Entlang den Straßen einer italienischen Insel.
Automobilie Erfahrungen auf Sizilien Teil II.
Ay liebe Blog-Gemeinde,
ein Panda ist ein Panda ist ein Panda. Okay. Manchmal ist ein Panda auch ein Auto, zumindest will er einer sein, und mit diesem … (fast) Auto machen mein halbfinnisches Fräulein Altona und ich für 11 Tage das liebliche Sizilien unsicher. Lieblich? Ganz Sizilien, vermute ich, ist in fester Hand des Tourismus und/oder der Mafia, hat doch die Cosa Nostra hier in Palermo ihre Wurzeln. Aber irgend etwas ist anders als noch im vergangenen Jahr auf Sardinien (ein paar Meilen weiter im Norden). Irgendwie ist hier die Einstellung zu den fragilen Schönheiten der trockenen Natur ein bisschen „italienischer“. Und irgendwie tut sich an einigen Ecken der großen Insel seit Jahren nichts mehr. Was während unserer Anreise noch in Form einer schweizer Fluggesellschaft eher mittelalterlich anmutete, setzt sich hier auf dem Eiland in gewisser Weise fort. Wir tauchen einmal durch die etwas schrägeren Ecken des Sommers…
Sommer, wie?
Ja, Sommer. Wir haben Ende September, und der Scirocco fegt über das Land. Nicht etwa der VW mit den sportlichen, junggebliebenen Familienvätern an Bord, sondern der, der von Nebenan kommt. Aus Afrika, in Form eines echt heißen Lüftchens. Satte 30 Grad hat er zu dieser Jahreszeit noch im Gepäck und stellt dem Miet-Panda-Piloten vor zwei Möglichkeiten: Klimaanlage AN mit dem Effekt, das an jeder Ampel vom Kompressor abgewürgte Motörchen wieder anlassen zu müssen oder Klimaanlage AUS, Fenster runter und den Spätsommer ungebremst hereinlassen. Nach ungezählten Schlüsseldrehern und einer sich langsam anbahnenden Sehnenscheidenentzündung in der Anlasserhand entscheiden wir uns für Möglichkeit zwei. Wärme ist doch eigentlich ganz schön. Und los geht es auf die Straßen von Sizilien, auf der Suche nach einem bleibenswerten Plätzchen für diesen schönen Tag!
So ganz ohne moderne Kommunikationsmittel reist man heute in einem fremden Land nicht mehr gern. Ich habe natürlich mein Mobiltelefon dabei, falls es unterwegs trotz der jungfräulichen 60.000 Kilometer auf dem Tacho einmal eine Panne gibt. Fahren Sie vielleicht auch ohne Helm Fahrrad? Rauchen Sie?? Oder leben Sie womöglich vegetarisch??? Dann kennen Sie die unkalkulierbaren Risiken des Alltags und bereiten sich ausreichend darauf vor. Natürlich schnallen wir das Handy auf dem Rücksitz ordnungsgemäß an, schließlich wollen wir nicht in Konflikte mit den hiesigen Ordnungshütern geraten. Denn die sieht man hier doch recht häufig in ihren Alfa Romeos. Und man weiß ja nicht so richtig, von wem die bezahlt werden…
Leaving Taormina. Ein paar Kilometer hinter dem malerischen Touristenstädtchen am Ionischen Meer beginnt die Autobahn nach Catania und Messina, die natürlich Geld kostet. Ein unfassbar verschlissener Kasten auf Augenhöhe mit einem dicken roten Not-Aus-Knopf behauptet, uns Eintritt in die Hochgeschwindigkeits-Verkehrsadern einer bis heute wenig besuchten Gegend zu gewähren. Er rülpst einen bräunlichen Zettel aus und entlässt uns mit einem grünen Licht auf eine Asphaltpiste mit Tunneln und Baustellen, an deren anderem Ende nach einer Stunde ein weiterer grauer Kasten sitzt und mich anguckt. Ich gebe ihm den braunen Zettel. Der Kasten tippt etwas in seine Tastatur und bekommt dann von mit 1,60 Euro in die offene Hand. Günstig. Der Kasten wünscht uns mit teilnahmsloser Mine noch einen schönen Tag und freut sich auf den nächsten Kunden. Berufe 2010. Heute: Mautkassierer auf Sizilien.
Wo sind wir denn nun gelandet? Schnell darf man hier nicht fahren, aber das weiß eigentlich niemand. Zumindest nicht die Vespafahrer und gefühlt auch nicht alle Kleinwagen hinter uns. Das Salz und die Zeit haben die Schilder nahezu aufgefressen, und ab hier verlassen wir uns lieber auf meine Lisa, das Navi. Die lustige Idee, die Dame doch mal auf italienisch die Richtungen und Straßennamen vorlesen zu lassen entpuppt sich als Flop. Nachdem ich drei mal falsch abgebogen bin, schalte ich zurück auf Deutsch und beschließe, mir einen italienischen Grundlagenwortschatz anzueignen. „Girate a sinistra„. Was hat sie gesagt??? „Voltare, prego.“ – Wir sind hier definitiv nicht richtig… – „Girate a destra!“ Ach hör doch auf.
Manchmal begegnet man hier auch einer Vespa mit erheblich vergrößertem Ladevolumen. Vollgestopft mit Gemüsekisten und Obstkörben stehen diese liebenswerten Motomobile an strategischen Ecken und bieten ihre Ware feil. Wie auf einem kleinen Wochenmarkt bekommt der ambitionierte Vorbeireisende hier frische Zitronen und Orangen, Oliven, Pistazien und kalte Cola. Solange sie stehen, sind sie eine Augenweide und ein olfaktorisches Erlebnis der südlichen Art. Auf dem Nachhauseweg möchten Sie diesen Dreirädern allerdings nicht begegnen. Im einspurigen Feierabendverkehr gilt das Gesetz der Nebenstraße, Blick nach vorn und Gas geben, die anderen werden schon bremsen…
Irgendwo hier muss die Innenstadt sein. Woran ich das festmache? Er erscheint die erste Ampel an einer völlig demotivierten Stelle. Neben grün und rot sagt uns dieses relativ moderne Verkehrsleitsystem außerdem noch, was die Lichter bedeuten, in welchen Randzeiten sie anders interpretiert werden müssen und dass wir hier eigentlich ohnehin gar nicht mit einem Auto durch dürfen. Viel zu lesen. Was nicht schlimm ist, weder für uns noch für irgend ein anderes Auto, das hier NICHT ist. Die Straßen sind jetzt in der Nachsaison menschenleer. Das grüne Licht klickt verheißungsvoll durch die Stille und regelt dienstbeflissen etwas, was nicht geregelt werden braucht. Aber es ist schön warm hier.
Den Überblick behalten. Einen Plan nicht nur haben, sondern im Rahmen der eigenen Möglichkeiten auch umsetzen. Irgend jemand hat ein Jobgesuch auf den Stadtplan geklebt, von irgendwo her riecht es nach altem Urin und Bauschutt. Wir sind in der Nähe des Bahnhofs und finden einen relativ schattigen Parkplatz ohne irgendwelche Schilder, die das Parken hier verbieten. Was natürlich nichts heißen muss. Aber der Panda ist recht gut getarnt, nur ein kleines Mietwagenschildchen in der Windschutzscheibe verrät, dass er nicht von einem einheimischen Muttchen als Alltagsmobil genutzt wird. Das Handy hat sich ein bisschen hingelegt, der Scirocco ärgert an der Westküste nacktbadende Sonnenschirmfetischisten – und mein TomTom schaltet sich aufgrund eines nicht näher einzugrenzenden Bugs immer wieder von allein ein und plappert dann im dunklen Handschuhfach leise vor sich hin, wir mögen doch bitte an der nächst möglichen Stelle umdrehen. Wenigstens nicht auf italienisch. Irgendwann ist jeder Akku einmal alle.
Hier und heute geht es NICHT nach Rom. Nein. Der Zug steht, die Anzeige schweigt. Das ist auf (wieder einmal) zwei Arten und Weisen interessant. Zum einen beruhigt diese Nachricht, nachdem wir auf unserer Anreise mehrfach virtuell nach Rom und nicht nach Catania geschickt wurden. Vor diesem Hintergrund schön, dass irgendwas einmal nicht nach Rom reist. Zum anderen belustigt die windschiefe Anzeigetafel dadurch, dass sie schon ab Werk ein Feld für Verspätungen vorrätig hat und damit einen guten Einblick in den Italien way of Life gewährt: Macht mal alle ein bisschen ruhiger, es wird schon irgendwie gehen. So langsam verstehen meine planungsaffine Halbfinnin und ich das. In diesem Land platzt dir irgendwann der Kopf, wenn du nicht auf Entspannung schaltest und im Strom ein bisschen mitschwimmst.
Mit mildem Lächeln akzeptieren die tourismusabhängigen Barbesitzer inzwischen wortlos, dass die Touristen das Frühstücksgetränk Cappuccino zu jeder erdenklichen Tageszeit bestellen. Im (eigentlichen) Land des Kaffees sei allerdings auch erwähnt, dass es erstaunlich viele Etablissements gibt, bei denen man sich fragt, wie die ihren Kaffee (also den Espresso) eigentlich zubereiten. Geschmack ist nicht immer im erwarteten Maße vorhanden, oft wünsche ich mich in meine geliebte amerikanische Starbucks-Welt zurück. Da schmeckt fast jeder Kaffee besser. Aber südliches Ambiente reißt viele Defizite wieder raus, und diese Arrancinis… die muss man einfach einmal gegessen haben, und die bekommt man nun einmal hier in Deutschland nicht! Anders als das köstliche Lemon-Soda in Dosen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Doch wo gegessen und getrunken wird, da fällt auch Müll an. Diesen finden wir in rauhen Mengen entlang der Straßenränder, denn in Italien wirft der allgemeine Autofahrer seine Überreste schlicht aus dem Fenster. Landschaftlich malerische Gegenden wechseln sich ab mit fröhlich-bunten, stinkenden Müllhalden. In der Nähe der Ortschaften stapeln sich die Säcke teils meterhoch, und schon fast klischeehaft sehen wir hier und da Kinder in ihnen spielen. Irgendwo war einmal zu lesen, dass die allgegenwärtige Präsenz der Mafia (und die damit verbundenen Abgaben) ein vernünftiges Wirtschaftswachstum verhindere. Blicke ich auf die ärmeren Gegenden dieser schönen Insel, glaube ich zumindest daran, dass es irgendeinen Grund dafür geben muss. Es ist schön hier, es wachsen Zitronen und Orangen, es kommen viele Touristen und das Leben kostet nicht viel. Wo um alles in der Welt ist die Kohle?
So dreckig es auch in einigen Ecken ist – die Menschen scheinen sich an einen einfachen Lebensstil gewöhnt zu haben. Das wiederum macht die Insel sehr sympathisch. Zwischen pöppelnden Vespas und röhrenden Fiats klappert wie bei Pinocchio ein alter Mann auf einem Esel vorbei und scheint mit sich und dem Leben soweit ganz gut klar zu kommen. Es gibt hier zwischen den Bergen und den Küsten eine Menge Land, und es ist für nordeuropäische Verhältnisse gar nicht teuer. Eine zweistöckige Wohnung in der Stadt kostet rund 50.000 Euro, eine unbebaute Landparzelle im Großgrundbesitzerformat nur ein paar 1000. Überall treffen wir auf sterbende Zeugen einer ehemals wohlhabenden Stadtbevölkerung. Stattliche Palazzi und filigrane Villen stehen leer und verfallen einfach. Neubauten werden halbfertig stehen gelassen und mahnen als bizarre Skelette die Vorbeireisenden.
Viele semi-philosophische Fragen, ich sollte mir einfach einmal ein Buch über die geschichtliche Entwicklung der süditalienischen Wirtschaft kaufen. Vielleicht erklärt das schon einige Gegensätze. Oder wissen Sie da ein paar mehr Details? Während wir noch mit Blick auf das tiefblaue Wasser in einer Nebengasse unseren Gedanken nachhängen, ertönt aus einer Wohnung weiter oben italienisches Gekeife und Gezeter. Die Frau des Hauses scheint unzufrieden. Und wieder würde ich gern mehr verstehen 🙂 Das Leben brummt an dieser Ecke. Es duftet nach frisch gewaschener Wäsche, Espresso und Pizzateig. Und gleich an der nächsten Ecke wiederum stinken die Mülltonnen mit den Fischabfällen, abgemagerte Katzen und Hunde streunen herum und die Häuser sind verlassen. Bizarr.
Liebesbekenntnisse in Zeiten von SMS und Internet. Und wenn man keine Bäume hat, nimmt man einen Kaktus. Schließlich bietet der einem auch noch saftige und köstliche Feigen an, wenn man nur weiß, wie man sie nicht anfassen sollte. Nein, natürlich ist nicht alles auf Sizilien nur dreckig und stinkend. Aber vieles ist… nun… doch zumindest recht einfach. Und das kann auch seine Vorteile haben. Zu einem einfachen Abendessen wird ein einfacher, leichter Weißwein gereicht, hinterher gibt es noch ein bisschen einfachen Käse. Und alles entbehrt nicht einer besonderen Köstlichkeit! Es ist hier sehr angenehm in der Nebensaison, die Italiener haben keine Ferien mehr und der emsige Alltag ist nach norddeutschen Maßstäben erlebnisreich anzusehen. Wir parken den Panda erneut an einer Stelle, von der wir hoffen, dass er da nachher auch noch steht und steigen aus. Das Handy möchte gern noch ein bisschen verweilen.
Genug Armut betrachtet für den heutigen Tag. Im antiken Theater von Taormina, zurück aus der Umgebung, klingt der Abend aus. Von hier aus fällt der Blick auf den Ätna und die Bucht von Giardini Naxos, wo wir jeden zweiten Tag baden gehen. Im kommenden dritten und letzten Teil unserer Kleinwagenerlebnisse fahren wir einmal per Auto auf den immer noch aktiven Vulkan und zu weiteren landschaftlich beeindruckenden Plätzchen. Denn bei allem Müll und bei aller Armut – Sizilien ist ein geschichtsschwangeres Plätzchen voller Geheimnisse und Geschichten. Die spröde Schönheit braucht ein paar Tage, bis sie Besitz von ihrem Besucher ergreift. Aber wenn man sich erst einmal drauf eingelassen hat, ist jeder neue Tag etwas besonderes!
Sandmann