Fähre? Brücken? Fähre? Brücken?
Luxusprobleme dreier Männer in einem 1969er Cadillac Sedan DeVille auf dem Rückweg von Västerås, Schweden nach Hamburg, Deutschland. Es ist Sonntag, wir verlassen Nordeuropas größtes Klassikertreffen in der Nähe von Stockholm und komme was wolle: ich möchte an diesem Abend irgendwann wieder daheim sein. Genug Chrom und drehende V8-Motoren, genug vitaminfreies Essen und genug dänisches Bier aus grünen Dosen. Die Strecke ist lang. Die Fähren sind teuer, die Brücken kosten die Hälfte – dafür sind das aber rund 150 Kilometer mehr. Bei 7.7 Litern Hubraum ist es eine einfache Rechnung oder – eine Herzfrage. Ich wollte seit Langem über die Öresundbrücke fahren! Und deshalb setze ich mich wortgewaltig durch.
Puh. Wenn schon die App von 10 Stunden spricht….
Marc, das zarte Reh, Sven und ich machen mit der Idee, am Sonntag durch zu fahren, im Kreis der anderen Mitreisenden Schule. Also…. eigentlich war es meine Idee, weil es mich aus viertelfinnischen Organisationsgründen heute nach Hause zieht. Die anderen wollten eigentlich entweder morgen los oder entlang der Strecke, wie auf dem Hinweg, irgendwo übernachten. Aber das Wetter ist nicht mehr schön, und wenn man erstmal Dänemark sehen kann dann will niemand mehr irgendwo übernachten. Dann wird durchgefahren. Dänemark ist allerdings jetzt noch sehr, sehr weit entfernt. Was haben wir denn noch an Essbarem in den warmen, regennassen Zelten? Bröd. Käse. Schwedische Remoulade mit Schinkengeschmack. Geil. Perfekte Zutaten für die klassischen Reisebrötchen®, die mein lieber Freund auf jeder erdenklichen Route sind 😀 Kennt ihr Reisebrötchen®?
Eigentlich sind Reisebrötchen® pappige Kaiserbrötchen, mit Margarine und Salat und Wurst und Käse am Abend vor eine Reise belegt, beim nächtlichen Start in den Süden heiß begehrt und kurz hinter dem Elbtunnel meistens schon komplett aufgegessen. Diese schwedische Variante hier ist ein wenig spezieller, aber sie wird die Cadillacbewohner trotzdem vor dem Verhungern schützen. 1100 Kilometer am Stück, mit einem Auto von der Größe eines Hafenschleppers, das macht Hunger. Und Bier ist heute nicht. Bier war gestern Abend auch nicht so angesagt, jedenfalls bei mir nicht, da ich zum Fahrer auserkoren wurde. Marc, Cadillacbesitzer und Gernefahrer, beschloss das gegen Abend nach dem Genuss von einigen hartalkoholischen Getränken und keinem sichtbaren Ende der Aktivitäten. Irgendwie war die Cola alle, und er hatte Brausetabletten mit Korn getestet. Schmeckte wohl echt scheiße, aber er hatte weitergemacht. So finde ich mich also am Steuer wieder, neben mir der Typ im Supermannshirt, hinter mir der Sven. Und vor mir die gleiche Polizeikontrolle wie am zweiten Tag, und bumms – puste ich selbst. Hu ha. In Schweden gelten 0,0 Promille. Hat man nicht schon 0,2 Promille wenn man Rasierwasser aufträgt? Dammich.
Nö. Alles gut. Gute Reise sagt Fräulein Cop, ich atme durch und fahre ohne Burn Out weiter…
Irgendwo auf der langen Strecke unter blauem Himmel…. also… heute vielleicht unter grauem Himmel, aber zwischen grünen Wäldern und roten Häusern an blauen Seen rollen wir das Schiff auf eine Tankstelle, auf der es von blonden, langhaarigen Schwedinnen Ende 20 nur so wimmelt. Alles voll. Wie überall hier, der Hammer, wer hätte das gedacht? Marc lässt laufen. Natürlich wieder das gute, hochoktanige Super, was hier so viel kostet wie woanders ein 25 Jahre alter Whiskey. Ich kippe in meinen Taunus sogar Margarine, wenn es sein muss, aber nein. Der Herr will immer vom Feinsten, na gut, heute geht der Preis durch drei. Wie sind die Flüssigkeitsstände? Motoröl? Hydraulikflüssigkeit?
Erwachsene Männer allein in großen Autos. Gebt ihnen Peilstäbe, und sie werden wieder zu Kindern 😀 En garde! Ja, hier fühle ich mich gut aufgehoben. Der Cadillac entpuppt sich mit seinen 13 Litern Verbrauch von 25 Jahre alten Whiskeys auf 100 Kilometern nicht nur als verhältnismäßig sparsam, er nimmt auch nicht mehr Öl als nötig. Und das nach nun 1500 Kilometern, hervorragend. Auf den nächsten Meilen trennt sich die Fährenroute Helsingborg – Helsingör von der Brückenroute Malmö – Kopenhagen. *seufz* die Brücken. Aber bevor ich über die Brücken philosophiere liegt noch ein anderes Spektakuläres Ereignis an: Der DeVille ist einmal rum. Nach 99.999 Kilometern ist er drauf und dran, wieder mechanisch auf die Werkseinstellung zurückzudrehen. Das erlebt man nun auch nicht alle Tage. Marc hält mir sein Handy vor die Nase und macht Bilder. So ein Moment muss ja festgehalten werden. Ich versuche derweil, dabei nicht von der Straße abzukommen.
Immer noch geblendet von der geschmacksbildenden Minion Handy-Schutzhülle direkt vor meinem Gesicht ziehe ich das Schiff der Straßen noch einmal rechts ran. Letzte Pipipause vor dem Sund, irgendwie ist der Himmel nun doch noch relativ blau geworden und die Reisebrötchen® sind natürlich schon seit hunderten von Kilometern alle. Marc nimmt den neuen, optisch absolut jungfräulichen Kilometerstand seines Autos relativ gelassen. Ich erinnere mich, wie ich meinen ersten Taunus über die 100.000 Kilometer geritten habe. Das war für mich fast so eine große Party wie viel später die 500.000 Kilometer beim Audi V8 😉 Na ja. Am Ende des Tages ist es ja auch nur ein Auto.
Ab auf die Brücken. Eigentlich war die Öresundbrücke bis vor kurzem für mich einfach nur eine teure, theoretische Möglichkeit, von Kopenhagen nach Malmö oder zurück zu kommen. Aktuell genau 53 Euro für eine Richtung, mal am Rande bemerkt. Das zugegebenermaßen beeindruckende Konstrukt über knapp acht Kilometer Länge hat für mich aber an Bedeutung gewonnen, seit ich mit meinem halbfinnischen Fräulein Altona im letzten Winter eine neue Serie angefangen hatte. Kennt ihr „Die Brücke – Transit in den Tod„? Eine ziemlich schräge, dänisch-schwedisch-deutsche Serie (oder Reihe? Ich werde das nie lernen), die damit beginnt, dass auf der Mitte genau dieser Brücke eine politisch-prominente Leiche gefunden wird. Die eine Hälfte liegt wörtlich auf der dänischen, die andere auf der schwedischen Seite. Deshalb müssen ein dänischer Ermittler aus Kopenhagen und eine schwedische Ermittlerin aus Malmö sich den Job unfreiwillig als Team teilen. Guter Stoff. Falls ihr noch was für den Winter sucht. Ich versuche jetzt mal, das sexy Bild der mit Asperger gebeutelten Sofia Helin wieder aus dem Kopf zu bekommen. Wir fahren mal in Richtung Mitte und schauen, ob da noch Blut klebt.
Was auf jeden Fall spektakulär ist: Die sagenhafte Weite der Horizonte nach links und nach rechts. Blaues Meer, blauer Himmel und vor uns die aufspannenden Stahlseile der Brücke. Ha, lustig, die sieht ja genau so aus wie in der Serie… Allerdings liegt keine Leiche in der Mitte, nicht mal die Mitte selbst kann ich zufriedenstellend lokalisieren, also beim Elbtunnel haben die das mit einem dicken, orangen Pfeil besser gelöst. Der V8 schnorchelt sein gutes 98-Oktan-Goldwasser unkatalysiert in den skandinavischen Himmel, während die später losgefahrenen Jungs irgendwo vor der ersten Fähre stecken geblieben sind. Vor uns liegt Dänemark. Zwar ein ziemlicher Schwenker nach Dänemark rein, bevor es wieder südwärts geht, aber immerhin Dänemark. Land der Hot Dogs und Mofatouren, der einsamen Schreibereien und dem Kaffeemaschinen-Tourismus. Ich mag ja Dänemark.
Während man so in einem großen alten Auto über lange, gerade Straßen rollt, muss man nicht unbedingt viel reden. Marc und ich streiten uns mal wieder aus Versehen über die politischen Richtungen, die gehen bei uns nicht wirklich parallel, zwischendurch schreien wir uns auch ein bisschen an… und Sven schlichtet mit weisen, diplomatischen Worten vom Rücksitz aus. Bleiben wir lieber bei Autos. Das ist ja auch hier, in der öffentlichen Website, ein gut funktionierender Plan. Am Ende mögen der gazellengleiche Mann mit dem blauen Shirt und dem champagnerfarbenen Auto und ich uns aber doch ein bisschen. Nützt ja nichts. Aus den Lautsprechern drullern weiter die Hits der 80er und 90er. Aus der Flowmaster Auspuffanlage drullert das Lied des überheblich verbrannten Premiumbenzins, und für viele viele Streckenkilometer fahren wir auch einfach nur so vor uns hin. Geradeaus. In Dänemark ist eine Menge Platz. Ich biete Marc an, doch auch gern selbst mal sein Auto fahren zu dürfen, aber mit einer großzügigen Geste lehnt er selbstlos ab. Den Baustellen-Engstellen-Stau-Scheiß der A7 ab Neumünster darf ich nach diesen paar Kilometern dann auch noch mitnehmen.
Aber erstmal kommt ja noch eine weitere Brücke. Wenn man partout Fähren vermeiden will, muss man von Seeland nach Fynen noch eine weitere Brücke mitnehmen, ich weiß gar nicht wie die heißt. Sie ist auch nicht ganz so teuer wie die Öresundbrücke, nicht ganz so lang und sie spielt meines Wissens auch keine zentrale Rolle in einer spannenden Serie. Aber sie ist da, sie kostet Geld und das macht alles gar nichts, denn die Jungs schreiben gerade, dass sie noch immer nicht auf der Fähre sind. Oh mann. Die Brücken und das dänische Festland waren glaube ich gar keine so schlechte Idee. Jetzt nur noch die E45 runter bis Flensburg, nicht darüber nachdenken dass ich gar nicht weit weg bin von meinem geliebten Henne Strand und dass sind wir auch schon fast in Hamburg. Na ja. Fast.
Als wir kurz vor der Grenze nach Tyskland wieder deutsche Radiosender reinbekommen, entpuppt sich die Wahl dieser Route statt des umgekehrten Hinwegs über Fehmarn als der wahrhaft richtige Weg. Auf der A1 vor Lübeck steht alles still, Unfall, Wartezeiten von rund zwei Stunden. Wir schreiben das noch den Jungs im amerikanischen Golf Plus und dem Polizeiwagen (die inzwischen auch Dänemark erreicht und die A1 später noch vor sich haben), aber was soll’s – die Umleitungen sind auch alle dicht. Also Augen auf und durch. Apropos durch. Das bin ich langsam auch. So entspannt ein 1967er Cadillac auch ist, seine schiere Größe treibt einem in der Dauerbaustelle A7 ganz schön den Schweiß auf die Stirn. Habt ihr mal versucht, mit einem elektrischen Rollstuhl in eine Flugzeugtoilette zu fahren? Nicht? Okay, dann versteht ihr mein Problem mit den schmalen Fahrspuren auch nicht. Vielleicht liegt das aber auch an den 1100 Kilometern, die ich schon hinter dem Lenkrad sitze.
Was für ein Trip. Was für unglaubliche Tage. Die Sonne ist noch nicht untergegangen, als Marc mich vor der Wohnung meines halbfinnischen Fräulein Altonas rauswirft. Nein. Eigentlich werfe ich mich ja selbst raus, ich bin ja gefahren. Mein geliebter Taunus steht noch immer unter den siffenden Linden und ist zum Glück keinem G20 Kollateralangriff zum Opfer gefallen. Alles scheint wie immer. Aber ich werde noch ein paar Tage brauchen, um das Erlebte zu verarbeiten. Danke, dass ich es euch erzählen durfte. Wenn ihr im kommenden Jahr so um diese Zeit noch nichts vorhaben solltet – fahrt mit uns nach Västerås. Besorgt euch irgend eine geile alte Karre und dann ab auf die Bahn. Fähre oder Brücke. Geht ja beides.
Wir sehen uns da im nächsten Jahr, oder?
Sandmann
Mal wieder toll geschrieben ?
Hab ich letzte Woche selber hinter mich gebracht gegen 18 Uhr bei sonnig-schönem Wetter, aber irgendwie … war’s nichts Besonderes für mich. Vll lag es auch daran, daß ich da schon rund 24 Stunden unterwegs war und noch komplett durch Schweden bis in Norwegens Norden musste.
Und ich fand sie echt teuer … ok, das lag nicht an meinem alten Volvo, und auch der Verbrauch von rund 10 Liter war alles andere als normal für den TDI. An beidem Schuld war Derjenige, der mir zweimal einen riesen Schrecken ins Gesicht gezaubert hat beim Blick in den Rückspiegel … nein, kein viel zu dicht aufgefahrener Lkw, es war „nur“ der hohe Anhänger ?.
Zurück bin ich dann aber durch Norwegen und mit der Fähre rüber.
Mein lieber Jens, wenn du mal einen Dauer-Augen-Orgasmus willst, empfehle ich dir die E6 in Norwegen, etwa Tromsö – Trondheim. Und wenn dir dein Taunus zu sehr den goldenen Saft säuft und deinem Portemonnaie den Todesstoß versetzen willst, dann machen wir gemeinsam mal die Tour mit meinem TDI … dann kommst auch eindlich mal in den Genuss des großartigen Volvo 855 TDI. ? Und dann mit ner Meeenge Reisebrötchen ? gibt einfach nichts Besseres.
Und die kleinere der beiden Brücken ist die Størebæltbrücke.
Ay Michael,
Størebæltbrücke Størebæltbrücke Størebæltbrücke ich merke mir das mal und habe jetzt auch keine sonnenmilchverschmierten, poolwasserverklebten Tippfinger mehr 😉
Mein Taunus ist gar nicht so versoffen, der kommt mit weniger als 10 Litern Super 95 aus. Manchmal sogar nur knapp acht!
Was macht die E6 denn aus? Ich glaube nicht, dass ich so bald nach Norwegen kommen werde, also erzähl mal…
Grüße mit nächtlichem Blick auf den Stromboli
Sandmann
Ob ich meinen alten Pontiac auch mal nach Sverige jagen sollte? Irgendwie sind mir die da oben vielleicht fast etwas zu verrückt, aber Dein Bericht nur schon über die Heimreise macht Lust sich eine eigene Meinung zu bilden. 🙂
Ay Marc,
ich war vor allem wegen der Reise am Anfang skeptisch, weil der Cadillac ja nicht gerade die sparsamste Karre auf diesem Planeten ist. Aber jetzt bin ich froh, dass wir das gemacht haben.
Verrückt sind die da oben alle – aber sehr nett. Auch im Vollrausch. So gesehen kann man sich auch zurückziehen, wenn es zu bunt wird, aber wer will das schon? 😉
Mach. Mach es!
Sandmann