Siebenmeilenstiefel sieben Geschichten lang
Ich stehe mitten in Zürich und denke: S’git nüt wo’s nit git. Hier war ich ja lange nicht mehr. Ich denke an Stefan H., Michi und Remo, meine autoverrückten Freunde aus der Schweiz. Und an Roy. Seit ich keinen Audi V8 mehr fahre sind meine Pendeleien in das Nicht-EU-Land seltener geworden, zuletzt begleitete mich mein mittleres Töchterchen zu einem großartigen Käsefondue. Das war 2014, das war ein anderes Leben. Ich bin zurück in dieser schönen Stadt mit ihrer seltsam niedlichen Sprache. Ich habe… Zeit! Jeden Tag in einem anderen Bett, jeden Tag mit anderen lieben Menschen sprechen und jeden Tag diese Informationen im Herzen und im Kopf drehen. Das ist toll, aber auch ein bisschen anstrengend. Deshalb sind die besten Fotos diesmal auch Fotos von… Autos!
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Wie kann ich hier parken?
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Frage chostet nüt. Schengen hin oder her, die Streifen auf den Straßen der Innenstadt haben drei verschiedene Farben, und die kryptischen, wenn auch deutschen Ansagen der Parkautomaten verstehe ich nicht. Fränkli, Parkplätzli, Füßwägli. Da es hier, mitten drin nahe dem Hauptbahnhof, aber so gut wie unmöglich ist, einen Parkplatz über Nacht zu bekommen, fahre ich den Daimler nicht mehr weg. Nö jetzt. Erstmal. Das halbfinnische Fräulein Altona, das viertelfinnische Sandmädchen und ich sind heute bei Andreas eingeladen, der in einer schönen Dachgeschosswohnung mit Terrasse über der Stadt wohnt – aber eben mitten drin. Vermutlich bin ich zu nüchtern für diese Automaten? Ah. Warte mal…..
So blöd sind die gar nicht. Nur „zentral“. Ich drücke auf eine Taste mit der gleichen Zahl wie an meiner Parkbucht auf den Boden gepinselt – und für diesen Platz bezahle ich dann. Guck. Da ich gewohnt-allemannisch aber in den letzten Minuten immer noch mehr Schweizer Franken in dieser Blechsäule versenkte, weil ich dachte, irgendwann wird schon ein Zettelchen für die Windschutzscheibe rauskommen, darf ich hier jetzt bis zum 14. November 2023 stehen. Zum Ausgleich der Freude kommt kurz nach unserer Ankunft schon unser Gastgeber nach Hause und bietet den Stellplatz im Innenhof an. Okay, ich parke doch noch einmal um und freue mich, die Stadt Zürich von fast allen Schulden erlöst zu haben.
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Hütt än Rappe, morn än Rappe, gits ä schuöni Zippelchapä. Ich spare noch dran, fast all mein Geld ist in diesem Parkautomaten. Ist ein S210, also das T-Modell des W210, also der Kombi der alten E-Klasse zwischen zwischen 1995 und 2002 (argh!), eigentlich schön? Das Vieraugengesicht hat damals den „Red Dot Design Award“ verliehen bekommen. Der Wagen war progressiv konturiert, geschwungen, schwülstig und rund. Also doch irgendwie anders als die anderen, und das mag ich ja. Dieses ganze Gerede über Sparmaßnahmen und Rostprobleme ist mir egal. Wenn ich ihn allerdings neben einen aktuellen CLS Shooting Brake stelle (googelt den mal) – sieht er in der Linienführung aus wie ein gestrandeter Schweinswal. Vor allem am Hintern. Der Nebeneffekt ist wiederum, dass in den Kahn mehr reingeht als in einen VW-Bus mit Hochdach und Anhänger, und dazu ist er auch noch komfortabel, leise und sparsam.
Während ich hin und her rangiere dieses dicke blaue Auto toll finde schleicht eine schwarze Katze durch mein Sichtfeld im elektrischen Rückspiegel und lenkt meine Blicke auf das teilweise verdeckte Auto, was auch auf diesem Hinterhof steht.
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Däm chalberet no dr Schiitstock! Die DS verfolgt mich. Aber ein Schelm, wer damit ein Problem hätte. Diese hier gehört einem anderen Mieter im Haus, der in seiner Petterson-und-Findus-ähnlichen Hütte im Innenhof lebt. Bestimmt ein Künstler. Oder ein Architekt. Der Wagen ist golden und unbestreitbar wunderschön, auch ohne Red Dot.
Ich stehe mitten in Zürich und denke: an Örg, der seine DS gerade verkaufen möchte. Und ich vermisse meinen XM ein bisschen, wie bescheuert ist das denn bitte? Sollte man mitten in Zürich nicht andere Gedanken haben? Ja. Ich freue mich auf den Abend über den Dächern der Stadt, auf ein gutes Glas Wein und auf noch mehr Geschichten aus anderen Welten. Doch bevor es so weit ist wollen wir unserem kleinen dreijährigen Wasserfrosch einmal den Blick von einem Schiff auf das Ufer und die Berge ermöglichen. Ich war ja schon oft in diesem Städtchen. Aber mitten auf dem Zürisee war ich noch nie, also rauf auf den Touristendampfer. Und bloß nicht den Eindruck erwecken, man käme aus Deutschland. Dann bekommt man seine Pommes und die Cola erst nach langen Stunden des Darbens.
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Chasch nöd s Föifi und s Weggli ha. Na das schwankt aber ein bisschen. Ist das wirklich das Schiffchen? Ich gucke links auf den Uetliberg mit seinem Turm und dem Hotel, und ich gucke rechts auf den Zürichberg und die Straßen, die an seiner Seite rauf und runter führen. Vor mir die Kirchen und die Dächer der Stadt. Unter jedem Dach ein Ach, sagt man. Ich weiß nicht, wie groß oder klein das eine oder andere Ach ist, aber sie sind unter schönen Dächern. Die Leute hier sind reich, arrogant und ausländerfeindlich (ich bin ein Ausländer), aber ich mag diese Stadt trotzdem. Als wir gefühlt nach Ablauf der von mir vorhin zu viel bezahlten Parkzeit tatsächlich noch unsere Fritten und die Cola bekommen, habe ich das gute Gefühl, dass nun ganz Zürich schuldenfrei sein muss. Vo de Riiche muesch s Spare lerä. Es ist schön, am Reichtum der Zürcher nennenswert beteiligt zu sein. Und ich selbst hab nicht mal mehr genug Knete, um morgen den Tank vollzumachen. Doch genug genörgelt, der Blick ist wirklich schön.
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Da gaht no vill Wasser d’Limmät abè. Das Ufer des Sees wiederum lädt ein, um an ihm zu sitzen. Vielleicht einen Kaffee zu trinken. Die Schuhe und die Socken auszuziehen und die Füße ins Wasser baumeln zu lassen. Die Wolken über der Stadt malen dabei ein geheimnisvoll lächelndes Gesicht, wie in einem Gemälde von Leonardo Da Vinci. Ich war viel zu lange nicht hier, schön, solche Gedanken zu haben. Diese Stadt markiert den südlichsten Punkt unserer kleinen Reise, ab morgen Mittag geht es wieder zurück in den Norden. Wie dekadent, eine Jahres-Autobahnvignette für einen einzigen Tag kaufen zu müssen. In Deutschland jammert die Vollgas-Fraktion bei solchen Überlegungen, die Schweizer machen es einfach. Wärr hat’s ärrfundn?? Genaugenommen verlassen wir morgen die Schweiz nur halbherzig. Bad Säckingen am Rhein guckt quasi noch auf die Grenze, und Basel ruft und winkt und lädt zu einer Tagestour ein. Wir haben Zeit. Ist das nicht ein wundervoller Luxus? Zeit zu haben, einfach einmal die Seele baumeln und die Abende sich entwickeln lassen? Ich finde das klasse, und wenn ich davon schreibe, „angestrengt“ zu sein, dann liegt das wirklich nur an der kurzen Abfolge von schönen Ereignissen und Menschen mit vielen Geschichten. Ich möchte das nicht missen. Langweilen kann ich mich als Rentner noch genug, irgendwann 2040 oder so.
Ich stehe mitten in Zürich und denke: Ziit isch am wertvollschtä, wämmer si net hät. Ich habe sie mir genommen. Es ist schön, Menschen hinter dem eigenen Horizont zu kennen. Nicht nur Freunde, auch Bekannte, virtuell und real. Bis hierhin hatten wir einen Hotelier, einen Patenonkel, einen Comiczeichner, einen Großgrundbesitzer und einen Anwalt, eine Mitarbeiterin der United Nations, heute einen Neurologen… Da geht noch was. Immer nur zu Hause rumhocken und dummbatzige Scripted Reality im Privatfernsehen zu glotzen macht einsam und bekloppt. Rausfahren, rumfahren, Menschen treffen, Geschichten erzählen und ihren Geschichten zuhören. Dabei, wenn die Sonne sich senkt, eine gute Pfeife rauchen und ein gutes Glas Wein trinken. Savoir Vivre. Das verstehen die hier sogar. Als ich mich in mein Bettchen unter dem Dach kuschel, die Sterne angucke und noch ein bisschen einfach so daliege bin ich glücklich. Und ich habe diese Geschichte ganz ohne Emoticons geschrieben!
Sandmann
Ich sitze mitten vor dem Rechner und denke: „Gopfadööli, des Schwyzerdüütsch isch ja no luschtigr wemmas schriibet.“
Schöner Roadtrip den du da absolviert hast.
Ay Jo,
ich bin ja ein Norddeutscher. Ursprünglich nicht mal von der Küste, wo platt oder hanseoootisch geschwatzt wird, sondern aus Uelzen. Raum Hannover. Ich glaube, in der gesamten Republik spricht man nirgendwo dialektfreier als in Uelzen…
Deshalb bin ich immer wieder bas erstaunt, wenn ich Dialekte höre oder gar lese. Schwäbisch, Fränkisch, Sächsisch, Kölsch… Urbayerisch… und natürlich auch Schwizerdüütsch. Krass. Ich finde es lustig, aber ich frage mich ernsthaft: Wenn man das auch schreiben KANN, dann wachsen die Kinder in diesen Gegenden ja quasi zweisprachig auf! Ich bin immer wieder beeindruckt, wie man ein klares Hochdeutsch richtig schreiben kann, während man gefühlt eine ganz andere Sprache spricht.
Und witzig ist es dazu……. hihihi…..
Ich mag mein Hochdeutsch *herzchen*
Sandmann
Jau, Sandmann, für uns Süddeutsche klingt auch das Hochdeutsch ein wenig wie ein fremdartiger Dialekt, den wir trotzdem als sog. Schriftdeutsch beherrschen.
Wobei das hier gesprochene Augschburgerisch (Fahrsch mit der Schtrossabah aufn Blärrer oder gohsch z´Fuaß) eher etwas ordinär und weniger witzig klingt.
Ich hab Verwandtschaft in der Schweiz und finde daher schon immer das Schwytzerdütsch lustig. Begriffe wie Töff oder Velo sind kein Problem.
Arg witzig finde ich es immer, wenn sich ein originär starker Dialektsprecher z.B. in Interviews im TV oder als Polizeisprecher im Ringkampf mit der Sprache um ein möglichst sauberes/verständliches „Hochdeutsch“ bemüht. Das geht dann oft in Richtung Satire/Kabarett.
I schwätz wies mir basst.
Jo
Ay Jo,
gniiihihihi ich bin schon ziemlich froh, dialektfrei aufgewachsen zu sein. Wenn ich einen Sachsen irgendwas ernstes sprechen höre – tut mir leid, das kann ich einfach nicht für voll nehmen. Da kann er ja nix für, aber ich MUSS lachen……
Schweizerdeutsch finde ich in erster Linie niedlich. Mich hat mal am Ufer der Limmat eine ältere Dame in einer nicht enden wollenden Litanei zugepöbelt, weil ich 5 cm zu weit auf der Straße geparkt habe. Ich konnte ihr einfach nicht böse sein und habe immer breiter grinsen müssen. Das hat die Situation… äh… sagen wir mal …. nicht gerade entschärft, aber ich habe hinterher echt gute Laune gehabt.
Sandmann
Die Frage ob der S210 schön ist, kann ich mit einem Blick auf meinen S124 mit einem klaren… NÖ! beantworten. 🙂
An Zürich habe ich eher weniger erquickliche Erinnerungen, bin da wohl vor 20 Jahren mal mit dem Bus durch, mitten in der Nacht – und 3 Monate später werde ich zur Polizei zitiert.
Da gab es ein Foto, das das Heck meines Busses zeigt als es über eine rote Ampel zuckt.
350 Mark hat das glaube ich gekostet. Erstickt dran!
Ay Daemonarch,
haha, als der W124 vorgestellt wurde, fand man ihn im Gegensatz zum /8 zu glatt, zu schlicht und zu kantig.
Heute nennt man ihn „asketisch schlicht“ und feiert den Bracq und Sakko einmal mehr. Zurecht, wie ich finde.
Dann kam der 210 und war wuchtig und rundlich. Ich mag den. Aber du hast Recht, wenn ich den S124 neben den S210 stelle nehme ich natürlich sofort den älteren!
Und das mit der roten Ampel…. nun, ich denke, es hat dich niemand dazu genötigt, Verkehrsregeln zu übertreten, orddd? Hihi. Selbst Schuld.
Sandmann
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In der Schweiz sollte man irgendwelche Rechtsverstösse gegen die Verkehrsordnung tunlichst unterlassen. Ich hab einiges an autoverrückter Familie in der Schweiz, wie oft meine Brüder oder mein Vater in ihrem Leben eine zeitlang zu Fuss gegangen sind, möchte ich garnicht genau wissen…
Ein Erlebnis von vor etwa 7 Jahren werde ich wohl nie ganz vergessen: Ich war grad auf dem Weg von Como nach Luzern, als am Ausgang des Gotthardtunnels vier scheinbar nicht ganz nüchterne Niederländer in einem Mondeo versucht haben zu wenden(!!!). Zwei Autos hinter mir war ein Streifenwagen….
Ich glaube nicht, das die an dem Tag noch weitergefahren sind…
Schweiz ist schön, ich bin gern da. Und ja, deine Einschätzungen über Land und Leute treffen es auf den Punkt, das kann ich aus zig Aufenthalten dort nur bestätigen. Zusammengenommen war ich bestimmt zwei Jahre meines Lebens in der Schweiz.
Ay Thorsten,
die allerersten Geschichten in diesem Blog streifen ja noch meine Zeit an der Seite der Mona Lisa, die seinerzeit vom Sauerland nach Zürich emigriert ist. Ich hatte also ein gutes Jahr lang eine Fernbeziehung in der Schweiz und habe die Schweiz, einige ihrer Bewohner und besonders die Stadt Zürich schätzen und lieben gelernt. Alles ein bisschen seltsam, aber das ist ja überall so.
Bin nur froh, nicht mehr so viel fliegen zu müssen, um meine Freundin zu sehen. Und mein Portemonnaie freut sich auch 😉
Aber es war eine wunderschöne Zeit.
Sandmann