Von zweien, die drei Tage in der Antike waren
Liebes Tagebuch.
Ich hätte niemals gedacht, dass ich diesen Artikel einmal schreiben werde. Jedenfalls hätte ich das vor… sagen wir mal 10 Jahren noch nicht gedacht. Ich, der gern mal selbst ins Bild springt, der sich ständig pathetisch auf den Horizont blickend neben Autos stellt und der sich andauernd beim Autofahren knipst. Mit ausgestrecktem Arm. Oder – der Typ mit dem abgegriffenen Selbstauslöser. Ausgerechnet ich bekomme in Rom eine mittlere Krise. Erst wegen der distanzlosen Menschen, die mir den ganze Tag Selfie Sticks für mein Handy verkaufen wollen (is gutt praiss, make cheap) und dann wegen der Menschen, die diese Selfie Sticks exzessiv einsetzen. Das sind unfassbar viele. Was macht man dagegen oder damit? Ein paar kleine Ideen hatte ich dann ja doch…
Wissen Sie denn überhaupt, was ein Selfie Stick ist?
Das ist so eine kleine ausziehbare Teleskopstange, auf die man ans eine Ende sein Smartphone klemmen kann und die einem den Arm verlängert. Um einen Selfie von sich und seinen Lieben zu machen, und wenn dank des Teleskops die Kamera dann weiter weg ist kommt natürlich auch noch die ganze schöne Landschaft mit drauf. Denn so ein Arm ist ja relativ kurz. Sagen alle. Finde ich eigentlich gar nicht. Die Dinger haben einen Auslöser am Griff, einige können auch als selbst stehendes Stativ ausgeklappt werden. Wolle Selfie Stick? Want? YOU want? Cheap! Die Theorie zur Benutzerfreundlichkeit tut keinem weh, die Dinger kosten im Netz rund 15 Euro, ich weiß nicht was sie bei unseren redseligen Freunden in Rom kosten. Die Jungs sollte man ja lieber einfach stehen lassen, sonst wird man die nie mehr los. Wenn Sie nur einmal nach dem Preis fragen sitzt der Typ eine Woche später noch bei Ihnen zu Hause auf dem Sofa und handelt. Also bleibt der Selfie-Stick-Preis im Zentrum von Rom ein gut gehütetes Geheimnis, zumindest vor meiner großen Tochter und mir. Hey you. Come here, good stuff. Cheap. Etliche andere könnten darüber in epischer Breite philosophieren und Zahlen nennen, denn es ist schier unglaublich, wie viele Touristen durch die Stadt rennen, so eine bekloppte Antenne vor sich hertragen und sich entweder permanent filmen oder endlose Fotos machen. Ich vor dem Pantheon, ich vor dem Kolosseum, ich vor ihr. Das geht ja sogar mir auf den Sack! Das ist narzistischer Hardcore. Ich muss gegensteuern, fotografiere mit der richtigen Seite des Telefons (was für sich genommen schon ein ziemlich lustiger Satz ist, den vor 20 Jahren niemand verstanden hätte) und genieße mal wieder, dass ich nicht andauernd mit drauf bin. Sondern diesmal ein lustiger Römer, der mit seiner Kamera telefoniert. Ist doch toll sowas, und ganz ohne Stick.
Der lustige Römer ist hinterher gar nicht mehr so lustig, denn er verlangt eigentlich Geld dafür, dass man sich selbst mit ihm fotografiert. Dass man also einen Selfie mit diesem liebevoll verkleideten Feingeist macht, vielleicht mit einem Stick? Ah you! Deutsch? Bratwurst? Gut, wir gehen dann mal weiter. Notiz an mich selbst: Römer, die wie Römer aussehen nur mit Geld in der Hand und als Selfie fotografieren. Neben uns labern zwei Amerikaner Texte ins teleskopisch weit weg gehaltene Handy, während sie mit starrem Blick über den Platz laufen. Ein Perma-Selfie-Video. Das sechste von insgesamt 42 Stück heute vermutlich. Selfie Stick? Selfie Stick? Wanna look?. NEIN MANN!!! Ich raunze den klettigen und leicht überraschten Verkäufer mit den bunten Stangen und der irgendwie leberwurstfarbenen Haut an. „Look here! I have ARMS. Long Arms. You wanna touch? Come here, touch it. Enough to make Selfies. Come on TOUCH it!“ Der Mann scheint mit dieser Reaktion nicht gerechnet zu haben und wechselt die Himmelsrichtung, in der seine Füße laufen. Anfassen wollte er meinen Arm nicht. Komisch. Ein weiterer junger Amerikaner läuft sich selbst mit Stick filmend rückwärts und rennt meine Tochter fast über den Haufen. Sorry. Ob sie einen Selfie mit ihm vor der Säule da machen möchte? Nein, möchte sie nicht.
Der nächste fliegende Händler bietet seine Billigware feil und wanzt sich an mich ran. „Selfie? Wanna Selfie?“ Ha. Na klar. Mit einem strahlenden YES!!! zücke ich mein Telefon und mache einen Selfie von mir und dem Selfie Stick Verkäufer 🙂 Er versucht gar nicht erst, mir zu erklären, dass er was anderes gemeint hat. Ich glaube, er hat es verstanden. An diesem Tag unternimmt zumindest dieser jetzt leicht verwirrte Mann nicht mehr den Versuch, mir so einen Scheiß zu verkaufen.
Himmel ist das alles albern und lästig.
Früher, in den Zeiten wo Menschen noch miteinander gesprochen haben frug man einen vorbeikommenden Passanten, ob der mal ein Bild von einem machen kann. Bitte. Oder (und da bin ich ein großer Freund von) man suchte sich einen Mülleimer oder eine Mauer, stellte die Kamera drauf und benutzte den Selbstauslöser. Meine schönsten Bilder halten genau die Momente fest, in denen während der 10 Sekunden alles schief ging, was auf dem Weg von der Kamera zum vorgesehenen Motiv schief gehen konnte. Ich möchte das auch heute nicht missen 😉 Zumindest das iPhone kann das doch auch, finden die Leute sich denn nicht furchtbar albern mit diesen Antennen in der Hand, an deren Ende das Telefon klemmt? Und achten Sie mal drauf – es gibt einen süffisanten Selfie-Blick. Der ist neu. Der ist total panne. Da wiederum profitiere ich von meiner jahrealten Macke, mich schon immer gern mal selbst fotografiert zu haben. Ist ja irgendwie auch ne Kunstform… Gniiihihi. Komm, Töchterchen, ich mach nochmal einen Selfie von uns, während du grad einen Selfie von dir vor dem Forum Romanum machst. Das ist dann doppelter Unsinn, genau wie der Selfie mit dem Stick-Verkäufer, ich glaube wenn man sowas richtig angeht öffnet sich ein Wurmloch und setzt nie gekannte Energien frei. *klick*
Oder wie stehen Sie dazu?
Plötzlich (na ja, seit ein paar Jahren) fotografieren sich die Leute auf einmal alle selbst, im Bad, auf Parties, im Urlaub. Finde ich cool, aber warum ist das denn auf einmal so hip? Und was genau ist so geil daran, mit der Frontkamera (die meist nicht mehr als nur normale HD Auflösung macht) mit sich selbst ständig im Bild durch eine so schöne Stadt wie Rom zu laufen? Man verpasst ja die ganze wundervolle Realität, weil man ständig nur damit beschäftigt ist, die Stange vor sich gerade zu halten. Was für ein Schwachsinn. Wenden wir uns wieder den schönen Bauwerken und der köstlichen Pizza zu. Morgen gibt’s mehr davon. Garantiert ohne Teleskopstange.
Sandmann
Moin Sandmann,
da ich relativ wenig verreise (außer Festival´s, Konzerte & Altmetalltreffen), is bisher diese ganze Smartphone-plus-Teleskopstange-Geschichte ziemlich an mir vorbei gelaufen. Ich weiß wohl was n Selfie is, da ich aber noch nie eins gemacht hab, ja nichmal n Smartphone (nich mehr) besitze, bin ich glaub ich der Letzte, der da mitreden könnte.
Wenn ich von irgendwas Foto´s machen möchte, nehme ich meine Kamera, geht auch. Eventuell resultiert das auch daraus, daß ich nich jeden Schiß meiner Umwelt über soziale Medien kundtun muß. Sonst hätte sich das Smartphone bei mir vielleicht auch durchgesetzt.
Scheinbar sind diese Selfiesticks ja auch eher so ne Touristen-Geschichte. Im normalen Tagesgebrauch sind die mir bis jetzt noch nich aufgefallen.
Damals hatten die unaufdringlichen italienischen Kaufleute anstelle von Selfiesticks jede Menge hochwertigster Uhren im Angebot, waren dabei vermutlich aber nich weniger anhänglich. Aber gut, mit sowas muß man als Tourist wohl leben.
Grüße, der Graf
Bester Graf,
ja, das ist ein Touristenphänomen, in Kiel ist mir auch noch keiner damit entgegen gekommen 😉
Als Alternative zu Selfie Sticks gab’s auch noch originale Taschen von Michael Kors und Prada. Da konnte mein Töchterchen nicht widerstehen. Bei den top Marken-Uhren wäre ich vielleicht sogar schwach geworden. Meine Ingersoll ist noch immer nicht aus der Reparatur zurück 🙁
Sandmann
N’Abend Sandmann,
ich nehme mir ja immer vor, mal in einen Urlaub zu fahren und bewusst kein Gerät mitzunehmen, mit dem man Fotos machen kann, sondern mein Skizzenbuch. Bei einer Reise hatte ich beides dabei und nur sehr wenige Skizzen angefertigt, weil es ja so einfach ist, ein Bild in den Kasten zu bekommen, indem man auf einen Knopf drückt.
Die Skizze wäre bei mir sicher kein Selfie, da ich auch vor dem Spiegel keine Gesichter zeichnen kann, dafür aber Gebäude, Plätze, Bäume und Landschaften. Schaut man sich die Werke nach Jahren an, hat man das Gefühl, wieder dort zu sein. Das können mir Fotos nur sehr schwer vermitteln, obwohl sie viel genauer sind, allerding ohne dem selektivem Sehen, welches dem Zeichnen vorausgeht.
Ich benutze meine Frontkamera am Telefon nur um mich anzuschauen. Nicht, weil ich so in mich verliebt wäre, aber man sieht so ohne Spiegel, ob was zwischen den Zähnen hängt oder ob man sich was im Gesicht aufgekratzt hat.
Das mit dem Wurmloch erinnert mich an irgend welche Planeten, die eine extreme Dichte haben, wo dann eine Kugel mit 10 cm Durchmesser mehrere Tonnen wiegen würde. Das finde ich ähnlich unvorstellbar wie die Menschenmassen auf deinen Fotos mit Krückstock äh Selfie-Stick.
Habe etwas Lust bekommen, eine Geschichte über deinen Dottore oder meinetwegen KaSi zu lesen. Gibt es da was neues?
Grüße
Ay Peter,
auch ich bin jahrelang mit Skizzenblöcken durch schöne Gegenden gezogen. Ich hab mal Kunst studiert. Und na klar, du bist gleich wieder da, wenn du die alten Zeichnungen siehst, weil du noch weißt, was du damals gefühlt, gedacht und gesehen hast.
Allerdings glaube ich, dass man das nicht mit anderen teilen kann. Das geht mit Fotos besser. Und wie du weißt – ich teile gern 😉
Der KaSi steht trocken. Den Audi bewege ich täglich, da geht grad so einiges, und das wird man demnächst auch lesen. Kaputte Lichtmaschine 400km von Kiel weg und so. Oh je oh je…..
Sandmann
Diese ganze selfie-seuche ist der totale wahn!
Ich glaube seit ich Smartphones nutze, was auch schon fast 5 Jahre sind, kann man die Situationen in denen ich die sogenannte „frontkamera“ genutzt habe an einer Hand abzählen.
Zu den albernen Sticks sage ich mal gar nix außer… „Ich gehe mit meiner Lateeerneeee“…
Ich denke, auch wenn die Handys mittlerweile ziemlich gute Bilder machen, würde ich in echten Urlaubssituationen eher zu meiner antiken Canon 350D greifen.
Ay Daemonarch,
meine Tochter hatte auch ihre Nikon dabei, quasi vorbereitend auf ihre kommende Ausbildung. Aber wir haben wie nur am ersten Tag mitgeschleppt. Die aktuellen Smartphones können echt gute Bilder, gerade die Panoramen beim iPhone, also für meinen Blog ist das schon ziemlich gut.
Trotzdem werde ich meine geliebte D3100 nicht in Rente schicken. Der Selbstauslöser ist göttlich 🙂
Sandmann
In Berlin rennen sie in Scharen mit den Sticks die Eastside-Gallery entlang. ALLE. IMMER. Aber: Wenn es ihnen Spaß macht? Was soll’s?
Ich wundere mich mehr darüber, dass die Leute unbedingt auf jedem ihrer Fotos zu sehen sein wollen. Ich meine, wenn ich ein Bild an einem bestimmten Ort gemacht habe, weiß ich doch, dass ich da war. Hm. Schwierig. Besonders bizarr wird es, wenn man gar nicht zu erkennen ist:
https://www.flickr.com/photos/mompl/16922705944
Noch ein Pro-Tipp, der gegen die Selfie-Stick-Händler geholfen hätte: Beim ersten Händler einen kaufen, nachdem man ihn in Grund und Boden gehandelt hat (macht Spaß). Danach hast du einen und wirst nicht mehr darauf angesprochen, ob du einen kaufen willst …
Ay Will,
na ja, ab und an stelle ich mich ja auch neben meine Autos aufs Bild. Vielleicht mag ich einfach Bilder mit mir und meinen Autos 🙂 Aber es ist schon cool, nicht erkannt zu werden, vielleicht macht man da eine Kunstrichtung draus?
Und zum schon vorhandenen Selfie-Stick, der die Händler abschrecken soll…. glaube ich nicht. Hat die auch nicht gestört, dass meine Tochter mit einer Handtaschen Kopie rumrannte, sie wollten ihr gleich noch eine verkaufen 😉
Erfolgreich, übrigens…
Sandmann
Hey Sandmann,
Selfies sind lustig. Zumindest diese Smartphone-schaut-was-ich-mache-und-wo-ich-überall-war-Selfies. Ich habe kein Instagram und kein Snapchat (Wobei ich immer noch nicht weiß, ob das etwas mit Fotos zu tun hat) und bekomme oft nur Bilder gezeigt. Meine Lieblingsbilder sind eindeutig die „Morgen gerade aufgewacht und Bild gemacht“-Selfies. Nicht, weil ich komische Vorlieben hätte, sondern weil ich die oft zum Schreien lustig finde. Wer glaubt wirklich, dass man mit gestylten Haaren und womöglich mit Make-Up morgens aufwacht? Hm? Das ist doch Schauspielerei. Wenn ich morgens aufwache, möchte ich lieber nicht in den Spiegel sehen, denn das, was ich dann sehen würde, wäre schlimm. Zum Teil ist das aber auch angeboren. Lustig finde ich auch die „Ich-geh-zum-Sport“-Selfies, die in Jogginghose zu Hause im Bad vor dem Spiegel gemacht wurden.
Ich habe nichts dagegen, wenn man sich mit Selbstauslöser selbst fotografiert. Dazu sind die ja schließlich mal erfunden worden – ich mache es ja auch. Selbst mein Vater hat es vor 40 Jahren schon auf Segeltouren gemacht. Aber da gibt man sich dann auch mehr Mühe mit den Bildern und knipst nicht einfach drauf los. Da kann man dann auch stolz drauf sein..
Schöne Grüße
Lars
Ay Lars,
ich bin da ganz bei dir. Aber ich zweifel ja auch nicht Selfies als solche an (da mache ich ja selbst genug von…..), sondern ich finde diese Verlängerung des Armes und das permanente Rumgelaufe damit einfach albern 🙂 Ich benutze ja zumeist nicht mal ein Stativ sondern suche mir immer irgendwelche Dinge am Straßenrad, auf die ich meine Kamera stellen kann, wenn ich Fotos mit Selbstauslöser mache…
Aber jeder wie er will. Und nu schreib ich mal ein paar Worte über meinen Granada. Es ist an der Zeit…..
Sandmann
Ne Kollegin ist gerade in Rom: Das gleiche Bild, nur mit einem Unterschied, da sie als Paar dort hin reisten (euch kauft man das nicht so ganz ab), sollen die Rosenverkäufer noch aufdringlicher sein: „Wolle Rose kaufen?“ „Hübsche Signorina braucht Rose!“