Sein oder Nichtsein?
Auf dänischen Radwegen ist für den norddeutschen Mopedfahrer eher Nichtsein angesagt. Die geringe Menschendichte im Land von Shakespeares Hamlet verführt zwar zum Regelbrechen – aber Herr S. und ich haben Ciao und Combinette schon unkontrolliert über die Dänische Grenze katapultiert und röhren jetzt auf der Hauptstraße. Das bedeutet: Zwei Freunde auf zwei Mopeds mit einem gemeinsamen Ziel: Heute Abend irgendwie in Henne Strand an der dänischen Nordseeküste ankommen. Vorhin gab es leichte… Startschwierigkeiten. Und ich habe schon wieder Hunger. Setzt euch auf den Tank und lasst euch von uns durch den Norden vibrieren!
Nun laufen sie. Beide.
Das kontemplative vor sich Hingeröhre ist asketisch. Mir kommen Erinnerungen an den gleichen Trip vor 9 Jahren, auch weil es die gleiche Strecke ist und sich hier nicht wirklich viel verändert 🙂 Den Pornoladen in Kruså lassen wir diesmal links liegen und schrabbeln über die Landstraße 401 in Richtung Tinglev. Das ist quasi die Diagonale nach links oben, über Løgumkloster zur 11 nach Ribe. Die frühherbstliche Mittagssonne scheint so, als wenn Engel reisen würden! Allerdings täuscht das ein bisschen über die tatsächliche Jahreszeit hinweg. Herbst. Es ist Ende September, und der Fart-wind zieht mit Macht die Wärme aus den Körpern.
Die Langsamkeit
Irgendwie sitzt Herr S. schon wieder auf so etwas wie einer kleinen Mofa 😀 Dabei ist dieses Konstrukt italienischer Motorenbaukunst ein valides Raketengeschoss, was locker und selbstverständlich unfrisiert 47 km/h erreichen kann! Nur mit dem Stauraum hapert es. Wenigstens hat er bis hier nicht noch was verloren. Frisiert ist auch ansonsten niemand, weder meine schnellere und schwerere Zündapp noch der obenrum spärlich-behaarte Herr S. unter seinem schicken US-Cop-fahrensiemalrechtsran-Helm. Noch ich selbst. Der offene Deckel wird bis heute Abend schlimme Sachen mit meiner Howard Carpendale Gedächtnis Frisur machen. Ich muss mal wieder zum Friseur.
Kennt ihr das? Wenn man eigentlich weiß, was etwas in einer anderen Sprache bedeutet – aber immer wieder lachen muss? Auf meinen ersten Dänemarktouren Ende der 80er habe ich mich gefragt, ob din fart vielleicht eine standardisierte Flatulenz sei. Teenagerhumor, sagenhaft. Also sowas wie DIN A 4 eben, ja? DIN Fart. Haha. Oder ob die Schilder meine eigenen Pupse zählen. Dein Furz: 42 Mal. Der ist fast noch viel lustiger als der andere. Der Humor der Welt und parallel mein persönlicher haben sich seit dem verändert, aber ich schmunzel trotzdem noch immer 😉 Allerdings ist die Fart-Zahl beim Anflug auf Tinglev wenig beeindruckend. 39? Also nicht mehr als die 20cm des Mannes? Das geht besser!
Drei Tage am Meer
So eine Easy Rider Tour zweier angegrauter Männer in der Mitte ihres Lebens schreit nach einem Soundtrack! Peter Fonda und Dennis Hopper bekamen hochverdient den ikonischen Gitarrenrotz von Steppenwolf auf ihre Chromfelgen gedröhnt. Sandmann und Herr S. bleiben da nur bei „Drei Tage am Meer“ von AnnenMayKantereit hängen, was ich aus urheberrechtlichen Gründen hier nirgends veröffentlichen darf. Aber hört euch das mal an, das ist fein 🙂 Es bleibt uns also nur der selbstproduzierte Soundteppich, und der geht MÖÖÖÖÖÖÖÖHHHHHHH. Wollt ihr mal hören? Sowas hier, und das über sechs Stunden:
MÖÖÖÖÖHHHH. Tatsächlich permanent MÖÖÖÖÖÖHHHHH 😀 Die Landschaft mit ihren Feldern, Schafen, Kühen und Pornofilmstudios zieht nur unwesentlich schneller als auf dem Fahrrad vorbei. Es ist herrlich. Hach. Inzwischen existiert auch wieder der Glaube daran, dass wir aus eigener Zweitakt-Kraft ankommen. Die Mopeds sägen wie entfesselt durch die dänische Luft. Herr S. beklagt das schleichende erfrieren seiner Hände (ich trage seit Tinglev Handschuhe), aber ab und an haucht uns ein kurzer, wenig klimaneutraler Temperaturanstieg an. Die schweren Laster geben uns immer wieder einen lauwarmen Rückenwind, wenn sie viel zu dicht überholen.
Manchmal fahren wir in Formation auf den gut ausgebauten Radwegen nebeneinander, manchmal spielen wir Überholspielchen auf den insgesamt leeren Straßen. Die nicht uninteressante, optionale Tachokonstruktion an der Ciao mit Holz und Kabelbindern lässt sich auch bergab und mit knietief abtauchen nicht über ihre felsenfeste 47 km/h Marke bringen. Der italienische Zweitakter schreit aufgebracht und völlig am Limit.
Bayerische Gelassenheit
Die frisch abgedichtete Combinette brummt eher so mit dreiviertel-Gas hinterher, und bei der nächsten OrtsdurchFART nehme ich Anlauf! An Herrn S. vorbei, einen dänischen Schlachtruf auf den Lippen! Die Landschaft verwischt unter dem Gebrüll des Chores der 50 Kubikzentimeter. Die Zeit verlangsamt sich. Der Raum wird gekrümmt. JAAAA! Nimm DAS, Dänemark!!
Und da geht noch mehr. Herr S. wird allerdings am Horizont immer kleiner, also lasse ich die bayerische Wertarbeit ausrollen und ihn wieder röhrend aufschließen. Das ist gut für den Ruhepuls. Wir sind auf einem Roadtrip ohne Vollgas 🙂 Wie hoch ist eigentlich der Verbrauch von den Feuerstühlen? Keine Ahnung. Der Rahmentank der Piaggio scheint nicht viel größer als eine Milchtüte zu sein, während im liebevoll von Hand gestalteten Gemischlager der Zündapp durchaus Platz für die fossilen Reserven des kompletten Königreichs zu sein scheint. Über Benzin nachdenken macht durstig. Also, ihn. Und bevor die Flasche nochmal abfallen kann trinkt er sie lieber aus.
Trinken und tanken
MÖÖÖÖÖÖHHHHHHH voran voran. Am Lenker eines Moped gestaltet sich die Wegfindung anders als am Steuer eines Kraftfahrzeugs. Irgendwo sind wir nicht so abgebogen wie geplant, und plötzlich dröhnen die Motörchen durch das unbekannte Zentrum von Bramming. Ein Expander aus Herrn S.‘ Gepäckkonstrukt reißt mitten auf einer belebten Kreuzung, und endlich fällt die Trinkflasche wieder klonkend auf die Straße. Allerdings nicht ganz alleine. Der kleine Messbecher, den er zum Zweitaktöl abmessen dabei hat, obwohl auf den Ölflaschen Eichstriche sind, tut es ihr nach. Des weiteren sind keine besonderen Vorkommnisse oder Verluste zu chronologisieren. Ach doch. Der italienische Milchtütentank ist kurz hinter dem unbekannten Zentrum von Bramming alle. Komplett alle!
Dass ich diese restlose Alligkeit so betone liegt daran, dass hier erstmals Havarieansätze bei der Piaggio zu erahnen sind. Sie… springt einfach nicht an! Hvor dumt er det?? Na klar muss der Sprit erstmal vom Milchtütentank in den leergezogenen Vergaser laufen. Dann zieht der Unterdruck im Motor das Benzin-Luft-Gemisch durch den Ansaugstutzen in den Zylinder – und erst dann kann es gezündet werden. Kennt man ja. Allerdings tritt Herr S. nun schon seit mehreren Minuten (oder Kilometern) fluchend in die Pedalen, keucht und lässt den Dekompressionshebel immer wieder punktgenau kommen. Ohne Erfolg. Ich rauche einen Zigarillo. Er wuchtet das Ding auf den Ständer. Und lässt genervt Wasser und Cappuccino raus.
Es sind diese Maisfelder zwischen Skærbek und Ribe, die ein besonderes Karma haben. Wobei ich an dieser Stelle einen weiteren 90er Wortanker einbringen möchte und um Verständnis bitte. Ich denke immer, IMMER wenn ich durch Skærbek fahre: „Ohne Airbag durch Skærbek“. Das nervt. Und vielleicht nervt es euch eines Tages auch. Toll 🙂 Als ich schon im Geiste die Nummer des ADAC wählte springt die Ciao von Herrn S. an, und er schickt Lobpreisungen in die Abendluft. Kurz darauf (oder auch ein bisschen später) läuft auch die Zündapp, und wir MÖÖÖÖÖÖÖHHHHPpen weiter nach Ribe. Hunger! Da war doch dieser Hunger!
Ohne Mampf kein…
Reisebrötchen™ 🙂 Eins war noch übrig von meinem frühaufgestandenen Hinweg, der nun auch schon wieder fast 10 Stunden her ist. Wir teilen es brüderlich und beschließen, dass das genug sein muss bis Henne Strand. Außerdem wird hier erneut deutlich, was Mopedhelme mit den Frisuren machen können! Bei mir ist aus Howard Carpendale inzwischen Ed Sheeran im Rentenalter geworden. Herr S. hat seinen Helm noch immer auf. Ach nein. Moment. Okay, irgendwas mit Bruce Willis. Wir könnten hier bei einem Imbiss nur wenige Meter entfernt eine dänische Schlachtplatte mit Röstzwiebeln essen – aber irgendeine nicht greifbare Macht sagt uns, dass wir unser Geld lieber morgen in Bier und T-Shirts anlegen sollten. Noch ein Foto mit Ribe im Hintergrund. Und dann weiter.
MÖÖÖÖÖÖÖÖÖHHHHHH! Nach jeder Pause das gleiche Bild. Herr S. kurbelt die Pedalen im Kreis, bis die Ciao spotzend und fehlzündend anspringt. Ich auch, aber nicht ganz so lange. Muss die Zündkerze bei dem italienischen Qualitätsmofa vielleicht mal neu (ich habe eine dabei)? Und bei meiner Zündapp zickt entweder der China-Vergaser oder die China-Zündung. Beides war billig und lässt sich ggfs. schnell austauschen, aber nicht mehr auf dieser Reise. Langsam riecht es nach Strandhafer, lila Heide und Salzwasser. Die Nordsee ist nicht mehr weit. Meine Pobacken und meine Beine geben dem ein Like. Die kalten Hände des Herrn S. haben keine Meinung mehr. Aber es gibt ja hochwertige Prothesen.
Umwege sind… toll
Das letzte Drittel der Reise verdampfte recht… kurzweilig! Ich kenne Varde, kurz vor Henne Strand. Ich kenne die Geschäfte, die HotDog Buden und vor allem den Weg, den man nehmen muss, um an Varde vorbei zu kommen. Bei der ersten Ampel geradeaus und dann links auf die Umgehung. Westwärts. Herr S. biegt selbstbewusst an der ersten Ampel rechts ab (bloß nicht anhalten!) und dröhnt mit eingefrorenen Händen dem Horizont entgegen. Kurz bevor wir Kopenhagen erreichen wage ich einen Blick auf Google Maps, bremse ihn aus und lotse uns über die Felder zurück auf den Weg, der nach Henne Strand führt 😉 Aber hey – wir sind ja nicht zum Vergnügen hier.
Können männliche Hoden durch die permanente Vibration eines hoch drehenden, kleinvolumigen Zweitakters stimulativ verändert werden? Andersrum gefragt: Macht so eine Vollgas-Mofatour was mit einem 51jährigen Mann im Körper eines 23jährigen? Diese Frage werden wir heute nicht mehr beantworten, aber Herr S. und ich sind in Henne Strand / Dänemark angekommen! Yay.
Gekommen um zu bleiben
Henne, mein Henne. Ein paar Sachen sind anders als vor 9 Jahren. Wir sind tatsächlich nicht ganz so geschrottet von der Fahrt wie damals. Der uns zugewiesene Platz ist nicht mehr vorn an der Straße, sondern zwischen dicken Wohnmobilen irgendwo weiter hinten. Egal. Und… der sympathische Typ an der Camping-Rezeption sagt: „Jens? Jens Tanz? Also… DER Jens Tanz? Der Sandmann? Das gibt’s ja nicht“. Ich gucke Herrn S. mindestens genau so belustigt an wie er mich. Tim Uhlemann, Buchautor und Auswanderer, mag meine Seite. Aber dazu später mehr, ich muss erstmal ankommen. Verdient.
Der Flensburger Cop ohne Haare (aber mit Lederjacke) und abgefrorenen Händen wuchtet seine italienische Dienstmofa auf den Klappständer und beginnt, das Röhrenzelt abzuladen und aufzubauen. Ich geselle mich dazu. Noch immer etwas überfordert von Coming Out meines ersten Fans folgt mein Blick freundlichen Rentnern, die die Tanks der Chemietoiletten ihrer einfamilienhausgroßen Wohnmobilkästen mit dem Hackenporsche zum Kacke-Kompost-Depot rollern, während die Ehefrau die Poco-Domäne-Loungemöbel drappiert und den Gasgrill vorwärmt. Wir sind da. Ein Zelt, gemütliche Schlaf…lager Dings irgendwas am Boden und eine Flasche Wein. Mehr brauche ich heute Abend nicht 🙂
Heute war gut. Morgen wird auch gut. Nur einen guten Freund und ein bisschen Geld für Essen und Trinken – in Dänemark. Inklusive Nordsee. Ich liege in meinem XXL Schlafsack auf meiner XL Luftmatratze, angetrunken von Prosecco und Rotwein, und höre die Nordsee rauschen. Und din fart. Hallo Leben. Ich denke an einen wundervollen Menschen in Deutschland, und gleich nochmal, und noch ein bisschen mehr, und sage diesem schönen Tag gute Nacht. Euch auch. Wir lesen uns morgen bei unsinnigen Dingen 🙂
Der Rest ist Schweigen
Sandmann
HIER geht’s weiter!
Danke! Ich habe mir das Video gegeben und bin nun gespannt ob ich das „Möööööööööhh“ heute noch aus dem Kopf bekomme. 🙂
Danke an euch, es gibt in dieser verrückten Welt zum Glück noch normale Leute. . . 😀
Grüße aus dem Reduit!
Bester Bronx,
nachdem ich deine phantastischen Bilder gesehen habe, denke ich, dass dein Lada Leben mindestens genau so normal ist wie unsere Moped-Tour 😉
Tatsächlich brennt sich das MÖÖÖÖÖÖHHHHH ein bisschen in den Kopf und die Ohren, verbunden mit den leichten Vibrationen im Genitalbereich ist das irgendwie beruhigend 😀
Ich werde bestimmt noch ne kleine Tour machen, bevor der Frost kommt. Aber dann mit dem alten Vergaser. Vielleicht springt sie dann besser an, wir werden sehen.
Grüße ins Reduit
Sandmann
Bester Möpmann,
da sagst du was. Ich bekomme jetzt noch Lachkrämpfe wenn ich an das Gesicht der einheimischen Zöllner bei der Einreise in die Exklave denke.
Visum hin oder her, die Karre muss bei der Einreise verzollt werden. Auch wenn du denen sagst, ich reise mit dem Kahn doch wieder aus! Egal, es interessiert keinen.
Ich reiche also meine Papiere in den Schalter und nach etwa 20 Sekunden Studium derselben durch den Kontrolleur ergab sich folgender Dialog:
Er: „A Russian car?“
Ich: „Yes.“
Er: „In Germany?“
Ich: „Yes.“
Er (fassungslos): „Why?“
Priceless! 😀
HAHAHA 😀 Großartig.
Ist es denn auch so wie in Frankreich, dass dir grundsätzlich die Sympathien zufliegen, wenn du ein nationales Fahrzeug bewegst? Oder war der Grenzer einfach nur erschüttert, dass du keinen Opel fährst? 😉
Wieviel Zoll zahlt man denn? Schräge Regelung.
Sonnige Grüße
Sandmann
Irgendwie eine Mischung von beidem. Stammt man aus dem Auto-Mekka Deutschland ist es für diese Leute erstmal schwierig, zu kapieren warum man einen Niva fährt.
Die einen denken, was für ein Idiot, die anderen klopfen dir auf die Schulter. Wobei letztere eindeutig in der Mehrzahl sind und meist auf dem Lande leben. Man darf sich die Infrastruktur dort nicht so vorstellen wie hierzulande.
Der Zoll betrug 3.800 Rubel, was knapp 60 Euro entspricht.
Behagliche, Kamin-knisternde Grüße zurück. 😉
Ay Bronx,
okay das mit dem Zoll ist entspannt 😉
Ich mag den Niva ja. Tatsächlich habe ich kurz drüber nachgedacht, den als Neuwagen zu kaufen und als Firmenwagen anzumelden, meine jährlichen Kilometer würden das tatsächlich rechtfertigen. Dann kam Corona, und irgendwie hab ich dann meinen Fokus mehr auf das plüschige Reisen gelegt 😀 Den XM möchte ich nicht mehr missen, zumal ich nun mehr Arbeit reinstecke als wirtschaftlich ist. Aber du weißt ja… wo die Liebe hinfällt…
Bis bald mal wieder in diesem Theater!
Sandmann
Die Schilder mit „Din Fart“ sorgen bei mir auch jedes mal für Erheiterung 😀
Gniiiiihihihihi 😀
Lustig wäre gewesen, direkt danach geblitzt zu werden. Aber dazu war die Combinette wohl zu sehr beladen. Und alle anderen Farts bleiben unter dem Deckmantel des Schweigens. What happens in Henne – stays in Henne 🙂
Sandmann
Hallo lieber Sandmann, was soll ich wieder sagen ? Einfach nur mega pornös. Nur das Video mit dem mmmmöööööhhhhh ging nicht. Du bist echt großartig !
Ay Jürgen,
das Video mit dem MÖÖÖÖÖÖHHHHH ist noch viel pornöser als alles andere 😉 Warum ging’s bei dir nicht? Ist eigentlich nur ein banaler YouTube Link. Sollte also passen. Hm.
Und dass ich großartig bin erzähl nach der Tour mal meinem Hintern. Der freut sich dann auch mal wieder.
Grüße
Sandmann 🙂