Was wollen wir eigentlich in diesem Nest?
Wenige Geschichten und Legenden ranken sich um die Stadt Uelzen in der Lüneburger Heide. Schlagwörter wie Barftgaans oder Hundertwasser ziehen durch die Tageszeitungen und überpinseln bunt die graue Wahrheit einer überalterten Stadt, an der die Zeit vorbeigezogen ist. Die City entvölkert sich, kleine Geschäfte singen den Blues der schönen Nachbarin Lüneburg und sterben einsam mit dunklen, leeren Schaufenstern. Ich bin hier aufgewachsen. Der malzige Geruch der potthässlichen Zuckerfabrik hat die ersten 12 Jahre meines Lebens geprägt. Heute fahren mein Töchterchen und ich zurück in die strukturschwache Flächenregion, denn es ist bald Weihnachten. Und man mag von Uelzen halten was man will – es hat für mich den Zauber der Kindheit, und hier wohnen ein paar Menschen mit sehr großen Herzen. Außerdem gibt’s im Dezember abends um 18:00 Uhr immer leicht bekleidete junge Engel zu sehen. Und ein Hotelzimmer mit Badewanne. Kommen Sie mit?
So eine Reise will akustisch gut vorbereitet sein ♫
Vorbereiten bedeutet in diesem Jahr, bei Saturn den armen TECH-NICK total zu überfordern und nach seinem Zusammenbruch zwei Maxell Kassetten zu kaufen. Analoge Audiotapes. Ja, die gibt es noch immer, ich hab mich auch gewundert, und Nick als vollbärtiger Digital Native hat in seiner Welt wieder was dazu gelernt. Am Vorabend des Wochenendes sitze ich auf dem Fußboden in meinem Wohnzimmer und nehme mal wieder Tapes auf. Wie lange ist das her? Wann haben SIE ihre letzte Kassette aufgenommen? 1995? Großartig. Und es geht natürlich noch immer so wie früher, das Band ein bisschen vordrehen, die Lautstärke auspegeln und dann REC und PLAY gleichzeitig drücken. Dann hat man 45 Minuten Freizeit, bis die andere Seite dran ist. So viel Zeit muss sein. Wenn Sie mich nun für bescheuert halten, liegen Sie vermutlich richtig, aber im alten silbernen Audi steckt noch ein Blaupunkt Freiburg SQM 26. Mit einem Kassettenteil und einem Radio ohne RDS. Was soll’s, da bietet es sich doch an, ein paar Tapes zu hören, wer will sich denn freiwillig länger als 10 Minuten NDR 1 Niedersachsen ausgesetzt wissen? Zufällig hat mein Töchterchen neulich beim Tanzen „Moskau Moskau“ in die Ohren geblasen bekommen und fand das echt lustig. Okay. Ich nehme also das „ROM“ Album von Dschinghis Khan auf. Und auf die Rückseite TRUCK STOP – Nicht zu bremsen. Auf Tape Nummer zwei kommen meine amerikanischen Lieblingsweihnachtslieder und ein Album von Francis Cabrel. Jetzt kann es glaube ich losgehen.
Das Wetter war noch bei keiner unserer Dezembertouren so schlecht!
Es regnet junge Hunde und Hamster (zu den jungen Hunden kehren wir thematisch in Teil 3 nochmal zurück, erinnern Sie mich bitte dran) und ich möchte gern mal dem Petrus die Meinung geigen. Vielleicht finden wir ihn ja wieder lattenstramm auf dem Weihnachtsmarkt, sollten wir da heute jemals ankommen. Eigentlich stehen die Zeichen gut, der alte Audi ist durchrepariert, hat eine neue Starterbatterie und – Fanfare bitte – nagelneue Bridgestone Winterreifen drunter. So gut ausgestattet waren wir auf dieser traditionellen Reise noch nie 🙂 Wenn Sie mal nachlesen wollen,
2012 war’s recht schneereich und
2013 ziemlich emotional, aber ohne Schnee. Dafür mit Poesiealben 🙂
2014 habe ich für die erste Nacht um Asyl bei meinem Freund Olaf und seiner Familie gebeten und für die zweite Nacht wieder ein Zimmer im alten Hotel Stadt Hamburg gebucht, weil die da Badewannen haben. Doch von Wasser sprechen wir lieber ein andermal, allein beim Tanken am späten Freitag Nachmittag werde ich nass bis auf die Knochen, was zwar nervt, aber die gute Laune nicht trübt. Dafür sorgen die aktuellen Benzinpreise.
Sprit ist immer noch viel VIEL teurer als in meinen automobilen Anfangstagen (da hat Super ’ne Mark gekostet, und das ist noch gar nicht soooo lange her), aber er war schon lange nicht mehr so preiswert wie heute. Um 1,30€ der Liter Super? Geil. Ich pumpe den Tank vom Dottore randvoll, puschel dann noch unsere Bettdecken auf den Rücksitz (das ist so eine Marotte von uns, wir nehmen immer unsere eigenen Bettdecken mit, wenn wir bei Freunden übernachten) und lade das schöne, junge Fräulein ein, was sich meine Tochter nennt. Die Mittlere. Sie kennen diese Verwandtschaftsverhältnisse ja inzwischen fast besser als ich. Ursprünglich hatte ich noch ein bisschen Platz im Kofferraum gelassen, weil ich der Dame eine eigene Gitarre in Uelzen kaufen wollte. Das hat sich leider erledigt, der zuvor gegoogelte Gitarrenladen ist einer von den Sterbenden mit dem dunklen Schaufenster. Der befindet sich jetzt in Lüneburg. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch ohne Musikinstrument klarkommen, es wäre das erste mal, dass Langeweile aufkäme.
Der Weg ist am Ziel, oder so ähnlich, Sie kennen das ja… Allerdings habe ich diesmal aus mehreren Gründen unterwegs die Kamera schweigen lassen. Das Wetter ist einfach zu schlecht, da will man den angenehm warmen neckarsulmer Technologieträger nicht öfter verlassen als unbedingt nötig. Außerdem läuft der große Vierzylinder dermaßen sauber und rund, dass ich gar nicht aufhören kann, den Moment zu genießen. Auch wenn er über zwei Stunden andauert, dieser Moment. Seit ich gelesen habe, dass der Orgasmus von Schweinen bis zu einer halben Stunde dauern kann habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich mal zwei Stunden am Stück beseelt lächel, weil mein altes Auto so gut fährt 🙂
Und dann ist da ja auch noch mein Teenager-Töchterchen, was ich eine Woche lang nicht gesehen habe. Eine Woche bei Familie Sandmann ist eine halbe Ewigkeit, Sie können sich gar nicht vorstellen, was in einer Woche zwischen Hamburg und Kiel alles passiert. Und das will mitgeteilt werden! Trotz noch nicht ganz abgeklungener Heiserkeit erzählt sie und erzählt und erzählt, sie erzählt so viel dass die Scheiben beschlagen. Im Hintergrund singen Dschinghis Khan ihre von Ralph Siegel produzierten Disco-Schlager der frühen 80er und ich höre zu. Meiner Tochter, nicht den verkleideten Quartett mit Schnurrbart und Engelslocken. Denen zolle ich auf diesem Weg heimlich mein Tribut, weil nämlich Tiffy heute Geburtstag hat. Tiffy? Ja, Tiffy. Wenn Sie damit nichts anfangen können schauen Sie mal auf ihrer Hochzeit rein *klick* – das Bild mitten drin…… Der alte Partykeller….. genau da haben wir an ihrem Geburtstag genau dieses Album gehört. Heute vor… äh… vor 32 Jahren 🙁 Ohgottogott. Ist das lange her. Ich höre weiter meiner Tochter zu und stelle fest, dass die Sorgen und Gedanken einer 14jährigen heute ein wenig erwachsener strukturiert sind als meine eigene kleine Welt 1982. Zeiten ändern sich. Aber sie hat wenigstens einen Papa, der ihr zuhört, meiner war damals irgendwie immer woanders.
Da sind wir wieder, Westerweyhe bei Uelzen, unter dem Fernsehturm.
Olaf – mit Tochter.
Markus – mit Sohn.
Sandmann – mit Tochter.
Fällt Ihnen was auf? Jahaaa ich hab ein bisschen früher angefangen als meine beiden besten Freunde aus Kindertagen 🙂 Und ich seh ein kleines bisschen fertiger aus als die beiden. Auch sonst eint uns drei Freunde nach außen eigentlich wenig, ich arbeite nicht in der Sparkasse und ich wohne auch nicht mehr in Uelzen. Ich bin auch nicht mehr verheiratet, wohne nicht in einem Haus… ach egal. Es ist eine gemeinsame Vergangenheit (die unter anderem in Tiffys Partykeller stattgefunden hat), die uns dreien einen guten Abend/einen guten Morgen mit vielen Erzählungen und Fotos beschert. Es gibt da außerdem noch so eine Geschichte mit einem warmen, im Auto gut durchgeschüttelten roten alkoholfreien Sekt und einem Wohnzimmer mit einer weißen Decke und zimtfarbenen Wänden, aber die lasse ich jetzt lieber weg. Tandaradei ♫
Olaf erklärt uns noch auf einer Karte (liebe Kinder, das ist so ein gefaltetes Blatt Papier, auf dem ganz viele Straßen und Wohngebiete eingezeichnet sind), wie wir gleich wieder aus dem Neubaugebiet rauskommen, obwohl der neue Abschnitt der Umgehungsstraße noch nirgendwo kartographiert wurde. Das macht Sinn. Mein Töchterchen und mich ruft ein kleiner Schnippsel Vergangenheit und eine Einkaufsrunde durch das menschenleere Uelzen. Oh ja!
Ich komm‘ immer viel rum hier. Heute liegt das vor allem daran, dass ich Olafs Ausführungen mit dem Stadtplan überhaupt nicht zugehört habe, weil ich fest davon überzeugt war, als Eingeborener den Weg auch so finden zu können. Schade. Wir haben eine Menge Benzin in mir völlig unbekannten Gegenden verfahren, ich habe interessante Neubaugebiete entdeckt, die ich nicht mal von der Himmelsrichtung her dem Landkreis zuordnen kann und bin durch Wälder gefahren, die noch nie zuvor ein Mensch betreten hat. Irgendwann, es ist schon später Nachmittag und ich habe ziellos umherirrend bereits drei mal vollgetankt, kommen wir an einer Sparkasse raus, an der wir nach Olafs Worten rechts abbiegen sollen. Ich mache das. Und erkenne endlich die Straßen wieder, in denen ich als kleiner Junge schon meine Runden mit dem Fahrrad gedreht habe. Ich erinnere mich an futuristische, kugelförmige Straßenlaternen zwischen alten Fachwerkhäusern und eingeschossigen Plattenbauten. Oldenstadt heißt dieser Teil von Uelzen, und der Elbe-Seitenkanal trennt diese Häuseransammlung seit 1976 in Oldenstadt und Oldenstadt West. Ich bin im Westen aufgewachsen, Olaf und Markus im Osten, auf der anderen Seite des Kanals.
Auf der anderen Seite des Kanals war auch der flache kleine Kaufmannsladen, in dem ich wöchentlich meine Micky Maus und später mein Yps kaufte. Da gab’s auch Plastikmodellbausätze von Airfix, Süßigkeiten und Gardinen. Mein langer Weg zu Heers glich jede Woche einer kleinen Pilgerreise, denn manchmal war das YPS Heft noch nicht ausgeliefert worden und ich musste ohne Beute wieder nach Hause radeln. Ich kann mein Töchterchen dazu bewegen, diese eine Geschichte noch einmal nachzuerleben. Ich will sie nicht mit zu vielen Kleinteilen aus meiner verschütteten Kindheit beballern… „Vati erzählt wieder Geschichten aus dem Krieg“ sagt mein halbfinnisches Fräulein Altona dann immer 😉 Aber ohne eine klitzekleine Dosis Vergangenheit geht es nicht in Uelzen, und mit Aussicht auf shoppen in der Stadt und die abendliche Badewanne ist sie natürlich gern dabei. Geht auch schnell. Die futuristischen Kugellampen gibt es immer noch vereinzelt. Den Kiosk Heers aber nicht, das Gebäude ist abgerissen und durch einen modernen Backsteinbau ersetzt worden, in dem nun die Sparkasse ist. Markus arbeitet hier.
Oder halt – doch. Es gibt Heers doch noch! Kleiner als vorher und einen Schritt weiter rechts, aber immer noch da. Leider zu. Na klar, Samstag nachmittag, das Schild in Richtung Friedhof wäre gar nicht nötig gewesen. Hier ist weit und breit kein einziger Mensch auf der Straße, hier ist es überall gleich tot.
Ironie der Namensgebung, wie ich später von Olaf erfahre: Die alte Familie Heers hatte den Laden schon vor vielen Jahren an einen anderen Betreiber abgegeben, der wiederum hat das kleine Geschäft seinerseits an den nächsten weitergegeben -> eine Frau Heers. Nicht verwandt mit den ursprünglichen Ladenbesitzern 🙂 Also ist Heers wieder Heers, das begeistert einen allerdings nur, wenn man hier in den 70ern selbst im Wochenrhythmus wichtige Zeitschriften erworben hat. Ich kann mir heute trotzdem kein YPS kaufen, und das liegt nicht etwa daran, dass es YPS nicht mehr gibt 😉 Heers und Heers. Hihi.
Die Bilder sind angestoßen, und jetzt kommen sie eins nach dem anderen. Als ich wieder in den alten Audi einsteige und mich auf den Sitz plumpsen lasse fällt mir mein kleiner großer Schwarm Iris Tanz aus der 6. Klasse ein. Ich war wirklich ganz schlimm verliebt, ich glaube das wusste sie damals gar nicht. Sie hieß genau so wie ich, allein das war für den 11jährigen ein Grund zum Schwärmen, und wir waren nicht mal verwandt. Das hätte die Entscheidung, welchen Namen man später bei einer Hochzeit annehmen würde erheblich vereinfacht, leider kam 1983 dann der Umzug nach Plön dazwischen. Raus aus Uelzen. Aus heutiger Sicht sage ich: gut. Aber damals fand ich das ziemlich doof, weg von Silke, weg von Olaf, weg von Markus und letztendlich auch weg von Iris Tanz. Ob es die noch irgendwo gibt? Im Netz habe ich nur eine einzige finden können, wahrscheinlich hat sie sich später bei der Namensfindung nicht durchsetzen können 🙁 und heißt jetzt anders. Hallo? Iris Tanz aus Hanstedt II? Wo steckst du? Bist du die, die ich vorhin im Internet gefunden habe? Die jetzt in L.A. wohnt? Wenn ja…. na dann… mein lieber Schieber 🙂
Nervös kaue ich auf meinen Fingernägeln rum. Wenn ich erstmal angefangen habe, auf den Pfaden meiner Vergangenheit zu wandeln kann ich nur ganz schwer wieder aufhören. Mir fällt noch das Garagentor meines damaligen Mathelehrers ein, bunt bemalt mit Tieren des Dschungels und einer Giraffe, deren aus Gips modellierter Kopf oben rausguckt. Und einem klitzekleinen Marienkäfer, den ich auf den Spaziergängen immer auf dem großen Tor suchen wollte… das ist hier… äh… ganz in der Nähe… ich…
Okay. Ich gucke mein Töchterchen an und beschließe, mein Versprechen einzuhalten und mit ihr in die City zu fahren. Meine Retro-Ego-Show kann ich auch noch ein andermal abziehen… Wir schnarzen mit dem Audi durch die schmalen Straßen der Zuckerrübenstadt im Zeichen der Eule, und ich parke den silbergrauen Dottore mit dem schwarzen Vinyldach am Rand eines kleinen Platzes, gleich hinter dem Hotel. Grinsend zeigt mein Töchterchen auf den Laden direkt vor uns, der blinkt und blitzt und mit warmem Licht nicht nur geöffnet zu sein scheint (an diesem Tag um diese Zeit in dieser Stadt?), sondern sich auch noch auf dem größer werdenden Kreis der absurden Zufälle dreht. Eine Musikalienhandlung, randvoll bis unters Dach mit Gitarren aller Art. Wa? Hä? War der nicht nach Lüneburg… äh…? Ringding ♫ wir gehen rein und erfahren von dem gut gelaunten Inhaber, dass er schon seit 25 Jahren in Uelzen ist, aber nicht schon immer hier in dieser Ecke. Cool. Mein Töchterchen hat sich derweil schon das erste, katzendarmbespannte Klangbrett geschnappt und damit zielsicher einen klassischen, hochwertigen Vertreter der Firma mit den gekreuzten Stimmgabeln erwischt. In schwarz.
Jetzt steckt Papa natürlich ein bisschen in der Klemme. Das Ding klingt wirklich sehr gut, es sieht gut aus, es spielt sich super und ich trau mich nicht so richtig, dem Mann an der Kasse zu sagen, dass ich ursprünglich nur rund die Hälfte der Zahl auf dem Preisschild ausgeben wollte und mit dem Gitarrenerwerb für heute eigentlich schon komplett abgeschlossen hatte *grummel* Was mach ich denn nun? Momentan steht bei meiner Tochter zu Hause nur meine eigene alte abgerockte Gitarre, zwar auch schwarz, aber von chinesischen Häftlingen gebaut und schon mal ungenügend vertäut vom Dach meines Rudolf-Passats auf eine finnische Autobahn gefallen. Hm. Verkäufer nett, Laden cool und hell und voller akustischer Schätze, Tochter begeistert, noch kein anderes Weihnachtsgeschenk in Sicht und Papa in Kauflaune? Okay. Ich handel noch ein rotes Sharkfin Plektrum raus, drücke den Endpreis um sagenhafte 90 Cent und schleppe 15 Minuten später einen großen Pappkarton raus ins Auto 🙂 Mein Töchterchen kreiselt um mich rum wie der Mond um die Erde, hüpft und tanzt vor Freude und singt heisere Lieder. Teenager, die singen, sind strukturell glücklich. Behaupt ich. Jetzt müssen wir in dieser weltoffenen Stadt nur noch was zu Essen und ein Abtanzballkleid für sie finden. Pha. Kein Problem, jetzt sind wir ja warmgekauft. Doch zunächst werfe ich Ihren Blick mal auf einen guten Satz, den ein guter Mann leider nicht selbst auf einen Stein mitten in der Stadt geschrieben hat.
Da können Sie jetzt ziemlich lange drüber nachdenken. Sie können es auch mit dicken Lettern auf einen bunten Hintergrund schreiben und als tollen, nicht selbst ausgedachten Sinnspruch auf Facebook posten. Ich für meinen Teil arbeite noch an der Definition des Wortes „Paradies“ und bin schon recht weit gekommen. In meinem Paradies gibt es keine Schlangen oder einen Apfel, der Erkenntnis verspricht, wenn man ihn isst. In meinem Paradies geht es den Menschen, die ich liebe gut, sie sind gesund und ich verbringe Zeit mit ihnen. In meinem Paradies schlafe ich ruhig ohne Angst vor Morgen. In meinem Paradies habe ich meine Familie, bestenfalls ja sogar mehrere davon 🙂 und einige gute Freunde. Das finden Sie alles normal? Ha. Dann sind Sie anscheinend noch niemals aus Ihrem Paradies vertrieben worden, dann denken Sie bitte noch ein wenig über die Zeilen auf dem Stein nach.
Wir für unseren Teil bekommen langsam einen ernstzunehmenden Hunger. Mission Nahrungsaufnahme ist gestartet.
Was isst man denn so in Uelzen? Eulen? Nein, die armen Dinger. Die müssen ja noch für die immer wieder gern zitierte Uhlenköpersage herhalten, die kommen nur in den Sack und nicht auf den Tisch. Heidehonig? Nö. Ein traditionelles niedersächsisches Gericht, was man weit über die Grenzen der Lüneburger Heide kennt ist Pomm Döner. Mit frischem Lammfleisch, guten Kartoffeln und knackigem Salat aus der Region. Da weiß man, was man hat. *burps* Fragen? Keine? Gut. Gesättigt und gestärkt folgt Mission Ballkleid, erfahrungsgemäß etwas schwieriger als Mission Nahrungsaufnahme. Gar nicht so sehr, weil ich mir kein Urteil über guten Sitz und Taille erlauben kann, nein nein, das geht schon 🙂 Das Problem ist viel mehr, dass der durchschnittliche Uelzener ungefähr 78 Jahre alt ist und die Innenstadt aus Apotheken, Sanitätshäusern und Vertriebspunkten für Rollatoren und Stützstrümpfe besteht. Alle davon losgekoppelten Bekleidungsgeschäfte haben entweder geschlossen, sind endgültig geschlossen worden oder verkaufen Stickjacken und Stoffhosen, die schon in den 80ern meiner Oma peinlich gewesen wären. Puh. Nach einer freudlosen Odyssee durch ein paar Trendshops, die den marktforscherisch ermittelten Klamottengeschmack in der Lüneburger Heide mit den Füßen der 90er treten landen wir kurz vor Ladenschluss in einem alteingesessenen Geschäft, an das ich sogar noch dunkle Erinnerungen habe. Ramelow. Die gibt es also noch immer. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Es sind Eulen an den Türen. Dann kann man ja mal reingehen.
Verrückt. Hier hängen extrem coole Klamotten rum, mein Töchterchen schnappt sich zielstrebig eine junge und quirlige Verkäuferin und verschwindet drei Minuten später mit gleich drei Kleidern in der nächsten Umkleidekabine. Derweil drifte ich ein wenig durch das überraschend junge und schicke Geschäft, habe alles irgendwie ganz anders in Erinnerung und fühle mich plötzlich wieder ein bisschen alt. Ist mit Anfang 40 nicht mehr drin, mal eben zu New Yorker oder Tally Weijl gehen und ne Hose kaufen. Der Herr ist jetzt besser bei Ansons oder P&C aufgehoben. Na gut, dann ist das eben so. Und eines Tages werde ich auch zur Rollator-Klientel gehören. Aber meiner ist dann orange und von Ford oder Audi.
Mein Töchterchen macht diverse Fotos von sich in den drei Kleidern und schickt sie an ihre beste Freundin und ihre große Schwester, damit die ein Urteil abgeben. Ich sitz und lauf weiter rum und fühl mich weiter alt, aber mal davon abgesehen bin ich unfassbar stolz auf dieses Mädchen, weil alle drei Kleider ihr sagenhaft gut stehen. *hach* Oh. Hallo.
Gehen Sie eigentlich gern shoppen? Viele Männer sind ja reichlich genervt von den Touren mit ihren Frauen oder ihren Töchtern und würden lieber drei Bierchen im Pub nebenan kippen und Fußball gucken. Ich mag nun Bier nicht sonderlich gern und finde Fußball langweilig. Aber auch sonst treibe ich mich durchaus freiwillig mit den mich umgebenden Frauen in den Klamottengeschäften dieser Welt rum, wenn es mal wieder an der Zeit ist. Mir macht das Spaß. Schließlich sind die Ladies hübsch anzusehen, und jeder Blick in die großen Spiegel macht mich noch ein bisschen stolzer. Paradies, und so. Sie erinnern sich? Ich glaube, ich bin oft nun genug vertrieben worden um zu sehen was ich habe, was mir genügt und wer ich bin.
Ich schreibe und schreibe und schreibe. Das sollte eigentlich nur ein kleiner Einleitungsblog für die Weihnachtsmarktgeschichte werden. Mist. Schon fast alle Wörter verschossen, dann muss ich wohl teilen. Unser Tag ist jedenfalls noch lange nicht zu Ende, das niedersächsische Einkaufserlebnis aber schon. Nein, ich habe mein Portemonnaie nicht zücken müssen, so gern ich auch die heimische Textilindustrie unterstützt hätte. Alle beteiligten weiblichen Personen, anwesend oder virtuell zugeschaltet, waren sich darüber einig, dass die Kleider gut aussähen, man aber gern noch ein Live-Urteil fällen würde und der Abtanzball schließlich erst im Februar sei. Damit bin ich sehr einverstanden. Aber Respekt, Kaufhaus Ramelow, so wie du dich entwickelt hast gibt es vielleicht doch noch Hoffnung für den Einzelhandel in Uelzen…?
Auf dem kurzen Weg zurück zum Hotel, wo wir kurz einchecken wollen, tobt schon der diesmal extrem reduzierte Weihnachtsmarkt. Nix Märchenbuden mit gruseligen Szenen drin wie 2012 (Mist!), nix Buden in der ganzen Stadt und nix Petrus und Frau Holle. Alle weg. Um die Kirche rum haben sich ein paar Holzhütten versammelt, und am neu aufgebauten Rathaus werden nachher ein paar Engel das neue Türchen/Fenster des Adventskalenders öffnen. Wir sind fast dafür bereit. Was isst man so an einem kalten Dezemberabend, wenn der Pomm Döner längst verdaut ist? Genau. Ein Eis.
Tatsächlich ergreift mich jetzt ein weihnachtliches Gefühl. Da müssen Sie jetzt durch.
Das gleiche Auto, was mein Papa fuhr, als er Weihnachten 1980 unsere kleine Familie verlassen hat steht direkt vor dem Eingang des altehrwürdigen Hotels Stadt Hamburg. Alles ist festlich beleuchtet, und es duftet nach gebrannten Mandeln, Punsch und Bratwürsten. Unser Zimmer ist diesmal zur Hauptstraße gelegen, was ich toll finde, weil dann die Abendstimmung dieser alten Stadt in Licht und Ton präsent ist. Im Bild die beiden Fenster oben rechts, da ist es 🙂 Das Hotel war schon immer da, schon immer mitten in der Stadt, schon immer direkt an der Straße. Was 2014 nicht schlimm ist, denn Uelzens Innenstadt ist verkehrsberuhigt, es wohnt hier sowieso keiner mehr und es kommen wegen der Parkgebühren auch keine Touristen, nicht mal wegen der schnellen Rollatoren und schicken Stützstrümpfe. Ein Zimmer zur Straße bedeutet ein Zimmer mit einem Blick auf meine Kindheit in einer Stadt, in der ich noch immer fast jeden Stein kenne (mal abgesehen vom Heers/Sparkassen Neubau in Oldenstadt) und die mich irgendwie beruhigt. Mich runterbringt. Mich aufwühlt und mich traurig macht.
In der Mitte meines eigenen Lebens höre ich meine Tochter, die nun ein bisschen älter ist als ich damals, im Badezimmer Lieder singen. Ihre Eltern haben sich ebenfalls getrennt und auf eigenen Wegen weitergemacht. Die sind damit aber offen und meistens nach vorn blickend umgegangen, und die waren in guten wie in schlechten Zeiten für ihre beiden Kinder da. Mal zusammen, mal alleine, aber immer bedingungslos Papa und Mama.
Ich stehe am Fenster, blicke auf die Straße runter und erinnere mich an meine nachts weinende Mama, obwohl doch angeblich alles in Ordnung war. Und ich erinnere mich an meinen Papa, der in einem weihnachtlich dekorierten Wohnzimmer Teller und Tassen in Kartons packt und plötzlich weg ist. Ganz weg. An Weihnachten.
Komm, mein Töchterchen, lass uns mal runter zu den Engeln gehen. Zu Olaf, Melli und Jette. Zu Markus, Tina und Jakob. Zu unseren Freunden.
Sandmann
Moin,
zuallererst muß ich ja mal sagen (und das is jetzt kein Geschleime), daß ich jede deiner Geschichten mit Genuß lese. Liegt einfach an deinem Schreibstil.
Ich bilde mir jedenfalls ein, recht gut zu verstehen (wenigstens teilweise), welche Gedanken und Gefühle dich auf so einer Tour bewegen. Meine Kindheit und Jugend spielte sich in ner kleinen Kreisstadt (die nun keine mehr is) ab. Das war Lebensmittelpunkt für 18 Jahre, dann hat´s mich in den Nordwesten verschlagen.
Jedes Mal, wenn es mich mal wieder dorthin zieht (sind immerhin dreieinhalb Stunden Fahrt, die aber mit dem richtigen Auto und der richtigen Musik ruckzuck um sind), fahre ich immer die Plätze meiner Kindheit an. Einige sind wie immer, andere haben sich verändert oder sind ganz weg. Natürlich passiert das Ganze mit reichlich Erinnerungen. Sitze ich dann aber bei meinen Großeltern oder Verwandten, ist es wieder fast wie früher. Und dann weiß ich, Heimat gibt´s nur einmal.
Sollte ich mal Kinder haben, würde ich ihnen auch einige Stationen meiner Jugend zeigen wollen (so sie denn wenigstens etwas Begeisterung dafür aufbringen können).
Grüße Graf Drehzahl
Ay der Herr Graf,
was du schreibst scheint so ungefähr das zu sein, was ich auch ab und an mache… Gerade diese Weihnachtstouren wären aber auch ohne die Vergangenheitskisten schön, denn gerade Uelzen ist eine sehr entspannte Stadt. Wohnen möchte ich da heute nicht mehr, aber ein paar Tage dort verbringen ist immer wieder schön und erholsam 🙂
Und wenn du dann auch noch Großeltern in deiner Heimat hast (bei denen verändert sich ja erfahrungsgemäß über 40 Jahre nix) dann ist die Zeitreise perfekt. Bewahre dir dieses Gut, so lange es geht. Wenn das vorbei ist, wird es dir sehr fehlen…
Ich selbst habe außer meinen Freunden ja auch noch meinen Papa und meine große Schwester dort in der Gegend, aber deren Lebensräume sind erst nach unserem Wegzug entstanden. Da ist es schön, aber da stecken keine Kindheitserinnerungen. Diese Plätze gibt es noch, aber ich komme nicht mehr ran. Haus verkauft, Großeltern weg. Vielleicht gerade weil es komplett zu Ende ist fahre ich immer wieder hin 🙁
Sandmann
Jetzt einfach nur von dem roten Sharkfin-Plektron (sagte ich früher immer) zu schwärmen, wäre eigentlich zu banal. Ich tue es aber trotzdem. Neben mir liegt ein weißes.
Ay Will,
weil ich selbst immer PlektRUM sage und PlektRON oft lese habe ich gerade mal endgültig den Duden befragt und festgestellt, dass beides geht 🙂 Lustig. Wieder ein Mysterium geknackt.
Die roten Sharkfins sind für die Musik, die ich mache einfach in genau der richtigen Stärke gegossen. Man kann mit ihnen kraftvoll reinhauen, aber sie sind weich genug für leise Töne 🙂 Die weißen sind doch noch dünner als die roten…. oder?
Was in diesem Zusammenhang noch zu klären wäre: Wo gehen all die Pleks hin, die wir verlieren? Die verschwinden auf genau so rätselhafte Art und Weise wie Kugelschreiber, Zopfgummis, einzelne Socken in der Waschmaschine und iPhone Ladekabel! Gibt es einen Plektrum-Himmel?
Sandmann
Hmmmm…
Da ich lange kein rotes mehr in der Hand hatte, meine ich, dass die weißen etwas härter sind.
Die Plektren, die man verliert, werden von anderen Gitarristen gefunden. Das muss so sein, weil ich die meisten meiner Plektren selbst gefunden habe. Meistens auf der Straße, auf der Kugelschreiber oft auch landen und tot getreten werden. Die meisten Kugelschreiber werden aber ausgeliehen und nie zurückgegeben, wie auch Feuerzeuge. Die sind da direkt miteinander verwandt.
Socken findet man meistens in Bettbezügen wieder. 🙂
Ay Will,
ich finde Socken NIE in der Bettwäsche wieder 🙁 Bei mir sind die einfach weg. Futsch. Und wenn jeder die Kugelschreiber und Feuerzeuge, die ihm kurz gegeben werden behält – dann muss doch jeder bald mal genug davon haben? Oder?
Ich habe noch nie ein Plektrum gefunden *heul* aber ich passe inzwischen auf meine zwei oder drei gut auf. Sehr gut.
Sandmann
Moinsen Sandmann,
in den letzten Tagen habe ich mir öfter Mal deine Weihnachtsgeschichten durchgelesen, obwohl ich nicht mal in Weihnachtsstimmung bin.
Ich kann verstehen, dass du deine Heimat wiedersehen magst. Als Papa auf dem Dachboden von Oma seine Spielzeugautos wiedergefunden hat, hat er gestrahlt wie sonstwas. Nun stehen alle in einer Vitrine.
Neben Freunden und Familie werde ich Dithmarschen wohl am meisten vermissen. Keine Ahnung, warum. Auf die Rentner und Touristen könnte ich manchmal verzichten, aber ich mag es einfach. Vielleicht die Ruhe.
Ich werde gleich auf meine erste Weihnachtsfeier dieses Jahr gehen. Als ich letztes Jahr die letzte Weihnachtsfeier in dem Jahr verlassen habe, war ich wirklich gut wie lange nicht mehr.
Ohne Alkohol :D.
Schöne Grüße
Lars
Ay Lars,
ich glaube, so richtig nachempfinden, was mich in der Weihnachtszeit in Uelzen umtreibt kann nur, wer schon mal aus dem Paradies vertrieben wurde… Aber es freut mich trotzdem, dass du dir die Geschichten durchliest, vielleicht kommt ja doch ein bisschen Jingle Bells Stimmung auf?
ICH wiederum verstehen deinen Vater gut 🙂 Mit den Autos.
Und klar wirst du Dithmarschen vermissen. Schließlich bist du dort aufgewachsen. Und vielleicht kommst du auch immer wieder zurück zu den Orten deiner Kindheit, um deinen Akku kurz mal aufzuladen. Um weitermachen zu können…
Darauf trinke ich ein Glas Wein. Du alter Abstinenzler 😉
Sandmann
Hi Sandmann…
Zu deinem Kassetten“problem“… (Auch wenn ich verstehe, das dieses Ritual natürlich zum Nostalgiegenuss gehört)…
ICH spiele mit dem Gedanken, da ich praktisch ALLE LKW in der Firma fahre, und alle diverse Arten der Musikaufnahme haben… Einige haben schon bluetooth, andere einen Klinkenstecker… Einige aber auch nur ein Kassettenteil mit Radio.
Deshalb werde ich mir wohl einen dieser Bluetooth-Radio-Handy-Zigarettenanzünder-Adapter-Sender-Profi-Blabla-Dinger holen…
Du weisst schon, ab mit dem Ding in die Steckdose, mit dem Handy koppeln, im Radio den richtigen Sender einstellen und — profit!
Hmmm… Da könnte man glatt einen Blogeintrag drüber machen. 😉
Ay Daemonarch,
was genau meinst du? Einen Bluetooth Stecker? Oder einen FM Transmitter? Finde ich beide doof. Bei Bluetooth ist das Problem, dass dein Handy dann echt einen Haufen Strom zieht. Was auf längeren Touren natürlich mit einem Ladekabel kompensiert werden kann.
Von FM Transmittern halte ich GAR nichts. Also von diesen Dingern, die ihre Musik ans Radio senden. Hatte ich, war sogar recht teuer. Im Stand auf dem Parkplatz super, sobald du dich ein paar Kilometer bewegt hast kamen Störgeräusche, andere Sender und Empfangsprobleme. Ich hab das Ding sofort wieder zurück gegeben.
USB Anschluss und ein Stick mit Musik drauf, Klinke oder Tape. Alles andere passt mir persönlich nicht. Und wenn ich zu faul bin höre ich sowieso nur Radio 😉
Sandmann
Jaaaa… Genau, FM-Transmitter nennt sich das! Die gibts mittlerweile mit mannigfaltigen verbindungsmöglichkeiten…
Mittlerweile sollen die Teile ja ganz gut sein, und für roundabout 30€ glaube ich, man kann das mal riskieren.
Ich glaub da nicht dran 😉
30€ für Schrott. Aber mach bitte ein Foto, wenn du das Ding aus dem Fenster wirfst 🙂
Sandmann
We will see… Aber vor März geht die Saison eh nicht wieder los, kann also noch dauern…
ein MP3-Casetten-Adapter hat mir auf dem Weg von Mallorca nach Wilhelmshaven mit meinem Baron-Turbo im original Infinty-Radio gute Dienste geleistet, habe sogar einen 8Gb-Player mit 40 Stunden Akkuleistung (für 40€), musste beim Einschalten dank Autoreserve nur die Spur wechseln 😉
Schräge Leute kenne ich hier 😉
Ja, so ist es mit den Erinnerungen an die Heimat der Kindheit. Ich wohne gerade mal wieder in meinem Kinderheimatort, wie lange, das weiß ja kein Mensch. Auch wenn die Veränderungen, die ja schleichend passieren, in kurzen Zeiträumen nicht so auffallen, so sind mir doch die Eindrücke von „früher“ (oh, daran haben wie „früher“ immer die alten Leute erkannt, die von „früher“ sprachen) noch gut in Erinnerung. Den Weihnachtsmarkt in Heide, den gab es früher nicht. Dafür stand ein kleiner, elektrisch betriebener Nikolaus vor einem der Meissner-Geschäfte an der Markt-Südseite, der fortwährend nickte und die Rute schwang. Und um dem Markt gab es eine Weihnachtsbeleuchtung, wo heute Dunkelheit herrscht. Wie in diesem Jahr auch außen am alteingesessenen Kaufhaus Böttcher. Wie kann man nur seinen Ladenumbau in die Vorweihnachtszeit legen? Immer gab es hier liebevoll geschmückte Spielzeugschaufenster, wo in diesem Jahr Tristesse herrscht. Böttcher, ja, gab es im Erdgeschoß, ganz hinten links, wo nun ein Ausgang zum eigenen Parkplatz ist, etwas erhoben den Spielwarenbereich. Es gab keine Selbstbedienung. Was man sich ausgesucht hatte, wurde vom Verkäufer in eine Box mit einer Nummer gepackt, die Farbe der Box erinnert an die eines der dicken Pappordner. Die Box ging dann, wie der Kunde, aber gebracht durch den Verkäufer zur Kasse, dort gab man einen Zettel ab und bekam dann nach dem Zahlen die Ware. Da gab es wunderbare Eisenbahnsachen, eine riesige Vitrine mit Wiking-Autos in 1:87. Der Pkw kostete anfangs eine Mark, später dann einszwanzig. Auf dem Dach der Wägelchen klebte ein entsprechender runder Aufkleber mit dem Fahrzeugtyp und dem Preis. Spielwaren, die gab es an vielen Stellen. bei Creutz in der Norderstraße, später in der Friedrichstraße. Dort war dann ein Feld am Schaufenster angebracht, bei dessen Berührung die im Schaufenster ausgestellte Modellbahn losfuhr. Und im Obergeschoß war eine große Anlage, mit Signalen, vielen Zügen, Licht, alles fuhr automatisch, fast wie heute im Miwula, nur viel kleiner. Dann gab es Dithmer am Markt, da gab es Spieltiere, so in etwa die Art wie heutzutage die Schleich-Figuren. Ein weiterer Spielzeugladen war im Schuhmacherort ansässig, dazu noch Lütje, damals in der Feldstraße, später in der Süderstraße und nun existiert der weitab von der Stadt neben dem futuristisch gestalteten Kreishaus. Auch KDM (in dem Laden lernte meine ältere Schwester Groß- und Einzelhandelskauffrau) gab es Spielwaren und – Prozente! KDM, daß hört sich irgendwie nach Ostzone an, hatte aber nichts damti zu tun, das war eine Abkürzung für Kaufhaus der Mitte. Später war es Kaufring, dann gab es einen Versuch, dort mit dem „City Center“ eine Passage zu etablieren. Nun, seit Jahren ist dort, sehr ähnlich wie damals KDM, das Kaufhaus Stolz ansässig, ein richtiges Kaufhaus, wo es fast alles gibt, eben auch wieder Spielwaren. Oh, ja, die Friedrichstraße, die markanten vierzackigen Sterne sind einer modernen Weihnachtsbeleuchtung gewichen, die immerhin optisch an die alte angelehnt ist, der große Tannenbaum auf dem Markt, ja, den hat es immer gegeben und es gibt ihn immer noch. Zu seinem Fuß ist in diesem Jahr das erste Mal der Weihnachtsmarkt mit der Eisbahn, der sonst auf dem Südermarkt war.
Nun, Deine Tochter hat eine schöne Gitarre bekommen, die gekreuzten Stimmgabeln zieren auch mein YDP 142 E-Piano, schön, um mal eine paar weihnachtliche Weisen selbst zu spielen oder sich die passende Töne für den Gospelchor zu suchen, anstatt immer alles den Geräten mit dem Dual-Logo zu überlassen. Gut, daß ich damals im Musikunterricht nicht völlig geschlafen hatte, die rudimentären Notenkenntnisse waren ein guter Grundstock, um in meinem fortgeschrittenen Alter doch noch an die Tasten zu gehen. Gitarre? Hm, ich habe hier so ein Sperrmüllexemplar herumstehen, vermutlich auch „made in P.R.C“, gestimmt nach dem Piano, aber mit meinen Wurstfingern ist das Akkorde greifen so eine Sache… Klaviertasten sind zum Glück breiter.
Und die jüngste Tochter meiner Besten bekommt zu Weihnachten ein Cajon, nachdem sie auf meinem schon gern mal herumballert, die Kleine ist erst 13 und in Zentimetern gemessen nicht die Größte und zum Glück gab es den Bausatz auch eine Nummer kleiner. Und meine Beste hat auch eine Gitarre stehen, da muß sie auch mal wieder bei, ein elektronisches Stimmgerät soll ihr dann den Einstieg erleichtern. Mit Piano, Gitarre, Cajon, zwei Sopranistinnen und einem Bariton kann es dann ja los gehen 🙂
Ay Uli,
ohaoha du hast ja fast mehr geschrieben als ich selbst in der Geschichte 🙂
Aber irgendwie ist es doch ganz schön, gerade vor Weihnachten mal wieder in ein paar alten Bildern im Kopf zu kramen, oder?
Es sind ganz besonders die Spielwarengeschäfte und deren Schaufenster, die auch mir im Kopf geblieben sind. Heute ist das Schaufenster der Computermonitor. Damals waren es die Schaukästen vom Kaufhaus Klappenbach, es gab in der Vorweihnachtszeit keinen Spaziergang, der da nicht vorbeigehen MUSSTE. Diese Oktagons gibt es noch immer, sie sind aber inzwischen zugeklebt und das Kaufhaus heißt jetzt CeKa oder so.
Es ist abgefahren, wie die Wege von damals sich eingebrannt haben. Während meine Tochter unten in der Kosmetikabteilung stöberte bin ich die beiden Rolltreppen bis oben hochgefahren, um die Ecke am Tresen vorbei und dann links abgebogen…. Da war immer die große Spielwarenabteilung. Natürlich ganz oben, damit die Eltern an allem anderen vorbei gezogen wurden 🙂 Heute stehen da Teller und Tassen rum. Aber ich sehe den Raum noch vor mir. Links an der Wand habe ich die Tür gefunden, neben der immer der Ständer mit den SIKU Autos stand. Fast hätte ich noch ein paar Fotos gemacht, aber die seltsam guckenden Verkäuferinnen und meine mich suchende Tochter kamen mir dazwischen 😉 Spielzeug gibt’s da heute im Untergeschoss…
Dann erinnere ich mich noch an Cordes, die hatten auch Spielwaren und große Schaufenster. Da konnte man sogar um einen Schaukasten komplett rum gehen. Und Liebsch. Das war ein langer Eingang, und links und rechts war der Weg zur Ladentür mit bunten Schaufenstern flankiert. Beide Geschäfte sind noch da, in beiden ist aber jetzt was anderes drin.
Ich geh dann mal Musik machen…
Sandmann
Als Freund von vornehmlich analogen Dingen und zwischenmenschlichen Gesprächen bin ich eigentlich kein grosser (neudeutsch) „Follower“ von Blogs jeglicher Art.
Dein Blog gibt mir aber immer wieder Anstoss zum Nachdenken, erfreuen an schönen Bildern und kennenlernen neuer Sichtweisen über das Leben.
Dafür möchte ich mich hier mal herzlich bedanken!
Ich wünsche Dir und allen Lesern hier eine erholsame und friedliche Weihnachtszeit und im 2015 eine unfallfreie Fahrt, am Steuer wie auch im Leben
Marc Rudin
Ay Marc,
danke für die Weihnachtswünsche 🙂 Ich hatte diese Geschichte wohl selbst auch aus den Augen verloren, also lieber spät als nie….
Rocken wir den Sommer 2015, falls er mal irgendwann kommen sollte.
Sandmann
Moin Sandmann,
Dein Geschreibsel ist echt toll, ich liebe es, deine Geschichten zu lesen. Ich habe deinen Blog leider einige Zeit aus den Augen verloren (Schande über mein Haupt), und arbeite mich jetzt durch alle verpassten Geschichten. 😉
Besonders gut gefällt mir der Spruch auf dem Stein, wobei ich für mich persönlich das Wörtchen „Paradies“ auch gegen „Heimat“ austauschen kann. Denn die habe ich erst so richtig zu schätzen gelernt, als ich vor 9 Monaten nach Kanada gezogen bin. Klar ist es hier super geil, aber Heimat ist eben doch Heimat, die man nach dieser langen Zeit mit all ihren Freunden, Familie, bekannten Orten und Erinnerungen doch ziemlich vermisst. Übermorgen gehts für mich zurück ins schöne Thüringen, und ich muss ehrlich sagen dass ich noch nie so aufgeregt war und mich tierisch freue.
Gerade noch so kanadische Grüße,
Clemens
Ay Clemens,
na dann arbeite dich mal fein durch, da ist ja einiges dazu gekommen, wenn du jetzt erst bei Weihnachten angelangt bist 🙂
Ja, Heimat.
Heimat ist Heimat, das ist für mich da wo ich aufgewachsen bin und das wird da immer bleiben. Den Begriff von „Zuhause“ habe ich inzwischen relativiert. Das ist da, wo die Menschen sind, die ich liebe.
Genieße deine Heimkehr nach Thüringen!
Sandmann