Als ich heute auf der Autobahn so auf mein Navi eintippte, parallel durch die CDs zappte und gerade beim Kaffee eingießen mein Handy klingelte, fragte ich mich in einem schwachen Moment, wo wir als Autofahrer eigentlich inzwischen mit unserer Aufmerksamkeit gelandet sind… Sind Sie sich darüber im Klaren, was in einem durchschnittlich ausgestatteten Auto so alles gleichzeitig an Informationen auf den Fahrer (oder die Fahrerin) einprasselt? Und dann sind da ja noch die zusätzlichen Spielzeuge. Und womöglich der andere Verkehr. Eine erschreckende Bilanz, ich benötige mehr Arme und Beine und die Denkweise einer Frau!
Früher war ja alles besser. So um 1960 rum sitzt ein Sandmann in seinem Standard-Käfer, hat die Hände fest am Volant und den Blick auf die Straße gerichtet. Im Radio läuft manchmal ein fröhliches Liedchen oder ein Lustspiel mit Heinz Erhard. Das war’s. Mehr Entertainment gibt es nicht. Außer vielleicht die Beifahrerin, die munter von der bevorstehenden Cocktailparty mit den Schmittkes plaudert. Aus heutiger Sicht fragt man sich, warum nicht alle Menschen auf der Urlaubstour an den Genfer See entweder einschlafend an der Leitplanke verendet sind oder nach fünf Stunden ihre Mitreisenden erschlagen haben.
Was so gemütlich anmutet, entwickelt sich in den kommenden Jahren als eigentlich nicht zu verarbeitende Informationsflut. In meinem (alten) Audi blicke ich auf immerhin sechs Rundinstrumente für Drehzahl, Geschwindigkeit, Kühlwassertemperatur, Tankinhalt, Öldruck, Öltemperatur und die Zeit, einen Bordcomputer, ein „Mäusekino“ (so wird das kleine Display mit den lustig animierten Fehlermeldungen genannt), Außentemperatur und Ganganzeige, kurz darunter aufgedrehte Sitzheizungen, Kontrollen für die Scheinwerferregulierung, Fülle des Gastanks, allein das Begreifen des Displays der Klimatronic würde meine Oma in den Herztod treiben. Was so ein Auto alles können muss! Und was es einem alles sagen will! Und meins ist schon 14 Jahre alt. Wenigstens muss ich nicht kuppeln.
Die Show geht ja noch weiter, selbst bei Dunkelheit mache ich haptische Erfahrungen mit den Schaltern für die Fensterheber nebst ihrer Verriegelung in der Tür, dem 4-fach-Sitzmemory und den beheizten und elektrisch verstellbaren Außenspiegeln. Irgendwo mitten drin ist auch noch ein Radio, immerhin schon mit RDS und CD-Wechsler im Kofferraum. So. Um nur die gröbsten Begleiter des ganz normalen Fahrens aufzuzählen.
Bei neueren Autos mit großen Displays schwingt die Informationsschaukel in noch höhere Wipfel. Dem Fahrer wird erzählt, welches Lied er gerade hört, eingehende SMS werden im Volltext dargestellt oder vorgelesen, im Hintergrund laufen die Simpsons oder die Tagesschau, regelmäßig wird man hier auch noch dran erinnert, dass ja ab und an die Richtung mit dem Lenkrad korrigiert werden sollte und der rechte Fuß letztendlich die Geschwindigkeit des Fahrzeugs bestimmt.
Und jetzt geht es los, Freunde! Tatort Autobahn. Das mobile Navigationssystem (denn ich habe leider keinen A8 wie auf dem Bild) plaudert uns die Route vor, aber nur im Nahbereich, also hat „sie“ noch eine Straßenkarte auf dem Schoß. Das Soundsystem lärmt mehr oder weniger vor sich hin. Die Beifahrerin versucht nun, in einem Gleichnis zu erklären, warum das lange Anschauen von Prada-Schuhen bei der Frau gleichzusetzen ist mit der Begeisterung des Mannes für wohl geformtes Blech und Motoren. Beim Suchen nach einer weniger anstrengenden Hintergrundmusik für das Gespräch klingelt das Handy. Ich habe keine Lust auf diesen BlueTooth-Dödel im Ohr, und die Freisprecheinrichtung liegt auf dem Rücksitz, also wieder mal aus Faulheit einfach so rangegangen. Dafür den Kaffeebecher zwischen die Beine geklemmt. Es ist meine Mutter. Wie es mir denn so gehe.
Weil Mama nicht wissen darf, dass ich Zigarillos rauche, muss der aus dem Mund raus, also mit den Knien das Lenkrad stabilisieren, mit dem Ellenbogen das Fenster runterfahren und mit der frei gewordenen Hand die Kippe aus dem Fenster schnippen. Dabei hoffen, dass das Laptop auf dem Schoß, aus dem man gerade noch schnell die Zieladresse rausgesucht hat, nicht in den Fußraum plumpst. Während ich Mama beruhige, fällt in jenem Fußraum die offene Kaffeekanne um und rollt unter das Bremspedal, was ich nicht verhindern kann, weil die Knie ja das Lenkrad halten und ich die SMS lesen muss, die parallel zum Gespräch mit Mama und meiner Beifahrerin gerade reinkommt…
🙂 Ist es nicht ein Wunder, dass nicht noch viel mehr im Straßenverkehr passiert? Es muss immer weniger selbst gemacht werden beim Autofahren, aber was einem die Technik so alles erzählt… wo ist da noch Raum zum Nachdenken, wo bleibt der aufmerksame Blick auf die kleinen Kinder am Straßenrand, wo die Hand auf dem Knie der Beifahrerin? Welchen Soundtrack bekommt die verpasste Schrecksekunde am Stauende hinter der Kurve? Welche Abstandswarner, welches GPS zeigt mir bei Nebel das Muttchen auf dem Fahrrad?
Männer sind serielle Wesen, so viel auf einmal ist nicht möglich. Frauen können das. Außer beim Einparken. Tun Sie sich einmal einen Gefallen und schalten Sie ein paar Geräte ab. Da draußen ist die Natur, da leben und bewegen sich Menschen, jeder einzelne mit einer eigenen Geschichte. Seien Sie einmal nicht telefonisch erreichbar. Ziehen Sie Ihren Kindern auf dem Rücksitz die MP3-Player aus den Ohren und verkaufen Sie die beiden Kopfstützen-Monitore mit DVD-Player bei ebay. Singen Sie mit ihnen ein Lied. Halten Sie mal an. Kommen Sie mal runter. Zeigen Sie Ihren Mitreisenden etwas von diesem schönen Land. Reden Sie mal wieder miteinander. Glauben Sie mir: Es geht! Und es ist so einfach.
Sandmann
Wie wahr 🙂
Gleichwohl man auf Sandmanns Facebookseite auch anderer Meinung ist… hm…
Ich finde es erschreckend, dass ich nicht mit dem Handy am Ohr fahren darf, es aber erlaubt ist, alle überflüssigen Einstellungen und Entertainmentfeatures auf dem hochauflösenden Monitor in der Mittelkonsole zu bedienen. Da muss ich hingucken. Beim Telefon muss ich nur hören und habe meine Augen auf der Straße. Da stimmt doch was nicht 🙁
Sandmann