Geburtstag im Benz in Florenz

… am 38. Lenz.  🙂

Beklemmungen im breiten Benz

Beklemmungen im breiten Benz

Florenz. Wir sind in dir. Was im Dahingleiten vom Parkplatz ganz oben noch romantisch aussah, entpuppt sich, wenn man drin ist, als enge Renaissancestadt mit Gassen, die gestaltet wurden, als man so etwas wie einen Mercedes Benz 400SEL noch nicht im Kopf hatte. Als selbst Pferdekutschen noch „groß“ und selten waren. Der für mich schönste und interessanteste Tag unserer Mille Miglia Selbsterfahrung neigt sich dem Ende. Die beiden Fahrer Nick und Sandmann sind müde und freuen sich auf ein Glas Rotwein und eine Pizza am wunderschönen Dom von Florenz, weit weg vom Alltag. Es sollte ein Herrenabend der ganz besonderen Art werden. Aber dazu später…

Und jetzt bloß nicht wenden

Und jetzt bloß nicht wenden

Das Roadbook der Rallye von 2008 hilft uns in der Innenstadt recht wenig. Wir suchen schlicht einen ausreichend großen Parkplatz in der langsam schwindenden Sonne, und in immer größeren Kreisen um das Zentrum kurbelnd stellt sich diese Aufgabe als gar nicht so einfach heraus. Italien ist zu klein für dieses Auto. Nick klappt verlegen die Spiegel ein, und ich winke ihn an Mopeds und billigen Kleinwagen vorbei durch das gedärmgleiche Gewirr von Einbahnstraßen in dieser wunderschönen Stadt. Der Fluss Arno und sein Ufer ist tendenziell unser Ziel, hier haben wir bei unserer Ankunft noch ein paar Parklücken von der Dimension eines kleinen Reisebusses entdeckt. Da könnte der Benz gut stehen.

Der Fluss Arno im Abendlicht

Der Fluss Arno im Abendlicht

Wir sind zwar für autobild.de auf den Spuren der Rallye Mille Miglia, aber an diesem Abend ohne viele Autothemen übermannt mich die Geschichte dieser Gegend und dieser Stadt. Hier haben sie gelebt und gearbeitet, Galileo Galilei, Leonardo da Vinci und MichelangeloDonatello und Botticelli. Man muss vielleicht im früheren Leben nicht unbedingt Kunst studiert haben, um mit diesen Namen etwas anfangen zu können. Es reicht, bei IKEA ein nettes Bild mit den Körperproportionen (dieser nackige Typ mit ausgestreckten Armen in einem Kreis) gekauft oder einen Druck des geheimnisvollen Lächelns der Mona Lisa im Wohnzimmer hängen zu haben. An diesem schönen Abend sind wir mitten drin statt nur dabei. Wenn auch ein paar 100 Jahre später. Der Wagen steht endlich und tickt leise, während das Triebwerk abkühlt. Auf zum Dom, Herr Nick. Für heute sind wir erst einmal genug gefahren!

Giottos Türmchen, ganz aus Zucker

Giottos Türmchen, ganz aus Zucker

Mit einigen wenigen Bildern lässt sich dem Szenario descriptiv wahrhaftig gar nicht Herr werden. Neigen Sie Ihr Haupt. Als die kleinen Gässchen sich öffnen, stehen wir vor einem gewaltigen Zuckerbäckerdom aus Marmor. Der Campanile, also der Glockenturm der Santa Maria del Fiore, wurde vor 600 Jahren von jemandem erbaut, den Sie maximal als leckere Praline kennen: Giotto di Bondone. Es ist sommerlich warm, und viele gut aussehende Menschen tummeln sich auf dem Domplatz. Nick macht in einem Anflug von unerwarteter Kreativität lange belichtete Bilder mit verwischenden Menschen, ich sauge einfach nur die schöne Atmosphäre in mich auf und schärfe meinen Blick für ein pizzaverkaufendes Etablissement. Überall duftet es nach Essen und Gewürzen, überall hört man Gelächter und angeregte Unterhaltungen von glücklichen Italienern.

Das steht hier schon lange

Das steht hier schon lange

Sandmann, hochkant mag der Blog nicht!“ Ja doch, aber wie will man dieses riesige Sakralgebäude denn sonst auch nur in Teilen in die Kamera bekommen??? Unmöglich. Aber auch unabhängig von Fotoformaten lassen sich die Dimensionen der italienischen Bauwerke mit heutigem menschlichem Verstand kaum begreifen. Auch nicht, wenn man mit einer Mercedes S-Klasse bis hier gefahren ist und den Begriff „Größe“ männeruntypisch wie von selbst verinnerlicht hat. Nun. Ein infernalischer Hunger lässt uns an diesem fortgeschrittenen Abend den päpstlichen Legokasten für Erwachsene verlassen und in einer kleinen Seitenstraße des Doms in einer mühli Pizzeria stranden. Mit erregt knurrendem Magen, guter Laune und noch keinen weiteren Plänen, was eine Übernachtung fern der Heimat anbelangt, nehmen wir an den kleinen, liebevoll gedeckten Tischchen platz. Selbstverständlich mit einer rot-weiß karierten Decke drauf. 3. April, Petrus meint es nach wie vor gut mit uns, wir können draußen sitzen.

Geburtstagsessen. Mjam.

Geburtstagsessen. Mjam.

Erwachsene Männer bei der Nahrungsaufnahme. Was isst man eigentlich so bei der richtigen Mille Miglia? Gibt es Scampis und Hummer, Kaviar, Wachtelbrüstchen und Lachs? Oder wie rechtfertigen sich sonst die Startgebühren? Tz. Genau so bodenständig wie unsere bisherigen Hotelzimmer gestalten wir auch unser Abendessen. Low Budget Pizza und italienischer Tafelwein in der offenen Karaffe. Der allerdings erstaunlich gut schmeckt, oder ist es die abendliche Atmosphäre der Stadt? Ein Dilemma: Wir haben keine Lust mehr, ein Hotelzimmer zu suchen, möchten aber auch noch ein bisschen mehr Wein trinken und werden deshalb nicht mehr weiter fahren können. Na ja, das können wir später lösen. Jetzt erst einmal ein kleines Prost auf die Rallye, diesen schönen Tag und den lauen Abend! Hihi, und meinen Geburtstag, aber das erwähnte ich ja schon…

Semiöffentliche Toiletten in Florenz

Semiöffentliche Toiletten in Florenz

Inspiriert von meinen eigenen Übernachtungen im Auto auf den legendären Südseecamps in Soltau liegt eine Lösung doch so nahe: Hotel Sindelfingen! Der Mercedes bietet reichlich Platz, ist bequem und vor allem können wir mit so einer Nacht unseren in Rom versauten Schnitt von 50 Euro wieder reinholen! Zwei Männer, ein Wort. Wir machen uns ganz leicht angeschiggert auf den Weg zu unserer Pension. Auch an Florenz nagt der Zahn der Zeit, auch hier findet man Baustellen, auch hier haben Baustellen kleine Toilettenhäuschen. Wie praktisch. Wieder einigermaßen entleert schlagen wir eine grob angepeilte Himmelsrichtung ein (dieser Tafelwein macht echt komische Sachen mit mir) und schlendern zigarrerauchend durch das nächtliche, warme, erleuchtete und wunderschöne Florenz.

Den hat jemand hier vergessen

Den hat jemand hier vergessen

Es gibt italienische Kleinwagen, die weniger Parkplatzprobleme als wir mit unserem Benz haben. Vielleicht hat sich auch im Laufe der Jahre das Straßenbild der Städte Italiens geändert, aber hier und da findet man noch einen alten Fiat 500 (wie auch schon vor dem McDonalds auf dem Weg hier her), einen alten Alfa Romeo oder eine alte Vespa – im alltäglichen Gebrauch. Irgendwie passen sie hier besser rein als die Plastik-Kisten wie Fiat Brava oder Multipla oder all die schreienden und sägenden Motorroller, die aussehen wie billige Einweg-Insekten. Alles ist vergänglich. Diese Mauern hier halten insgesamt wohl ein bisschen länger als die Autos, auch wenn sie von Bauzäunen umgeben sind.

Blick auf das Hotel Sindelfingen

Blick auf das Hotel Sindelfingen

Arrivo! Hotel Sindelfingen am Ufer des Arno. Blick auf die Altstadt, Blick auf den Fluss, gute Verkehrsanbindung und ein WC aus lokaler Produktion gleich um die Ecke. Was einem das Lächeln ins Gesicht treibt. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Abend ist nicht mehr jung, aber noch wollen wir nicht schlafen gehen. Zu viele Eindrücke drehen sich in unseren Köpfen, zu viel Rotwein fließt in unseren Adern und diese dicke Mauer läd zum Sitzen ein. Haben wir eigentlich schon etwas gesungen? Der Sportsgeist der tollkühnen Piloten der Mille, ihr sagenhaftes Durchhaltevermögen und die Inspiration der Toskana erzwingen förmlich einen Kuss der Muse. Wo habe ich doch gleich noch die Gitarre? Irgendwo im Hinterzimmer des Benz, Kofferraum, zweiter Stock, oben links. Ah. Da ist sie ja.

Eine kleine Nachtmusik

Eine kleine Nachtmusik

Heimkehrende Italiener. Zielstrebig, betrunken, ihre Autos suchend. Mit einem rumgehenden Hut würde man an diesem Platz nicht reich, da gibt es bessere Stellen. Ein in Nick’s Blackberry gehauchtes Wish you were here der unsterblichen Pink Floyd erfüllt 1300 Kilometer entfernt in Hamburg bei seines herzens Dame durchaus seinen Zweck. Ein in die vorbeirauschenden Autos geschmachtetes Wonderful Tonight des noch unsterblicheren Eric Clapton brandet wie eine halbfinnische Hommage an die Liebe an den gegenüberliegenden Bauzaun. Es ist rustikal romantisch hier, laut, voller Abgase, warm und irgendwie schön. Und spät. Haben Sie schon einmal im Ausland Musik gemacht? (was für bescheuerte Fragen stelle ich hier eigentlich?) Hier einmal als Beispiel unseren unsterblichen Alle-gehen-vorbei-Clip, nicht ganz so viele Zuhörer wie bei Pink Floyd und irgendwie haben sie auch alle was anderes vor. Aber wir hatten Spaß :-):

[youtube COmaO1TlzdA]

Das muss irgendwann Morgens um 2.00 Uhr oder so gewesen sein… Ich sehe gerade, dass die Youtube Clip-ID mit COma beginnt. Gut. gehen wir ins Bettchen…

Komfortables Nächtigen im SEL

Komfortables Nächtigen im SEL

Gute Nacht Jim-Bob. Gute Nacht John-Boy. Das Platzangebot ist gewohnt verschwenderisch, der Seitenhalt der Sitze in Liegestellung ungewohnt dürftig. Nun gut, nächtigen wir halt ausschließlich auf dem Rücken und hoffen, dass der andere nicht schnarcht. Es fühlt sich ein wenig schräg an, mitten in dieser brummenden Stadt zwischen vielen fremden Menschen in einem dicken deutschen Auto zu schlafen. Aber der Landwein und das gute Essen sind prima Einschlafhilfen. Bis gegen 4.00 Uhr Morgens, als vier junge Italiener laut krakeelend um den Mercedes herumlungern… Mit einem frischen, leckeren Schluck Adrenalin im Blut hechtet Nick auf der Fahrerseite lautstark aus dem Auto und gibt den jungen Männern mit einem klar formulierten englischen Fluch zu verstehen, dass sie gern mal weiterziehen dürfen. Diese quittieren das noch lauter mit hier nicht näher erläuterten italienischen Flüchen (sie haben etwas mit dem zweiten Weltkrieg zu tun). Nach ein paar Momenten freuen wir uns, dass wir noch am Leben sind und lediglich einen krumm getretenen rechten Außenspiegel zu beklagen haben… Richtig gut schlafen konnten wir jedenfalls nicht mehr.

Frühsport am Arno

Frühsport am Arno

6.30 Uhr, Florenz, die Frisur sitzt. Mit leicht verspanntem Nacken und ganz doll eine Dusche vermissend beginnen wir den Tag mit ein paar Streckübungen am dämmerigen Ufer des Arno. Eine leichte Morgenkühle liegt über der noch schlafenden Stadt. Bei der Mille Miglia (die habe ich schon fast vergessen) nächtigt das gemeine Fahrervolk vermutlich komfortabler. Dafür reist man nicht so bequem. Irgendwo gleicht sich das ja alles aus. Ein bisschen müde fahren wir unserem ersten Kaffee entgegen und lassen uns mit schlechtem Gewissen von unserem Navi aus Florenz heraus führen. Nächstes Ziel: Maranello, schillernde Stadt rund um eine Autofabrik, die so kleine schnelle rote und vor allem teure Sportwagen schmiedet. Vorteil der nächtlichen Adrenalin-Aktion: die elektrische Verstellung jenes rechten Spiegels geht auf einmal wieder. Danke, Italien.

Due Cappuccini por favore

Due Cappuccini por favore

Das muss man den Italienern außerdem lassen: Kaffee kochen können sie. Selbst der allerletzte Automatenkaffee in irgendeinem Nest am Straßenrand schmeckt nach Urlaub und erfüllt seinen Zweck hervorragend: Er macht wach! Sie steckt in den Knochen, die Nacht im Benz. Ich habe schon besser geschlafen und kann die Gründe gar nicht recht benennen. Vielleicht, weil mir das Kuschelkissen auf dem schlumpfblauen Velours fehlte? Vielleicht in Ermangelung einer kuscheligen Decke? Ich werde es wohl nie erfahren. Der Picknicker rapt wieder aus dem Becker-Radio, und vor uns liegt die auslaufende Toskana mit ihren Zypressenalleen und einfachen, schönen Tonziegel-Häusern. Ciao, Firenze.

Es ist ein weiter Heimweg!

Es ist ein weiter Heimweg!

Navigationssysteme haben ihre eigene Psychologie. Ich gestehe erneut, dass wir unseres nebenbei mitlaufen lassen, denn das Roadbook allein ist uns auf dieser Reise zu ungenau. Macht es mich nun nervös, wenn ich lese, dass ich heute noch 1318 Kilometer unter die dicken Winterreifen bringen möchte? Oder ist es angenehm, sein Ziel klar definiert zu bekommen und sogar eine geschätzte Ankunftszeit zu erhalten? Retrospektiv ist es in jedem Fall unterhaltsam, sich von der computergenerierten weiblichen Sprechstimme die italienischen Straßennamen vorlesen zu lassen, jedenfalls für ein paar Kilometer. Dann kann man den Ton auch gern wieder ausmachen. Und über minderwertige, abfallende Saugfüße unterhalten wir uns auch noch ausgiebig im kommenden Blog!

Hier baut man rote Autos

Hier baut man rote Autos

Maranello ist nicht schillernd. Streichen Sie diesen Satz zwei Absätze weiter vorn. Maranello ist klein, schmutzig, umgeben von stinkenden Gewerbegebieten und völlig deplaziert auf einer grünen Wiese voller Müll. Irgendwo am Rand bauen sie in einer grauen Aluhalle Ferraris. Was für ein unsagbares Erlebnis, hier sein zu dürfen, an dieser Geburtsstätte eines Mythos, in diesem Wunderland der Geschwindigkeit und des enthusiastischen italienischen Ingenieurs-Pathos! Wir sind so begeistert, dass wir am liebsten gar nicht aussteigen würden. So ein Automatenkaffee ist ja irgendwie auch recht unterhaltsam. Irgendwann möchte man ja auch mal nach Hause. *knips*, toll hier, lass uns weiter.

Mitbringsel - wir haben genug Platz

Mitbringsel – wir haben genug Platz

Keine Mille Miglia ohne vernünftige Geschenke für die Lieben daheim. In einem Supermarkt irgendwo am Rande von Maranello decken Nick und ich uns mit nennenswerten Mengen an Rotwein, Käse und pikanter Wurst ein. Der Benz hat (im Gegensatz zu uns) Niveauregulierung und schluckt die Last mit der ihm innewohnenden Würde. Was für eine sagenhafte Reise! Zwischen alten Mauern und schöner Landschaft auf ehrwürdigen Straßen in einem nicht mehr zeitgemäßen Auto haben wir ein Gespür für die Distanz von 1000 Meilen über Land bekommen! Das ist echt viel für drei Tage, auch in einem dicken Benz. Respekt für die Fahrer des Events, und nach der Drifterei auch für die Autos, die schon ein paar Jahre mehr auf dem Blech haben!

23.00 Uhr, Hamburg. Staufrei, müde und randvoll mit Impressionen. Ende Mai geht die „echte“ Mille Miglia in Brescia los. Verfolgen Sie den Verlauf? Vielleicht erkennen Sie ein paar der Schauplätze wieder…

Ich trinke heute, exakt zwei Jahre später, noch einen Crémant auf die letzten 40 Jahre. Ganz allein. Das war schon ein schöner Geburtstag, damals, in Florenz.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

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