Kein Kat, viel Benzin und Achterbahnen

Live-Bloggen auf der 3. Rallye Hamburg-Berlin-Klassik. Tag 2

Liebes Tagebuch.

Die Nacht war kurz, der Freitag fängt früh an! Na das kann ja heiter werden, ich habe jetzt schon Augenringe im Format einer hässlichen Brille aus den 70ern. Waren Sie gestern dabei? Heute startet das Teilnehmerfeld der „wilden 180“ ins schöne Niedersachsen, mitten in die Lüneburger Heide, mitten in meine Heimat! *hach* 🙂 Und man munkelt, es gehe quer durch den Heidepark Soltau bis zur Autostadt Wolfsburg. Aber bis dahin sollen es noch lange Stunden sein, gefüllt mit sinnlichen und manchmal auch brutalen Momenten voller Benzin, Öl und Metall…

Fangen wir sinnlich an.

Er läuft und läuft und läuft, und der hier ist der Millionste der Käfer. Im Original. Vor der beeindruckenden Kulisse der MS Deutschland, mit der meine Eltern lustigerweise ab morgen eine kleine Kreuzfahrt unternehmen und die als „Traumschiff“ schon vor 20 Jahren mit einem damals sehr blonden Sascha Hehn im Fernsehen zu sehen war. Sie erinnern sich? Wir kennen weder den Namen noch die Adresse der jungen Dame, die für die Fotografen Modell steht, also konzentrieren Lars Busemann und ich uns wieder a) auf unseren Kaffee und b) auf die vielen Kilometer, die heute vor uns liegen. Na – dann mal los.

Es sieht auf den ersten Blick ganz entspannt aus. Eine Rallye als Begleitfahrzeug inmitten von wunderschönen Klassikern und netten Menschen mitzufahren, keine Prüfungen machen zu müssen und alle Annehmlichkeiten des Rahmenprogramms abzugreifen. Ha! Was für ein Trugschluss. Versuchen Sie mal, über den ganzen Tag verteilt von der ersten Startnummer bis zu den Youngtimern im hinteren Feld alle Autos mitzubekommen, immer wieder für Fotos anzuhalten und bei alledem noch mit dem Roadbook die gleiche Strecke zu finden! Navi ist nicht. Wenn wir uns verfahren, sind alle an uns vorbei…

Haben Sie etwas zu verzollen? Die bewaffnete original Freihafengrenzerin behandelt den roten SL genau so wie den blauen Fiat Ducato, der als Underdog-Ersatzauto für die leider defekte Isetta angetreten ist.

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Mit dem 1988er SEC spielen wir eine fast unerkannte Rolle. Dieser Wagen ist in verschiedenen Verprollungsstufen durchaus noch im deutschen Straßenbild zu finden. Ist es der nahezu makellose Plegezustand oder der Presse-Aufkleber, der die Leute am Straßenrand winken lässt? Sei’s drum, wir cruisen quer durch das Feld der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, umfahren mehr oder weniger erfolgreich die Wertungsprüfungen und ergötzen uns am fett klingenden Becker Mexico und den frisch erworbenen Musik-Casetten Formel 1 Superhits und Ronnys Popshow. Natürlich von 1989-1992. Nicht immer ganz schmerzfrei, falls Ihnen „Das Omen“ oder „Grandpa’s Party“ noch was sagen 😉

Over? Mitnichten, ich fand schlicht das Motiv gut. Over heißt es übrigens für die allerwenigsten hier. Selbst der undichte Kühler des 103 Jahre alten Renaults ist von den mitreisenden Spezialisten sauber wieder zugelötet worden. Zwischendurch hört man mal nur drei statt vier Zylinder bei einem anderen Auto patschen, oder ein Anlasser streikt. Na und? Niemand wird hier jedenfalls liegenbleiben, weil irgend ein Steuergerät falsche Signale sendet oder ein elektrischer Fühler den Geist aufgibt. Bei den anwesenden Klassikern wird noch Benzin zur Explosion gebracht, und alle Befehle erfolgen mechanisch und direkt auf die Straße!

Hach, wie sie sich freuen! Am Straßenrand stehen erstaunlich viele Zuschauer und blättern in den Programmheften. Sie suchen die Startnummern heraus und lesen die technischen Details der vorbeifahrenden Autos. Einige sind wie eingangs schon erwähnt auch auf Promi-Jagt und um so mehr enttäuscht, dass Herr du Mont heute nicht mehr dabei ist. Ich könnte ihnen schnell erzählen, dass Rauno Aaltonen in dem Mini da vorn ist. Aber im Zeitalter der Gerichtsshows, Hartz-4-TV und C-Promi-Dschungelcamps kann man mit finnischen Rennlegenden nicht mehr bei allen punkten…

Ein WayPoint ist Scharnebeck bei Lüneburg! Hier in dem 1974 erbauten größten Doppelsenkrechtschiffshebewerk der Welt sind die Dimensionen ein bisschen anders als bei den Autos auf der Straße. Den Höhenunterschied von 38 Metern im Lauf des Elbe-Seitenkanals überbrücken zwei Tröge vom Gewicht von je 6000 Mittelklassewagen. Die Kraft wird von 4 Elektromotoren je 160KW pro Trog aufgebracht. Hier werden komplette Frachtschiffe angehoben und bilden eine beeindruckende technische Kulisse für die Wertungsprüfung entlang des Ufers! Ich war hier einmal als ganz kleines Kind. Da war unser SEC noch nicht einmal in der Planung…

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Lüneburg!

Das schöne Städtchen mitten in der gleichnamigen Heide, nicht weit von Uelzen (wer kennt es nicht?), bricht vor Zuschauern fast auseinander. Die Lokalzeitung scheint ordentlich an der Werbetrommel gerührt zu haben, und die Rallyeteilnehmer fahren unter lautem Gejohle und frenetischem Applaus durch die Gassen der Altstadt! Wie an allen besonderen Punkten gibt es seitens des AvD eine Moderation mit interessanten Anekdoten über die Fahrzeuge und ihre Fahrer. Irgendwo hier teibt sich mein halbfinnisches Fräulein Altona gerade rum, ein Gedanke, der mich gleichermaßen mit Sehnsucht und guten Gedanken überschwemmt. Gefühle in der Stadt der „Roten Rosen“. Schmacht. Lars, spul mal vor, ich kann diesen seiernden Mist auf dem Tape nicht mehr ertragen.

Lässt man sich wie wir täglich von vorn nach hinten durch das Teilnehmerfeld fallen (die Startnummern sind nach Baujahren aufsteigend gestaffelt), bekommt man die faszinierendsten und verschiedensten Autos mit. Während die Grillen im Weizenfeld ihre Ballade der endlosen Partnersuche zirpen, rauscht ein Lincoln Continental an mir vorbei. Und rauscht vorbei. Und rauscht vorbei. Wenn Sie um so ein Auto einmal herumlaufen, haben Sie ein veritables Fitnessprogramm absolviert. Bei Nebel unter 50 Metern Sichtweite kann es passieren, dass Sie die vordere Kante der Haube nicht mehr erkennen. Town Car hat man diese Variante getauft. Smart reloaded. Beeindruckend…

Bleiben wir bei den Gegensätzen. Entlang der typischen niedersächsischen Straßen mit Birken und Kiefern auf sandigem Boden fahren Porsches neben Enten, überholen Ferraris auch mal einen Bulli. Bunt sind sie alle auf ihre ganz eigene Art und Weise, und die Leistung spielt hier wie schon gesagt keine große Rolle. Wir rutschen immer weiter nach hinten im Feld, weil wir immer wieder für Fotos anhalten. Kommt hier nicht mal langsam Soltau? Wo es Mittagessen geben soll? Ich schiele auf mein grünes lass-mich-rein-und-gib-mir-alles-Plastikbändchen am rechten Handgelenk und freue mich schon!

Das mittägliche Etappenziel ist aber noch nicht ganz erreicht. Über verwunschene Nebenstrecken gleiten, holpern oder brüllen die insgesamt 25.000PS das zwei- oder viertaktige Lied der kontrollierten Verbrennung. Viele hätte es eigentlich gar nicht mehr geben sollen, aber irgendwo ist immer ein leidenschaftlicher Mensch, der entweder seine eigene Vergangenheit ausgräbt oder einfach in irgend einer Scheune ein vergessenes Schätzchen findet. Und hier kommen sie alle gleichzeitig zum Vorschein. Wo sonst findet man eine deratrige Markenvielfalt?

So. Jetzt aber. Hier war ich AUCH schon ewig nicht mehr, steht hier nicht diese sagenhafte Holzachterbahn? Moment, wie jetzt, wir fahren da wirklich mitten durch? Ja tatsächlich. Der Heidepark Soltau öffnet seine gut gesicherten Nebeneingänge und lässt alle 180 Fahrzeuge nebst Begleitung mitten durch die Achterbahnen und anderen Fahrattraktionen fahren. Was für eine Kulisse. Nicht mehr nur die Motoren und das Blech, nein, auch verzweifelt schreiende Menschen am Rande ihrer Belastbarkeit. Wohlgemerkt nicht in den Autos, sondern darüber, im Doppellooping oder im „Limit“… Verschiedene Arten der Gattung Mensch, die auf verschiedene Weisen ihr Geld in Freude umsetzen.

Will man nach einem schmackhaften Mahl im Piratenhotel dann den Platz wieder verlassen, geht das auch in der einen oder anderen Variante. Diejenigen, die ihren Autoschlüssel NICHT irgendwo gestern Abend an Bord des Raddampfers verloren haben, stecken ihn ins Schloss und fahren los. Alle anderen, wie unser Herr Schade hier, lassen sich vom AvD das Tankschloss und das Lenkradschloss aufbohren, finden anschließend irgend einen beliebigen Schlüssel für die Türen und schließen mit den Kabeln hinter dem Armaturenträger den Wagen geschickt kurz. Mit damaligen Autos war das halt noch möglich… Weiter kommen sie immer.

Zwischen Soltau und Wolfsburg gibt es in erster Linie schöne Ortschaften, Schafe und Heide. Wer hier geboren wurde *wink* fühlt sich zu Hause und freut sich, dass er gucken kann und nicht fahren muss. Alle anderen nehmen das Roadbook ernster und verfahren sich nicht ganz so häufig wie wir…

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Röhrsen. Der Name ist Programm.

Kennen Sie Wittinger Bier? Nein? Dann sind Sie auch kein Niedersachse. Wie die meisten anderen hier. Quer durch die alte, liebenswerte Brauerei führt ein weiterer Kontrollpunkt, und dienstbeflissen werden sowohl der Fahrerin als auch dem Beifahrer je ein Viererträger mit Variationen traditioneller Braukunst ins Fahrzeug gereicht. Schlecht, wenn der Beifahrer unterwegs ist und Fotos macht, dann gibt’s nur einmal vier Flaschen. Im Rahmen eines motorsportlichen Events ist die Vergabe von Bier natürlich genauso zweifelhaft wie die alkoholische Vielfalt in den Regalen der Tankstellen, aber uns haben diese vier Bier erheblich den bloggenden Abend versüßt. Wittinger – mag ich 🙂

Wenn Sie ein Fan vom Großstadtrevier sind, kommen Sie an Til Demtröder nicht vorbei. Und wenn Sie parallel dazu gut aussehende moderierende Rennfahrerinnen schätzen, werden Sie auch Eve Scheer kennen. Ich kannte bis gestern beide nicht und freu mich jetzt immer wieder, wenn sie in ihrem roten Sport Quattro an mir vorbei dröhnen. Das Auge isst ja bekanntermaßen mit. Und so verlässt der gut gemischte Pulk das Örtchen Wittingen und begibt sich auf den heutigen Endspurt. Ziel: Wolfsburg, die Autostadt. Etappenziel und Treffpunkt für den heutigen Abend, das Fahrerfest und eine kleine visuelle Überraschung.

Autostadt Wolfsburg? Was ist das? Sie sollten es sich ansehen. In einer riesigen Parkanlage stehen verschiedene Pavillons, umgeben von Rasen und Wasser. Sei es das Neuwagen-Tetris in den großen Türmen, wo Kunden ihre Volkswagen abholen oder das Zeithaus der automobilen Entwicklungsgeschichte. Klassiker zum Greifen nah. Fast wie auf unserer Rallye. Leicht belustigt fahren wir, gerade angekommen, vom Hotel Riz-Carlton wieder zurück in ein etwas außerhalb gelegenes Etablissement. Hihi. Nein, da hatten wir dann doch keine Zimmer gebucht bekommen. Schade.

Gute Nacht, Freitag. Du wirst die letzten Sonnenstrahlen noch mit einem gewaltigen Wasserspiel mit Feuer und Videoinstallationen verabschieden und einem Feuerwerk würzen. Diese Bilder habe ich von meinem Rotweinglas aus nicht festgehalten, die finden Sie in der offiziellen Live Berichterstattung. Was für ein beeindruckender Abend vor der gelblich beleuchteten Kulisse der klassischen Fahrzeuge. Let’s call it a day, wohlgleich wir noch ein bisschen auf den Zimmern schreiben müssen. Ich bin glücklich, aber hundemüde. Wie mag es den anderen Teilnehmern gehen? Alle um mich rum sehen eigentlich entweder glücklich oder leicht angetüdelt, zumeist beides, aus. Autos machen froh. Alte Autos machen glücklich. Und viele gleich tickende Menschen auf einem Haufen sind schon eine feine Sache.

Man sagt, ich hätte mich nach der zweiten Zigarre mit den beiden Testarossa Fahrern auf einen Deal eingelassen. Dass ich morgen, nachdem die offizielle Strecke durchfahren ist, einmal diesen Ferrari fahren soll. Okay, liebes Tagebuch? Wenn das so ist. Dann warten wir mal auf morgen…

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

2 Antworten zu Kein Kat, viel Benzin und Achterbahnen

  1. calimero sagt:

    Nu?
    Wer ist bitte Eve Scheer? Hübsche Frau, aber kannt man die? Das Auto vom Buck ist ja großartig, der alte Porsche. Aber das ist nicht sein eigener oder? Ich glaube ich will heute Abend mal wieder „Herr Lehmann“ gucken…

    Eine großartige Berichterstattung. Kommt die auch ins Heft? Ich hoffe doch.
    Der Abel

  2. Sandmann sagt:

    🙂
    Eve Scheer kennt man von „Unter uns“ oder „Traumschiff“ (oder man kennt sie nicht, weil man beides nicht guckt). Oder man hat sie schon am Steuer bei verschiedenen Rennveranstaltungen gesehen, oder als Moderatorin. Google doch mal 😉
    Aber falls es dich beruhigt – ich musste mir auch erst erklären lassen, wer das ist. Aber hübsch anzusehen, gell? Und sie fährt RICHTIG gut Auto…

    Im Heft kommt natürlich auch ein großer Bericht über die Rallye von der Dani Peemöller. Print sind wir ja nicht…

    Sandmann

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