Es ist recht beschaulich im schönen Lüneburg, der Salz-Stadt. Eine wunderbare Altstadt mit schiefem Kirchturm, das Erste lässt seine Soap „Rote Rosen“ hier spielen und ich wollte eigentlich ganz woanders hin. Muss ich mich ausgerechnet hier verfransen? Anscheinend. Aber manchmal will es das Schicksal eben so – noch während ich versuche, meinem Telefon über GPS und einem krückenden Netz die aktuelle Position zu entlocken, sehe ich aus den Augenwinkeln zwei Scheinwerfer in einem nahezu antiken Kühlergrill, die mich verschmitzt und provokant anblicken. Was ist das?
Ich wittere meinen neuen Traumwagen und steige aus, um nachzufragen. Vielleicht passiert ja doch etwas in dieser Stadt nördlich von Uelzen, wo ich eigentlich hin wollte.
Es ist ein Ford. Der Besitzer, wie sich später herausstellt, steckt mit dem Oberkörper im Motorraum und scheint gedankenverloren mit einem Spanngummi einen Benzinkanister aus Plastik in der Nähe des Vergasers zu befestigen. Als ich ihn anspreche, schreckt er hoch. Dann grinst er, stellt sich mir als „Henning“ vor („und der Nachname tut nix zur Sache…„) und haucht warme Luft aus seinen Lungen in die vor Kälte geröteten Hände.
Im Halbdunkel der Halle hinter Henning präsentieren sich noch weitere nicht uninteressante Fahrzeuge, aber ich will es bei diesem hier belassen. Ich bin sonst morgen früh noch nicht durch, denn Henning handelt mit solchen alten Schätzchen. Zusammen mit seinem Kumpel Marco nennen sie sich „Carracho Classics“ und spüren weltweit gute oder seltene Youngtimer auf, die in Eigenregie fachgerecht wieder aufgearbeitet und verkauft werden.
Doch mir geht es hier und jetzt um das Auto, dessen weit geöffnete Motorhaube zu gähnen scheint. Lange Überhänge der Karosserie und eine Menge Chrom – das ist gehobene Mittelklasse, wenn nicht gar Oberklasse. So einen habe ich noch nie gesehen…
Ein Taunus zum Streicheln
Mein persönliches Wahrnehmen der Modellreihe Ford Taunus begann erst in den 70ern. Unser cholerischer Nachbar besaß so einen als Limousine und verkörperte damit rückblickend den klassischen Taunus-Fahrer schlechthin. Cordhut, immer ein bisschen patzig zu den anderen und immer eine Kippe im Mundwinkel.
Der original Papp-Brief liest sich wie ein vergilbtes Tagebuch aus An- und Abmeldungen, stille Zeugen nie erlebter Wintertage. Aber der Ford hier ist etwas zu filigran, um als geräumiges Zweckmittel von brummeligen Nachbarn gefahren worden zu sein. Henning hält ob meiner neugierigen Fragen in seinem seltsamen Tun inne und holt einen alten Fahrzeugbrief aus der Schublade, der – in einer Wolke aus dem Geruch alter Pappe gehüllt – ein wenig die Historie dieses Autos belegt.
Anno 1965 ließ sich mit Schuhen wohl noch Geld verdienen, lange bevor Al Bundy den Ruf des Schuhverkäufers nachhaltig zerstörte. Bundeskanzler Ludwig Erhard schmauchte seine Zigarren und badete im Wirtschaftswunder, während Drafi Deutscher „Marmor, Stein und Eisen bricht“ in die Ohren der Hausfrauen schmetterte. Und ein gewisser Walter Sieh, Schuhhändler aus Frankenthal, entschied sich für diesen Ford Taunus und damit für ein klares Schwimmen gegen den Strom – denn sein Ford wird die zweitürige Hardtop-Coupé Version.
Die 60er Jahre schreien mich regelrecht an, der filigrane Chrom, die Farbkombinationen und die Polster, die in einer mehrfarbigen Kombination aus Stoff, Kunstleder und Chromapplikationen aussehen wie direkt aus Omas Wohnzimmer. Und Sieh scheint seinen Taunus ähnlich geliebt zu haben, nach einem Job- und Ortswechsel nach Mannheim meldete er sein Auto jeden Winter ab – und jeden Frühling wieder an. Über drei Seiten werden diese vorübergehenden Stilllegungen im Brief mit Stempeln dokumentiert, und erst nach 20 Jahren Treue wechselt der Wagen in die Hände einer Frau Johanna Koch, die ihn drei Monate fährt und dann einlagert. Warum, ist nicht überliefert.
Ein echtes Meisterstück
Ich stehe staunend vor dem nur 19.000 mal gebauten Zeitzeugen und möchte nach dieser Vorgeschichte natürlich gern wissen, was mit dem Coupé im Allgemeinen und was genau im Speziellen mit dem Benzinkanister im Motorraum passieren soll. Henning schmunzelt geheimnisvoll und holt ein bisschen weiter aus. Der Wagen hat seine Macken und Mängel, ist aber komplett ungeschweißt und rostfrei bis auf eine kleine Schmarre im Motorraum. Die Seltenheit dieses P5 (und damit dem 5. Modell der Marke nach dem Zweiten Weltkrieg) rechtfertigt zudem umfangreiche Aufarbeitungen. Weltweit existieren nur noch etwa 100 Stück, davon in Deutschland nachweislich 50 Fahrzeuge – von denen sich ganze 30 auf der Straße befinden.
Dieser 20M (das M steht für „Meisterstück“ und assoziiert bei mir Sahnetorten und Kaffeekännchen) kommt als TS, das bedeutet nicht nur „Touren-Sport“ sondern auch ein 2.0-Liter-V6 „High Compression“-Motor mit damals stattlichen 90 PS. Diese Pferde-Herde wird auch theoretisch noch freigelassen, aber irgend etwas hat sich im Tank oder auf dem Weg durch die Benzinleitung zum Motor festgesetzt. Also hat der schlaue Schrauber Henning die Kraftstoffversorgung kurzerhand umgestellt auf externe temporäre Betankung direkt aus dem Kanister, um die gangbar gemachten Bremstrommeln einzufahren und die Radbremszylinder auf Dichtigkeit zu testen.
Ein Ford wird laufen
6 Volt Bordspannung – auch das ist inzwischen sehr selten geworden. Henning, der Mann mit den grauen Koteletten, dem Schnurrbart und der Schiebermütze, setzt sich hoffnungsvoll ans Volant und bewegt den Zündschlüssel im fein beschrifteten Schloss von „Garage“ über „Fahrt“ auf „Start“. Enthusiastisch dreht das Anlasserchen den altbackenen Grauguss-Motor, bekommt ihn aber nicht gleich zum Laufen.
Henning entsteigt dem Coupé, murmelt leise etwas vor sich hin wie „das ist ein Ford Motor, den bekommt man auch in Gang…“ und kippt einen guten Schluck Super direkt oben in die beiden Kammern des offen liegenden Doppelvergasers. Es folgt ein leicht gurgelndes Geräusch tief aus der Ansaugbrücke. Nach drei, vier neuen Drehungen des Anlassers erwacht der V6 spuckend und hicksend zum Leben und läuft gleich darauf rund und schnorchelnd. Ein Ford eben. Was kann da schon schief gehen?
Der Zahn der Zeit
Und so nimmt Henning mich mit auf eine kurze Reise in diesem mehr als exotischen Automobil. Wir gleiten langsam die Straße hoch, souverän angetrieben vom langsam warm werdenden Motor, der erstaunlich ruhig und seidenweich läuft. Nicht nur die Bremsen, auch alles andere scheint zu funktionieren, und die Technik ist überschaubar. Es riecht – wie in jedem alten Ford – ein ganz klein wenig nach Kühlwasser und Benzin. Mehr Sorgen wird das Aufarbeiten der Polster und des patinierten Armaturenträgers bereiten. Die Sonne hat hier in den vielen Jahren auf der Straße gnadenlos zugebissen, die Verkleidungen und die Mittelarmlehne sind brüchig und rissig.
Alles machbar, Herr Nachbar. Ach nein, der hätte sich so einen ja nicht leisten können.
Patinierte Badewanne
Wir entsteigen nach ein paar Minuten wieder der „Badewanne“, wie das Modell wegen seiner unteren Rundungen vom Volksmund liebevoll genannt wurde. Der „American Way of Life“ durchdringt das Design noch immer, von der schweren, geschwungenen Stoßstange bis zur Form der Rücklichter zeigt das Köln der 60er Jahre eindrucksvoll, dass es auch noch etwas anderes außer Willy Millowitsch exportieren konnte.
Ich müsste eigentlich längst weiter, und Henning hat auch noch eine Menge Arbeit vor sich. Aber erstmal diskutieren wir, ob wir jemals wieder in einen neuen europäischen Kleinwagen mit seinen Plastikwüsten und Informations-Eskalationen einsteigen möchten. Wir sind uns einig: vermutlich nicht. Denn gerade weil dieses Coupé noch nicht aufbereitet wurde und in seiner ganzen originalen Patina trotzdem funktioniert, kommt es so wunderbar rüber. Man sieht ihm sein Alter an. Der Taunus hat sich nicht peinlich liften lassen.
Das Navi in meinem Passat zeigt mir schließlich den Weg aus Lüneburg heraus. Nun sehe ich die Stadt mit anderen Augen: sympathische Häuser, sympathische Garagen, sympathische Menschen. Und sympathische Autos gibt’s dort auch. Und womöglich wird hier eines Tages mal ein Taunus Coupé aufgetrieben, ein kupfergoldenes 🙂
Sandmann
Kontakt: http://carracho-classics.de/
Yeah, schönes Ding! Wo bleibt der DeLorean? Lechz!
Ay Daemonarch,
kommt Zeit, kommt DeLorean 🙂 Bis dahin müsst ihr euch mit ein paar online gestellten TRAUMwagen und den klassischen Geschichten aus dem Alltag begnügen. Momentan sind Beruf und Privatleben ein wenig zeitintensiver, aber ich komme wieder…..
Sandmann
Wirklich sehr barock dieser Wagen…
Ich mag den ja 🙂
Okay, du stehst auf italienische Sportlichkeit, ich bin ja ein erklärter Freund von kommoden rollenden Wohnzimmern…
Vielleicht erzähle ich euch heute Abend noch was aus dem Erzgebirge. Mal schauen wie meine Zeitplanung so läuft…..
Sandmann
Na siehste, geht doch! Soll heissen: Es gibt doch auch schoene Ford. Da muss man sich sowas wie den P4 wirklich nicht antun. Wobei sich die Exotik dieses seltenen Exemplars erst bei naeherem Hinsehen offenbart. Wobei ich mich schwertue: Wie sah der typische Fahrer eines solchen Wagens aus?