten wir uns an dem fest, was wir haben. Und passen wir gut drauf auf. In diesem Sinne
Sandmann