Südfrankreich im Mai im V8, Teil 2

Mittelmeer am Morgen

Mittelmeer am Morgen

Der Morgen über den Kalkfelsen der westlichen Cote d’Azur gestaltet sich nebelig, was das kaum zu fassende Verlangen nach einigen guten Tassen französischen Kaffees aber nicht schmälern kann. Also checken wir aus, eine weitere Nacht ginge hier leider nicht, denn das Pfingstwochenende stünde bevor, sagt die freundliche Dame an der Rezeption. Complet. Dieses Wort sollte im Laufe des Tages noch eine gewisse Tragweite bekommen. Hier und da einen Kaffee verdrückend arbeitet sich meine Reisebegleitung mit mir die Küstenstraße in Richtung Westen vor. Palmen säumen die schmalen Straßen, das smaragdgrüne Wasser brandet an die Strände von idyllischen Fischerdörfchen und das Baguette mit einem Stück Käse schmeckt plötzlich besser als jede griechische Fleischplatte. Hier MUSS man einfach rasten und das Szenario genießen!

Na DAS sind mal Preise!

Na DAS sind mal Preise!

Plötzlich relativieren sich auch die Gaspreise. Sobald man nämlich die mautpflichtige Autoroute verlässt, um in einem der Mega-Giga-Terra-Marches ein paar Köstlichkeiten zu erwerben, bezahlt man nicht viel mehr für das kalte Nass als in Allemagne. Also Stehkragen voll die Wanne, einige einschneidende Erlebnisse zwischen kilometerlangen Weinregalen und fußballfeldgroßen Käsetresen gespeichert und weiter. Weiter in Richtung Ungewiss, denn es ist so wahnsinnig lange her, dass ich einmal hier war. Marseilles. Le Vieux Port. Meine einzigen Erinnerungen an diese Stadt bestehen aus Gestank, Verkehrslärm, horrenden Parkgebühren und dem schier unmöglichen Vorhaben, nach einem solch besch***** Tag die Stadt wieder zu verlassen! Wir sind damals zwei volle Stunden in Richtung „Toutes Directions“ gefahren. Ohne Erfolg.

Marseilles, der Hafen

Marseilles, der Hafen

Heute ist alles schöner. Die Chipkarte mit den Frankreichkarten meiner TomTom Lisa hat sich kurz hinter der französischen Grenze seufzend in den digitalen Datenträger-Himmel verabschiedet, und so sind wir schon jetzt erprobt im Interpretieren des kostenlos zur Verfügung gestellten umfangreichen Kartenmaterials des ADAC. Marseilles soll nur eine Durchfahretappe werden, eigentlich wollen wir nach Cassis, uns am Hafen ein mühliges kleines Hotelzimmerchen suchen und das bunte Treiben der Promenade mit einem guten Glas Wein genießen. Aber statt sarkastische Bemerkungen in der Richtung „Mensch das ist aber echt gut dass wir die Klimaanlage haben, stell dir mal vor wie unerträglich das sonst hier drin wäre“ abzulassen hängt die Herzärztin mit leicht verklärtem Blick plötzlich in ihrer ganz persönlichen Vergangenheit.

Als sie fünf Jahre alt war, hat sie mit ihrem Bruder und den Eltern für ein Jahr zur Untermiete bei einer Familie in Marseilles gewohnt, an der Ausfallstraße nach Cassis. Und all die neuralgischen Punkte, die damals den Weg säumten, existieren noch. „Da vorne rechts ist dieses Blatt der Schiffschraube, dann muss bald so eine Davidstatue kommen, da müssen wir links ab. Och, BITTE, lass uns da mal kurz anhalten und gucken ja?“ Natürlich will ich das auch sehen, nicht zuletzt hänge ich regelmäßig in meiner eigenen verlorenen Kindheit in Niedersachsen rum, aber das ist eine andere Geschichte.

Kindheitserinnerungen

Kindheitserinnerungen

Alles noch da. Die Ausfallstraße mit dem Blick auf die Berge, die alte Pforte, der Treppenweg und die Feigenbäume. Einen kurzen Moment scheint für sie die Uhr rückwärts zu ticken. Ich stehe nur und schaue. Das kleine blonde Mädchen wackelt an der Klinke und hüpft an einem alten verblichenen Holzschild vorbei die Treppen hoch und quietscht laut „SEEERGE!!!!„, kurz bevor sich ein Mann mittleren Alters, damals angeblich 15 Jahre alt, von seinem Job, die Bäume zu wässern abwendet und nach kurzem Stutzen charmant lächelt und das kleine Mädchen wiedererkennt. Eine schöne halbe Stunde im Kreise von Menschen, die einem wieder einmal unmissverständlich klar machen, dass alles auf dieser Welt älter wird und vergänglich ist. Und dass es nun schon ein bisschen länger her ist, dass wir mal fünf Jahre alt waren. Beseelt steigt sie in den Audi und rollen ein wenig die Straße entlang, schweigend, ohne Musik, die Eindrücke verarbeitend.

Cassis, Traum meiner Zwanziger

Cassis, Traum meiner Zwanziger

Cassis! Stadt meiner Twen-Träume! Campingplatz der langen durchsungenen Nächte mit „33-Export“-Bier in Literflaschen, Klippe der Abgründe und Autowracks, Buchten der beiden hübschen blonden Holländerinnen, die auf meiner Gitarre Neil Young spielten und sangen, Hafenpromenade der reichen Yachtbesitzer, die in Monaco keinen Platz mehr bekommen haben und Zentrum der 1000 kitschigen Postkarten. Was mag aus dir geworden sein? Du siehst phantastisch aus!

Weiter unten im Städtchen ist alles ein wenig unphantastischer, tatsächlich ist die halbe Welt hier zu Besuch und die Hotelzimmer haben samt und sonders nur eine Botschaft: Complet! Selbst an der geschlossenen Touristeninformation hängt ein Schild, man solle nicht einmal daran denken, auch nur IRGEND wo hier ein Zimmer zu bekommen. Ah ja. Aber wir haben uns fest vorgenommen, hier und heute Abend einen Wein zu trinken und uns die Leute auf der Promenade anzuschauen. Das Zimmer will allerdings vorher gefunden sein, weil das den Abend natürlich enorm entspannt.

Da durch eine kaum nennenswerte Überbezahlung unser Parkticket bis morgen Mittag gültig ist, verlassen wir den Parkplatz mit dem Ziel, uns Hotel für Hotel vorzuarbeiten, und sei es bis zum Nachbarstädchen La Ciotat.

Ich kürz das dann jetzt mal ein bisschen ab, auch wenn man daraus einen eigenen Artikel bauen könnte. Also‚ das Wort „Complet“ wird schon nach kurzer Zeit von mir nicht mehr wirklich gemocht, und als wir nach zwei Stunden Motor aus, fragen, Motor wieder an, weiterfahren, bremsen, Motor aus‚ dann La Ciotat bereits HINTER uns haben und schon in der langsam einsetzenden Dämmerung durch St. Cyr irren, ist unsere letzte Hoffnung ein billiges Etap Hotel gleich an der Autobahn zurück nach Cassis.

Nein, alles complet, sagt die Dame an der Rezeption, die einen Charme versprüht, als würde sie noch nebenbei an der Kasse in einem Bräunungsstudio sitzen. Hurra… Ich muss wirklich sehr verzweifelt geguckt haben, als ich französische Flüche vor mich hinmurmelnd und verschwitzt und stinkend zum Audi zurück getrottet bin, denn ich saß schon wieder am Steuer, als ein kleiner Junge angelaufen kommt und sagt, die Mademoiselle da drüben wolle etwas von mir. Ups?

Die Schutzpatronen der ruhigen Nächte haben bei der Dame offensichtlich Mitleid erweckt, und so gibt sie uns das wirklich ultimativ allerletzte, eigentlich für nachts ankommende Trucker reservierte  Hotelzimmer in der gesamten Region. Alles wird gut. Sag ich doch!!!

Am Hafen in der Nähe von Ephraim

Am Hafen in der Nähe von Ephraim

Erfrischt von der Vollplastik-Nasszelle sitzen wir am abendlichen Hafen von Cassis. In unseren Bäuchen schwappen Köstlichkeiten aus dem Meer im Gegenwert einer All-Inclusive-Reise an der Algarve für zwei Personen, vor mir auf dem Tisch haben sich eine sympathische Flasche Rotwein und ein kleines Paket Zigarillos niedergelassen und wir gucken Menschen, ein Hobby, das einfach niemals langweilig zu werden scheint. Ich lerne wieder etwas Neues, nämlich dass es eine Nachmittagsserie aus Amerika namens Everwood gibt. Und in dieser Serie agiert offensichtlich der Teeny-Star Ephraim Browne. Wer hätte das gedacht. Ich nicht. Aber die nüchtern bleibende Frau neben mir ist noch immer ganz aus dem Häuschen, weil Ephraim vor uns im Crepes Stand mit seiner Freundin amerikanisch vor sich hin näselnd ein Crepe gekauft hat. Der Schlingel. Sie kann kaum fassen, dass sie Ephraim getroffen hat! Ich freue mich sehr für sie, versenke den Wein in meinem Bäuchlein und genieße diese wunderbare südfranzösische Hafenatmosphäre.

Irgenwann müssen auch die erprobtesten Nachtschwärmer wieder zurück ins Etap. Auf dem dunklen Parkplatz mit dem überzahlten Parkticket fallen uns ein paar Autos im Schatten der Straßenlampen auf, die unter eindeutig nicht zaghaft geöffneten Türen leiden. Auch hört man hier und da in den dunkleren Gegenden hinten an der Mauer knarzende Geräusche‚ die erfahrene Ärztin bedeutet mir allerdings, ich möge doch bitte einfach einsteigen und das zum Problem anderer Leute erklären. Was ich dann auch tu.

Schmutzige Seemannslieder vom Beifahrersitz aus gröhlend, fliegen die Berge in der Dunkelheit an mir vorbei. Kurz bevor wieder Mautstellen-Basketball mit einer Hand voll Münzen gespielt wird, erhebt sich das mächtige Cap Canaille noch einmal über der Stadt, die inzwischen offensichtlich eingesehen hat, dass eine Beleuchtung dieses Massivs in der Nacht einen gewissen „WAU“-Effekt auslöst. Das war ein eindeutig guter Gedanke, und „WAU“ sagend verlassen wir diese wunderschöne Stadt in Richtung Etap-Wohnkaserne.

Der Kreisverkehr hinter der Autobahnausfahrt löst zwei gleichzeitig gesprochene Sätze unterschiedlichen Inhalts aus. Ich sage „Hey, hier rechts ist doch das Hotel willst du nicht rausfahren?“ und sie sagt „Hey, da links ist eine große Polizeikontrolle, guck mal!“ Und wie das in einem Kreisverkehr dann so ist rauschen wir an meinem Satz vorbei direkt in ihren rein. Ist ja auch viel spannender so.

Die Papiere bitte“ erspart man uns ob des deutschen Kennzeichens, und es ist auch gut dass ICH nicht pusten muss. Aber SIE kommt endlich, nach so vielen Jahren, in den Genuss ihrer ersten Alkoholkontrolle, mitten in Frankreich, und wir scheinen nicht nur das letzte Hotelzimmer, sondern auch den geringsten Alkoholspiegel östlich von Marseille nachweisen zu können. Herrlich, wenn die Freundin keinen Alkohol verträgt.

Meilenfressen und nachfüllen

Meilenfressen und nachfüllen

Der kommende Tag trägt uns GPL-tankend wieder in Richtung Norden. Es macht sich eine leichte Traurigkeit breit, wie immer nach gefühlten drei Wochen Urlaub, wenn es auf den Heimweg zu geht. Aber als letzte Etappe gibt’s da ja noch meine französischen Freunde Michele und Beatrice, die mit ihren beiden Kindern in der Nähe von Lyon wohnen und uns für eine Nacht eingeladen haben. Um ein wenig von der Provence zu sehen, nehmen wir statt der Autoroute die N7 und vertreiben uns die Zeit mit französischen Scherzfragen, die auf der Innenseite der Papiere jüngst erworbener Karamellen stehen. Kennen Sie zum Beispiel drei gute Gründe, warum man nicht mit dem Fahrrad über den Tisch der Cousine fahren sollte?

Zwischen Unmengen von verlassenen Motels und Ruinen von ehemaligen Herbergen, kaufen wir die ersten frischen Kirschen, die es hier jetzt schon reichlich gibt. Und französischen Nougat gibt es ebenfalls in rauhen Mengen. Sie fragt mich irgendwann, ob Nougat eigentlich in Minen abgebaut wird. Ich entgegne, dass ich eher zu Tagebau tendiere, mit diesen großen Schaufelbaggern.

Jemand hat mal gesagt, dass beim Audi jeder Ring für 100.000 Kilometer steht. Und das glaube ich inzwischen. Der Wagen fährt und fährt, pflügt sich schwer beladen über den glutheißen Asphalt und muckt und zuckt nicht. Lediglich ein paar weitere Cockpitlämpchen hauchen ihr Leben aus, so auch die des Außenthermometers, aber das ist auch ganz gut so. Das dämmt die immer noch schwer angesagten Klimaanlagen-Witze ein wenig ein. Durch das geöffnete Schiebedach hole ich mir einen Sonnenbrand auf den Armbeugen, und jede eiskalte Cola aus der rappelnden Kühltasche mit dem geschmolzenen Stecker ist wie eine Offenbarung.

Grillen unter Extrembedingungen

Grillen unter Extrembedingungen

Erschöpft und glücklich werden wir bei meiner kleinen Familie herzlich aufgenommen, und französisch plappernd und synchron übersetzend wird das Barbecue vorbereitet, natürlich scharfe Merguez, Salat, Pastete und Reis. Und Wein. Und Regen, der sich schon lange angekündigt hat und nun pünktlich runtergallert, so doll, dass wir das Feuer unter dem Grillrost schützen müssen. Ein langer Tag geht zu Ende, für Michel und mich wird der Abend noch lang, denn im letzten Jahr ist einfach so unfassbar viel passiert, und hey versuchen Sie das alles mal auf französisch zu erklären. Der Birnenschnaps hat da ganz gut geholfen‚ Michel hat vier kleine piepende Vögel in einem Käfig sitzen, und meine Sauerländerin weiß nun auch, warum die alle vier keinen Namen haben. Michel sagt, das sei überflüssig, wenn man die ruft kommen sie ja sowieso nicht.

Am frühen Pfingstmontag geht es nun endgültig heim, wir werden noch mit frischen Croissants und Kaffee verwöhnt und gleiten anschließend über menschenleere Autobahnen in Richtung Grenze. In der Cafeteria eines Supermarktes frönen wir noch ein letztes Mal der französischen Küche, und ich lerne erneut etwas: Hacksteak ist nicht gleich Hacksteak. Während ja letztes mal in der Schweiz die Dinger 14 Euro gekostet haben, soll ich hier nur 4,90 bezahlen. Mit Pommes und Soße. Was ich NICHT weiß ist, dass man die sich noch nachbraten kann. Zumindest die Menschen, die eine blutige zähe Mett-Masse nicht so lecker finden. Als mich also das Innere meines Mittagessens mitleidig anschaut und nach einem kurzen Moment des Nachdenkens „Papa“ nennt beschließe ich, diese Chance wahrzunehmen und lasse das semi-lebendige Ding auf meinem Teller mit all seiner Pfeffersoße nochmal nachgrillen. Dann gings‚ bedenken Sie das bitte bei Ihrer nächsten Rast in Frankreich.

Jetzt helf ich mir selbst

Jetzt helf ich mir selbst

Irgendwann wird jeder Audi auch mal ein bisschen weich, in der Nähe von Koenigsmacker an der Mosel verabschiedet sich das Kühlwasserthermometer und ein Blinker blinkt nicht mehr so richtig. Aber das ist mit dem Bordwerkzeug auf einem McDonalds Parkplatz schnell behoben, solche Kleinigkeiten werden nicht aufgeschoben. Heute ist auch das Kühlwasserthermometer wieder erneuert.

Wieder zurück, voller Eindrücke und mit ein paar Zahlen:

  • Gefahrene Kilometer von Kiel nach Kiel: 3742
  • Getankte Gasliter (voll los, und am Ende wieder voll gemacht): 459
  • Bezahlt hierfür insgesamt: 346 Euro
  • Durchschnittsverbrauch LPG: 12,26 Liter auf 100 Kilometern.

Nicht zu fassen, oder? Rechnen Sie mal den Preis bei 1,40 Euro für Super aus. Ich habe allein in diesen 5 Tagen 400,- Euro gespart. Soweit in Sachen Gasumrüstung. Aber das wissen Sie ja. Ich guck mir jetzt nochmal all die schönen Fotos an. Wir sehen uns.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

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