Es riecht nach Metall, nach Gummi und Geschichte.
Stille in den Räumen und Hallen, fast unwirkliche Stille. Aber was ist schon „wirklich“? Ich bin im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart. Ganz alleine, ohne irgend einen anderen Besucher und mit dem Masterschlüssel zu sämtlichen ausgestellten Autos. Zwischen dem Patent Motorwagen ganz oben und dem AMG GT ganz unten gibt es so sagenhafte, oft unbekannte Geschichten und Legenden, dass einem schwindelig werden kann. Anfassen. Reinsetzen. Lesen. Historie des Automobilbaus spüren und riechen. Ich gehe heute auf eine kleine Reise durch sieben Ebenen, prall gefüllt mit dem Vermächtnis von Daimler und Benz. Mit Einblicken, die nicht jedem zahlenden Besucher gewährt werden, denn die Türen der Autos sind normalerweise zu. Setzt ihr euch auf den Sitz neben mich? Mal links, mal rechts?
Messen, wie man 1960 gemessen hat.
Graue, unbequeme Kopfhörer mit einem Mikrofon. Ein Nachkriegs-Headset mit einer grauen Strippe und einem wuchtigen Stecker. Dicke Skalen auf runden Instrumenten neben dem Fahrersitz, in handgesägtes Holz eingelassen. Über eine Art Angel wird aus dem 300er Einzelstück-Kombi ein dicker Kabelstrang zum vorausfahrenden Auto geführt, in dem Sensoren die Messwerte produzieren, die so gemessen werden sollen. 1960 musste man noch einen genauen Abstand zum vorausfahrenden Auto halten, Kabellänge quasi, Funk war da nicht. Jedenfalls nicht hier. Es riecht nach grauem Beamtentum, Ingenieurswesen und diesem typischen Geruch von alten Telefonen. Kennt ihr den? Ist das Bakelit? Im Heck des klobigen 160 PS Brummers mit dem dicken Sechszylinder sind noch mehr Messgeräte, die hinter massivem Blech mit reingeschlagenen Kühlrippen auf ihre Bedienung warten. Aber sie werden nicht mehr bedient. Anzeigen, Schalter und Lampen. Mittendrin ein kleiner Korbstuhl, entgegen der Fahrtrichtung. Bequem hatten die Techniker es damals nicht, aber sie hatten einen zukunftsformenden Job.
Etwas am Rand, Montags nicht so hell beleuchtet, steht ein 300 SL Roadster. Rot. Ein Rotster. In diesem Jahr feiert der für mich schönste klassische Sportwagen seinen 60sten Geburtstag, die Preise selbst für desolate Scheunenfunde sind exorbitant und man vermutet, dass es inzwischen mehr Replicas als Originale gibt. Die offene Sünde mit den lüsternen Kurven hat den gleichen Motor wie der bullige Messwagen von eben drin, einen Dreiliter Sechszylinder. Daher sein Name. Der drückt die längst gekürte Ikone locker auf über 250 km/h, was 1957 der Geschwindigkeit von Mondraketen glich. Ach nein. Moment. Die Sache mit dem Mond und so, das kam mehr als 10 Jahre später 😉 Respektvoll gleite ich mit meiner Hand über die Hüften des Autos. Der Lack ist irgendwie weich. Karajan, Tony Curtis, Romy Schneider, Sophia Loren. Die fallen mir ein, die waren mal Käufer dieses Autos. Ein paar mehr Promis werden unter den 1858 Käufern vermutlich gewesen sein.
Mein „Masterschlüssel“ schließt mir auf. Der gute Mann arbeitet hier und hat Montags etwas mehr Zeit als sonst. Montags ist das Museum für das Publikum geschlossen. Er erzählt fassungslos Geschichten von der unfassbaren Anfass- und Reinsetzwut einiger Besucher. In vielen prinzipiell offenen Exponaten, auch in dem 300 SL Flügeltürer nebenan, ist der Fußraum mit herausnehmbaren Plexiglasplatten verbaut, um allzu aufdringliche Touristen faktisch am verbotenen Einsteigen zu hindern. Das stört aber nicht alle. Nun – ich darf. Der lange Griff ist halb im Blech versenkt, ich muss ihn erst reindrücken und dann kräftig rausziehen, um einsteigen zu können. Und das ist gar nicht so einfach. Rechtes Bein unter dem Lenkrad durch, dann hinsetzen und das linke Bein über den breiten Schweller nachziehen. Drin. Tür zu. *RUMMMMMS!!* schepper „Hey hey ein bisschen mehr Liebe Herr Journalist. Du sitzt da grad in ’ner runden Millionen drin.“ *schluck* Ach du…. okay. Ich… Puh.
Es riecht nach wundervollem Leder und lackiertem Metall. Überall funkelt Chrom und polierter Lack, in dem sich das Licht der Scheinwerfer an der Betondecke spiegelt. Die 50er strömen aus jedem Lüftungsschlitz und nehmen mich gefangen. Irgendwo spielt leise Rock’n Roll ♫ Werde ich langsam ein bisschen bekloppt? Ich möchte das nicht ausschließen. Vielleicht war es heute früh auch nur ein bisschen zu viel Kaffee. Ich sitze einfach so vor mich hin und bin glücklich.
Aber wenn ich hier schon im offenen 300 SL sitze, möchte ich auch noch einmal vier Meter weiter nach links. Eine Stoßstange weiter. Da steht im Halbdunkel ein Auto, an dem viele einfach so vorbei gehen. Die, die sich nicht vorbereitet haben, oder die nur die typischen Meilensteine sehen wollen. Dieses Rot lenkt aber auch echt ab. 1955 wurden zwei geschlossene, weniger rote 300 SLR für den Renneinsatz in der Saison ’56 entwickelt. Gewaltige Reihenachtzylinder mit über 300 PS, fast 300 km/h schnell. Sie kamen aber nie zum sportlichen Einsatz, weil Daimler-Benz noch zum Saisonende 1955 aus dem Motorsport ausstieg. Und dann?
Sowas kann man doch nicht einfach so in der Halle stehen lassen! dachte sich Rudolf Uhlenhaut, der damalige Leiter der Versuchsabteilung. Da die Wagen eine Art nutzlose Rennrequisite mit Straßentauglichkeit waren und niemand sie wirklich brauchte, nahm er sich kurzerhand einen als Dienstwagen. So konnte der aufwändig entwickelte Rennwagen wenigstens noch einen praktischen Nutzen erfüllen und musste nicht verschrottet werden. Und wie er das konnte. Der Motor mit den beiden armdicken Auspuffrohren aus der echten Flanke raus war eine Weiterentwicklung des 1954er Formel-1 Werksmotors. „Der läuft bei 290 km/h schnurgerade, ohne mit der Wimper zu zucken. Er ist unsensationell bis zum Exzess“ schrieb ein Motorjournalist, der ihn einmal ausfahren durfte und fast nicht glauben konnte, wie einfach das Coupé im Grenzbereich zu fahren war.
Die Sitze sind brettharte Campingstühle mit blau grau karierten Campingstuhl Sitzauflagen. Schlimm, aber authentisch. Hier und da sind ein paar kleine Kaffeeflecken zu sehen. Herr Uhlenhaut hatte wohl beim Schalten gekleckert. Auch hier ist das Einsteigen vergleichbar umständlich wie beim offenen roten Pendant: Rechtes Bein unter dem Lenkrad durch, keinen Krampf bekommen (das ist in meinem Alter bei derartigen Bewegungen gar nicht so einfach) und das linke Bein nachziehen. Als ich satt und schmatzend drin sitze, schmunzelt mich der Masterschlüssel Mitarbeiter an und nimmt mit einem Handgriff das hölzerne Lenkrad ab 🙄 Na danke. Aber jetzt weiß ich, dass ich gleich wesentlich einfacher wieder raus komme. Wonach riecht es hier? Hm. Es riecht kalt. Nach Metall und nach Schmierfett. Es riecht karg. Uhlenhaut legte die Strecke von Stuttgart nach München in einer Stunde zurück. Inzwischen ist diese gut gepflegte Legende sogar nachgewiesen, auch wenn es aus heutiger Sicht unmöglich erscheint, die knapp 250 Kilometer über die A8 in dieser Zeit zu schaffen. Aber wir alle sind ja auch nicht der Herr Uhlenhaut.
Was mag das für ein Mann gewesen sein? Ich muss ihn mal googeln. Vermutlich war er kleiner als ich, denn ich sitze im 300 SLR echt nicht richtig gut. Wenn ich mir jetzt noch eine Reise mit einem Viertel der Schallgeschwindigkeit vorstelle…. Puh. Die Flügeltüren des silbernen Coupés sind im Museumsalltag übrigens zu. Was auch viele nicht wissen: Das „Uhlenhaut Coupé“ ist eines der teuersten Automobile der Welt. Es ist unverkäuflich, wird aber inzwischen auf einen dreistelligen Millionenbetrag beziffert. Fragen? Nein. Ich steige wieder aus, tatsächlich geht das ohne Lenkrad wesentlich einfacher. Und ich bin beseelt. Es ist quasi unmöglich, angesichts der Geschichten dieser Ausstellungsstücke kein Fan der Marke zu werden. Und dabei bin ich eigentlich „nur“ beruflich hier. Welche Faxen Claude und ich jenseits der offiziellen Fotos noch gemacht haben – das ist eine andere Geschichte 😉
Aber hier in Stuttgart stehen nicht nur offizielle Legenden. Natürlich gibt es auch wesentlich profanere Autos, die deshalb aber nicht weniger spannend sind. Habt ihr in den späten 90ern Jurassic Parc II gesehen? Könnt ihr auch an die M-Klassen erinnern. Hier steht eine davon rum. Netze auf den Sitzen und das klotzige Navi auf dem Armaturenbrett. Kann man machen. ROAR!
Ja, es ist einer der originalen Ms aus dem Film. Geil. Nachdem ich also nicht von einem Tyrannosaurus Rex gefressen worden bin, bekomme ich selbst Hunger und habe für den Vormittag nur noch ein persönliches Highlight vor der Kamera. Oder vor der Selfiecam vom iPhone. Oder vor Augen. Oder so. Ringo Starr, einer von noch zwei lebenden Beatles, bestellte sich 1984 einen 190er Mercedes mit dem serienmäßigen 2-Liter Motor. Die Serienversion war dem Trommler wohl ein wenig zu schlicht. Er ließ die schwarze Limousine in England mit viel Geld und allen dafür nötigen Teilen zu einem quasi echten 190 E 2.3 AMG umbauen. Jetzt konnte der 150PS Stufenheckler mehr als 200 km/h fahren und steht heute im Museum in Stuttgart…
Ups. Ja klar, Rechtslenker. Immer wieder ungewöhnlich. Ich lege meine Hände auf das AMG Lenkrad, wo auch Ringos Hände in hart durchfahrenen Kurven kräftig zupacken mussten. Ich gucke über die gleiche Haube, über die er die Landschaften Großbritanniens vorbeifliegen sah. Understatement und Savoir Vivre gleichzeitig. Nicht mit einem roten Ferrari auffallen, aber trotzdem was Besonderes haben. Jeder verbliebene Ex-Beatle hätte in den 80ern jedes verfügbare Auto auf diesem Planeten kaufen können. Ringo nahm einen kleinen Mercedes. Irgendwie smart. In der Mittelkonsole lauert ein Alpine Radio, welches mal ein kleines Vermögen gekostet haben wird und was ich früher irgendwie prollig fand. Was hat der Trommler wohl in den 80ern für Musik gehört, wenn er unterwegs war? Spannende Frage eigentlich.
Am Ende sind es alles Legenden, Geschichten und längst vergangene Ereignisse, von denen diese Autos hier erzählen. Wenn ich von oben nach unten durch alle Stockwerke laufe und lese, erfahre und betrachte, wäre ich noch drei Tage länger hier. Zwischendurch wird mir in Schaukästen immer wieder das Zeitgeschehen erzählt, was gerade neben den auf der Ebene ausgestellten Autos aktuell war. Ein bisschen Geschichtsunterricht. Und wohl gehütete Schätze deutscher Automobilbaukunst, zum Greifen nah und doch für uns alle unerreichbar fern. Da ist es irgendwie salbend, einmal auf diesen Sitzen zu sitzen, auf denen die anderen gesessen haben. Uhlenhaut. Häkkinen. Ringo. Lady Diana. Der Papst. Und so viele mehr. Das macht die Menschen hinter den Legenden menschlich, und das macht die Autos wieder zu Autos. Denn sie sind nicht mehr und nicht weniger, wenn wir mal ehrlich sind.
Aber wir verbinden mit vielen der Autos hier Zeitgeschichte. Historische Landmarken und prominente Personen, die unser Leben im Fernsehen eine zeitlang begleitet haben. Oder im Radio. Oder wir legen uns darauf fest, dass viele der hier gezeigten Autos einfach nur wunderschön sind. Auch gut. Vom C111 will ich jetzt erst gar nicht anfangen, fast hätte ich sogar einen der orangen Unikate fahren können! Aber das Wetter war zu schlecht und er lief grad nicht gut. Na gut, ich muss auch noch Ziele für’s nächste Mal haben, wenn ich im Herbst wiederkomme. Wenn ihr noch nie da wart und einen Rest Benzin im Blut habt – hin da. Und auf der Facebookseite könnt ihr mein zweisprachiges, in Postings umgesetztes Treiben verfolgen und kommentieren 🙂
Rest in peace, Rudolf. Gute Nacht, Ringo. Uns alle verbinden die Autos.
Sandmann
Das nächste Mal komme ich eben auf einen Kaffee vorbei 😉
Okay, nächstes Mal sage ich VORHER Bescheid.
Bist du auf der Techno Classica in Essen? Ich bin Mi Nachmittag und Do Vormittag da….. Da geht AUCH ein Kaffee… 😀
Sandmann
Der KLE hat dort einen Stand.
Was ist denn das für ein Schneewittchen-126er da oben? Würg.
Adios
Michael
KLE wird selbstverständlich heimgesucht 🙂
Das ist obligatorisch.
Der „Schneewittchen-126er“ da oben ist ein Konzeptfahrzeug, das Auto 2000 von 1981. Das sollte niemals schön sein. In dem wurden drei Antriebskonzepte getestet und weiterentwickelt, ein V8 mit Zylinderabschaltung, ein Turbodiesel und eine Gasturbine. Das muss da ja auch alles irgendwie reinpassen 🙂
Schau mal: http://blog.mercedes-benz-passion.com/2009/09/1981-mercedes-benz-stellt-forschungsfahrzeug-auto-2000-vor/
Da stehen noch wesentlich unförmigere Autos rum. Aber die Geschichten dahinter sind faszinierend…
Sandmann
Ich war ja schon auf der Retro… Essen ist mir zu weit.
Schöne Geschichte.
Wenn du das nächste Mal den C111 fahren kannst, dann sag Bescheid, ich bin dabei, egal wann, ich werde Zeit haben… 😉
Den C111 hatte ich letztes Jahr in Bremen gesehen, und mich wieder an meinen Wiking C111 erinnert, der immer einer meiner Lieblinge war. Neben dem Aston Martin Lagonda ist der C111 mein einziges „Traumauto“.
Ay Mick,
im Museum stehen ja gleich drei rum. Aber da es Unikate und Konzeptfahrzeuge sind, stellen sich die Hüter der Garagen da nachvollziehbar zickig an, wenn so ein Typ kommt und sagt: Ich will den bitte mal fahren 😀
Dieses Mal ist uns vor allem das schlechte Wetter dazwischen gekommen. Ich bin im Herbst wieder in Stuttgart, ich werde einen Ping senden…
Sandmann
Hi Sandmann,
klar, das die nicht jeden da ran lassen. Ich hätte meinen Vorschlag auch nicht als ernsthaft realistisch eingeschätzt, würde mich aber umso mehr freuen, wenn das tatsächlich etwas werden würde.
Im nachhinein hatte ich mich schon etwas geärgert, in Bremen, auf der BCM, nicht wenigestens nachgefragt zu haben, ob ich mich da mal reinsetzen dürfte.
Ich bin schon überglücklich wenn ich selbst das mal darf. So als Social Benz Mann und so….
Ich halte euch auf jeden Fall auf dem Laufenden. Der Herbst ist ja noch lange hin. Jetzt kommt erstmal der Sommer… 🙂
Sandmann
Moin Sandmann!
Als alter Boxerfan war ich durchaus schon mal in Stuttgart im Automuseum. Allerdings beim Zuffenhausener Zweisitzerbauer. Das ist aber auch schon ein paar Tage her. Die Ausstellung wurde ja komplett neu gebaut.
Aber auch bei beim Daimler stehen schon sagenhaft schöne Wagen rum! Und ich kann Ringo vollkommen verstehen – der 190er macht unheimlich Spaß und bietet dabei sehr viel Understatement.
Viel Spaß in Essen!
Steffen
Ay Steffen,
danke, Spaßwünsche sind angekommen 🙂 Ich habe Videos von allen ALL TIME STARS gemacht, vom Tacho einmal rum mit Tür-zu-Sound. Hihi.
Dann wurde ich eben noch von einem Redakteur der AutoCLASSIC zu Porkys eingeladen, Essens bestem Imbiss. Mir brennt der Mund, aber es war geil.
Deine Quietscheente wird morgen besorgt…
Sandmann
Gude Sandmann!
Vielen Dank dafür! Auf Messen geht nix über gutes Essen! Das ist für mich immer der perfekte Tagesabschluss nach dem ganzen Rumgestehe und Reden.
Übrigens ist das Projekt Altauto in der Entstehung begriffen. Ich will mir Ende des Monats mal ein schönes Wägelchen anschauen.
Endspurt ins Wochenende!
Steffen
Ay Steffen,
die bestellten Enten sind alle heil in Kiel gelandet. Jetzt müssen sie nur noch auf die Reise gehen 😉
Deine Altautowünsche machen mich ja schon neugierig… Magst du mal einen Tipp geben? 🙂
Sandmann
Tjaaaahaha…
ich schicke Dir mal ein Bild.
Steffen