Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Flugzeug von Hamburg nach Zürich geflogen und haben Ihren Audi V8 zu Hause in Kiel gelassen. Und die Dame richtet sich, frisch eingewandert, gerade in ihrer viel zu großen Wohnung ein. Sie fahren gemeinsam mit ihrem sportlichen, kleinen, engen Peugeot 206cc Cabrio zum einheimischen schwedisch-tschechisch-chinesischen Möbelhaus, um sich nicht lange danach mit einem voll beladenen Einkaufswagen (Esstisch NORDEN, zwei Stühle HARRY, fünf Teppiche und ganz viel Kleinkram) nebst einer komplett zusammengebauten Riesen-Antik-Kommode LEKSVIK in der Tiefgarage neben diesem Auto wieder zu finden. Das geht da doch alles gar nicht rein, sagen Sie? Ha. Haha! Stimmt, das sehe ich eigentlich auch so.
„Sandmann, lass uns doch kurz zu IKEA fahren und ein paar Kerzenständer und ein paar Duft-Teelichter kaufen, ja?“ höre ich sie noch sagen. Einen entspannten Nachmittag im unbeschwerten Kreise gelb gekleideter, schwizerdütsch babbelnder Freunde erwartend willige ich ein, sind wir doch erst am Abend noch auf das traditionelle Winzerfest bei Remo oben auf dem Berg eingeladen. Bis dahin kann ja nicht viel passieren.
Nun, Sie kennen das. Kurz mal gucken bedeutet: DIESER Tisch muss es sein. Oder nein, doch lieber die Bar-Variante? Wie sehen denn diese Stühle daran aus…? „Lass uns mal tauschen, setz dich mal hin.“ Im Hintergrund sehen wir eine völlig entnervte IKEA-Angestellte unsere vielseitigen Stuhl-Proben schwitzend und dienstbeflissen wieder zu den ursprünglichen Konglomerationen zurückschleppen. Als ich mich zwischendurch einmal nach einem bequemen Sofa umdrehe, wird Mona Lisa kurzerhand von einem sympathischen Single gebeten, sich direkt neben ihn an einen anderen Esstisch zu setzen. Um auszuloten, ob man auch zu zweit daran sitzen könne. Er sei so allein. Irgendwann, draußen dämmert es bereits, fallen die Würfel zugunsten einer Tisch-Stuhl-Kombination, von der ich primär glaube, dass die Kartons irgendwie in den Peugeot passen könnten. Oben in der „Mein Zimmer auf drei Quadratmetern„-Abteilung verliebt sie sich nach einer weiteren Stunde in die sechs-schubladige Riesenkommode LEKSVIK, entscheidet sich dann aber aus finanziellen Gründen dagegen. Sie wollte ja nur Duftkerzen kaufen.
In der SB-Warenhalle ist vermutlich schon mehr als eine Beziehung kaputt gegangen, weil genau hier noch so unglaublich viele Dinge rumliegen, die eigentlich kein Mensch braucht, die aber preiswert und praktisch sind und in keinem Haushalt fehlen dürfen. So finde ich mich kurz vor den Kassen neben einem randvollen Einkaufswagen wieder, der außer dem Tisch und den Stühlen noch zwei Lampen nebst Birnen, fünf kreisrunde Teppiche, einen Milchaufschäumer, viele duftende Teelichter und vier Sets für den Esstisch enthält. Neben den Kassen ist die Fundgrube. Und da steht, wie unter einem Regenbogen des Schicksals, genau unsere LEKSVIK Kommode! Fast 40 Prozent billiger, nur eine kleine Schmarre an der Seite und… zusammengebaut!
Kurz vor einem echten Nervenzusammenbruch („Du weißt, wie klein mein Auto ist. Wir bekommen nicht mal den Tisch und die Stühle da rein!„) lässt sich die Ärztin dazu bewegen, zu fragen, wie lange denn das Parkhaus auf habe. ICH glaube fest daran, dass wir alles mit bekommen („Mona Lisa, dein Auto ist nach oben offen und einen Kombi… braucht man nicht„). Schnell kaufe ich noch für wenige Franken einen Werkzeugkasten FIXA, um LEKSVIK bei Bedarf zu zerlegen. Sie ist inzwischen schon (maximal angespannt) durch die Kassen durch. Mit dem gefühlten Platzbedarf eines 7,5-Tonners erreichen wir das Parkhaus. Die Stimmung knistert und ist auf einem Tagesablauf-entscheidenden Siedepunkt. Ich werde seit der Kasse global für komplett bescheuert gehalten. „Bis das letzte Auto raus ist“ haben wir allerdings Zeit. Also los!
Jaaaaaa, ich gebe zu, dass der Peugeot 206 Cabrio nicht konstruiert wurde, um sperrige Lasten zu transportieren. Allein mit den beiden zerlegten Stühlen ist der Kofferraum endgültig ausgereizt. Okay. Plan B. Das Dach muss auf, wir stapeln in die Höhe. Die Einheimischen neben uns schmunzeln und giggeln und wünschen uns „viel Erfolg„, als sie ihren unbeladenen Minivan aus der Parklücke heraus manövrieren. LEKSVIK muss zerlegt werden. Ich ziehe alle Schubladen heraus und stapel sie nebenan, mit dem Effekt, dass wir nun zwei riesige Stapel von Möbeln neben einem immer noch zu kleinen Auto haben. Aber ich gebe nicht auf.
Tugenden, die sich vordergründig als praktisch erwiesen („schon zusammengebaut“), sind nun eher zeitraubend. LEKSVIK muss da rein. Zusammen mit dem ganzen anderen Geraffel. Bei meiner Ehre. Ich zerlege das antik-furnierte Spanfaser-Möbel unter den mitleidigen Blicken der endgültig abreisenden IKEA-Einkäufer. Da fahren sie dahin, in ihren Kombis, SUVs und Multivans. Haben diese Leute Spaß??? NEIN. Ich schon. Meine Freundin nicht. Sie guckt semi-verhärmt zwischen einem nicht kleiner werdendem Möbelberg und einem voller werdenden, kleinen Auto hin und her und schüttelt -vietnamesische Beschwörungen murmelnd- den Kopf.
„Hallo, Herr Kaiser! Gut, dass wir Sie treffen.“ Ach ja. Was einen in den 70ern in Sicherheit wog, artet heute in einer Welle von Mitgefühl aus. Da ist das Pärchen in dem VW-Bus, das uns schon einige Zeit amüsiert beobachtet und uns dann anbietet, die Möbel nach Hause zu fahren. Obwohl sie in einer ganz anderen Richtung wohnen. Vielen Dank. Haben Sie so etwas schon einmal in Deutschland erlebt? Nein. Okay. Das geht auch so.
Vielleicht ist es dieser Blog, der einen zu Höchstleistungen treibt? Nicht aufgeben, und wenn zumindest eine kompakte Geschichte dabei heraus kommt? Und das tut sie. Ist der Wagen oben offen, ist der Himmel die Grenze, dann geht noch mehr als im Audi V8. Zugegeben, selbst einige Schubladen musste ich brummelnd zerlegen, aber als beide Sitze ganz nach vorn geschoben waren, ging irgendwie alles in dieses Auto rein. Ein kurzer Anruf bei Remo, dass es wohl heute nichts mehr wird mit unserem Besuch beim Winzerfest, und schon kann es zurück auf den Züriberg gehen. Argh. Alles geht rein? Nein, da ist noch ein kleines unbeugsames Detail vergessen worden: Fahrer und Beifahrerin. Wer hat bei Peugeot die vorserste Sitzposition getestet? Vermutlich niemand, der wie ich 1,90 Meter groß ist…
Wir rollen. Nach hinten sehe ich nichts, und meine Stirn duppst bei jeder Bodenwelle an den oberen Scheibenrahmen. Mein linkes Bein ist zwischen Blinkhebel und Lichtschalter gefaltet und ahnt in fast immer den richtigen Momenten, wann es kuppeln muss. Mein rechtes Bein ruht statisch gelähmt zwischen Zündschloss und Volant, lediglich aus dem Fußgelenk heraus kann ich beschleunigen und mache das auch meistens. Ich verstricke mich in Versprechungen ob des Hochtragens der einzelnen Bauteile in der Hoffnung, SIE möge sich doch nun einmal zurück lehnen, schließlich sei doch alles gut gegangen…
Zürich. Ich verbreite diskret den moschusartigen Geruch von verdientem Männerschweiß und trage die Fragmente eines Tages in den zweiten Stock. Morgen werde ich sie aufbauen. Die ehemals monalisahafte Herzärztin ist völlig durch und auf, aber bereitet mir (während ich schleppe) selbstlos eine wundervolle Form des Dankeschöns:
Einen Tisch, den es bei IKEA nicht gibt. Bestuhlt an einem Platz, der nur durch seine Geschichten gemütlich wurde. Geschmückt mit dem warmen Licht der Geduld. Gewürzt mit den Salamischeiben des Vertrauens. Belegt mit dem Käse der Dankbarkeit. Garniert mit dem frischen Baguette der Vernunft. Und herunter gespült mit dem Portwein der Erleichterung. Vielleicht nennt sie es auch einfach nur Entspannung nach einer Odyssee.
Sandmann
Sie wollen vergleichbare Möbelmengen in eine Stufenhecklimousine gestopft sehen? Dann schauen Sie mal HIER 🙂
Lustig, das kommt mir bekannt vor. Komm wir fahren mal zu IKEA….. Ok !?!? Man glaubt nich was man alles in eine Lino reingekommt. Auch wenn die Kniehe an der Lenksäule schleifen und die Beifahrerin fast an der Frontscheibe klebt. 🙂 ein ganz schön beklemmendes Gefühl…..
Kombi? Braucht man nicht 😀
Ich war danach noch oft bei IKEA, aber ich lerne ja. So ein Dachgepäckträger hat schon einige Vorteile…
Sandmann