Bellas Tag geht heute nicht ganz so gut los wie sonst. Der Sommer, der nirgendwo richtig loslegen will, drückt mit grauen Regenwolken auf ihre schon etwas betagten Hundeknochen. Sie hat heute Nacht nicht so gut geschlafen, und das Futter schmeckt irgendwie blass. Es gibt diese Tage, da legt man sich am liebsten gleich wieder ins Körbchen. Einige führen eben ein echtes Hundeleben da draußen in den Trabantenstädten des Ruhrgebiets zwischen Hochhäusern und stillgelegten Zechen. Dass der Alltag aber auch bunt, lustig und tierisch angenehm sein kann, beweisen Friederike und eben ihr Hund Bella, wenn beide in ihrem 1976er Mercury Monarch der Gegend rund um Wuppertal die Farben zurück bringen.
Frauchen tänzelt trällernd und lachend durch die Küche, sie hat heute noch ein paar Termine, und da kann Bella mit. Vielleicht ein abwechslungsreicher Lichtblick? Heute wird wieder das große Auto genommen. Das mit dem dicken Teppich und viel Platz vor der Sitzbank. Definitiv ein Lichtblick. Bella würde lächeln, könnten kleine Hunde lächeln, und schmiegt sich dann doch zufrieden an Frauchens Bein. Wäre sie eine Katze, würde sie schnurren.
Das Bein gehört Friederike Löbach. Sie ist selbständige Masseurin und sogar noch ein bisschen jünger als der große, braune Blechkasten draußen auf dem Hof, auf den sich ihre Hündin gerade so freut. Ihr Job geht einher mit vielen Terminen kreuz und quer durch das Revier, deshalb steht zunächst neben dem braunen Kasten noch eine Art offizieller Gebrauchskasten: Ein 1993er Passat. Zwar geräumig und zuverlässig, aber das war es dann auch. Er läuft eben. Das kann nicht die mobile Erfüllung für eine Frau sein, die schon als kleines Kind tiefe Begeisterung für große, amerikanische Autos empfunden hatte. Mehrere Urlaubsreisen nach Mexiko, wo sie mit klassischen Dickschiffen der 70er die Highways befuhr, verankerten diese Emotionen noch tiefer. Der Klang hatte es ihr angetan – ein Auto muss blubbern.
Ein wenig ist das so, als erzähle die Frau mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme vom Schuhe kaufen gehen. An dem Blubber-Kriterium scheiterte schon früh der erste Versuch, eine Liaison mit einem 1983er Pontiac Bonneville einzugehen. Nur ein 3.8-Liter-V6, zu klein, zu jung, zu leise. Es sollte aber auch kein breitbeiniges Musclecar werden. Und schon gar kein kleiner Sportwagen aus den 50ern oder 60ern, das passt nicht zu ihrem Stil. Übrig blieb nach viel hin und her nur der klassische Sedan, die viertürige Stufenheck-Limousine mit den Dimensionen einer Studenten-WG, dem Cockpit gleich einer Schrankwand und dem Gestühl aus Omas Wohnzimmer.
Friederike suchte in Zeitungen und Internetportalen, bis sie 2011 fündig wurde: Ein Mercury Monarch, der alles verkörpert, was für sie ein Ami haben muss. Ein zwischen 1975 und 1980 gut 575.000 mal gebautes Mittelklasse-Schiff aus dem Hause Ford. Dort schielte man damals verstohlen auf das Design der europäischen Autos, und so haben wir hier einen dem erfolgreichen Mercedes-Benz-Strichachter nachempfundenen Legoklotz mit dem Hubraum von satten fünf Milchtüten. Ein Wohnzimmer mit Automatik, Lenkradschaltung, durchgehender Sitzbank vorn und vier Türen. Klar, der und kein anderer…
Beim Besichtigungstermin enthüllte das mehr als 35 Jahre alte Chrom-Konglomerat einen hässlichen Blechschaden an der linken Flanke. So etwas drückt den Preis. Alle anderen Details jedoch brannten sich direkt ins Herz der blonden Wuppertalerin: Das originale „Dark Brown“ in Verbindung mit dem cremefarbenen Vinyldach und dem beigen Leder stempelte dem kantigen Kasten sofort den Namen „Schokobaby“ auf. Und – er hat die begehrte „Ghia“ Ausstattung, die noch einmal eine ordentliche Schippe Plüsch auf den verschwenderischen Ami-Prunk drauflegt. Die Zeitschrift Car & Driver orakelte damals, dass der Monarch das Ende der Zeiten markiere, in denen kleine Autos spartanisch ausgestattet waren.
Klein? Im Fall dieses mehr als fünf Meter langen „Kleinwagens“ bedeutete Ghia zusätzlich noch eine Zentralverriegelung, einen Radio-Kassettenspieler, elektrische Fensterheber, Tempomat und Klimaanlage. Auf den Grundpreis von rund 3.800 Dollar mussten hierfür noch stattliche 500 Bucks zugebucht werden. Dafür gab es dann aber eben auch alles, was State of the Art war, selbst im weitläufigen Nordamerkia konnte sich dieser Teppich-und-Plastik Supertanker durchaus sehen lassen.Der so aufgeplusterte Gleiter konnte über Bremerhaven auch in Deutschland bestellt werden und lag damals mit einem Basispreis von 23.800 Mark auf dem Niveau eines voll ausgestatteten Ford Granada oder eines Mercedes-Benz 280. Individualisten vor!
Nur 50 Mercurys dampften damals als Neuwagen über den großen Teich, eine halbe Million fand drüben ihre genügsamen Käufer. Dieser hier ursprünglich auch, nach einem langen Leben auf US-Highways kam er 2010 aus Jacksonville rüber nach Köln, wo die kaufwillige Friederike nun mit verzücktem Lächeln über den braunen Metallic-Lack streichelt. Während Bella schon freudig den flauschigen Teppich annektiert hat. Gekauft…
Mit so einer Entscheidung muss man (und Frau) nun erstmal leben respektive klar kommen 🙂 Der Monarch hat es Friederike allerdings von Anfang an nicht sonderlich schwer gemacht.
Die schöne, immer lachende Frau ist für halbe Sachen nicht zu haben und hat bei Stephan Greb in Wuppertal, der KFZ Werkstatt ihres Vertrauens, nach dem Erwerb alle Schäden beseitigen lassen. Greb hat für die Blecharbeiten den originalen Lack extra anmischen und ein paar Kleinteile und Schläuche aus den USA kommen lassen, und seit Februar 2012 blubbert Friederike mit ihrem Schokobaby durchs Revier. So wie heute. Und ich darf neben ihr sitzen, während Bella schnurchelnd auf meinen Schuhen rumatmet.
Die anfängliche Schuhkauf-Parallele taucht wieder auf, als in der funzelnden Fußraumbeleuchtung die Fussbekleidung des Fräulein Löbach bunt aufblitzt. Damit würde sich jeder Mann erst die Füße brechen und den zu lenkenden Wagen anschließend unkontrolliert in einem straßennahen Penny-Markt versenken. Nur Frauen können mit solchen Schuhen Auto fahren. Souverän dirigiert die Masseurin den braunen Dinosaurier auf seinen vier Weißwandreifen mit zwei spitzen Fingern durch die urbanen Vororte. Zivilisationsmüll weht über die holperigen Straßen, die der alte Ford mit einer fast grenzenlosen Gelassenheit durchquert. Der kerngesunde V8 brabbelt zufrieden vorn und hinten, er könnte mehr, wenn er sollte, aber er braucht heute nicht. Das blattgefederte Fahrwerk lädt nicht unbedingt zum Kurvenräubern ein.
Bella schnarcht inzwischen auf ihrer kleinen Matte im vorderen Fußraum ohne Mitteltunnel, und das Leben könnte nun schöner nicht sein. In diesem urgemütlichen Dickschiff nimmt sich Friederike ihre ganz persönlichen Auszeiten, hier schaltet sie ab, oft hört sie unterwegs einfach nur dem Geräusch des sagenhaft gering verdichteten Motors zu. Die Gegend im Radius Ihres beruflichen Schaffens ist recht grau, aber… Ihre Haare sind bunt. Ihre Schuhe sind bunt. Ihr Schmuck ist bunt. Ihr Auto ist braun und beige, und wo immer sie mit dem Wagen und ihrem Hund auftaucht, scheinen hinter ihr die Farben in die Betonwüsten des Ruhrgebiets zurück zu kommen.
Männer drehen sich um, zeigen auf das große alte Auto, sehen die Fahrerin, finden die Kombination ungewöhnlich und gucken dieser Reinkarnation aller ihrer Wünsche noch lange nach. Bis sie von ihren Frauen mit einem nasalen „Heermaaaan guck auf die STRASSE!“ wieder zurück in die Realität gezerrt werden. Die aber ab jetzt irgendwie farbiger ist. Ich muss gestehen, dass ich mir selbst auch noch nicht so sicher bin, wie ich diese Frau-Hund-Auto-Kombination eigentlich nachher auf meinem Heimweg verarbeiten soll. Es gibt in diesem Land so viele Geschichten, gelebt von interessanten Menschen und durchfahren in coolen Autos. Manchmal weiß ich gar nicht so recht, ob meine Sicherungen im Kopf das auf Dauer alles halten können 😉 Und warum irgend jemand in diesem Land überhaupt noch ein langweiliges Auto fahren möchte.
Friederike macht jedenfalls alles richtig. Sie schwimmt mit ihrem Mercury Monarch gegen den Strom, ohne sich davon stressen zu lassen. Sie lacht hinter dem schrankwandgleichen Armaturenbrett über das Leben und alle seine Facetten, und in keinem anderen Auto würde sie sich wohler fühlen. Bella findet das auch.
Sandmann
Friederike finden Sie hier: www.körperphantasie.de
Den Artikel auf TRÄUME WAGEN findet ihr hier >klick<
Mercury Monarch Ghia von 1976 |
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(Ford Motor Company) | |
Motor: | V8 |
Hubraum: | 4.885 ccm |
Leistung: | 137 PS |
Getriebe: | Dreigangautomatik |
Antrieb: | Hinterachse |
Beschleunigung 0-100 km/h: | 12 s |
Höchstgeschwindigkeit: | 160 km/h |
Gewicht: | 1.430 kg |
Länge/Breite/Höhe: | 5.020/1.920/1.355 mm |
Stückzahl: | rund 575.000 |
Servus, sehr coole Bilder, gut in Szene gesetzt. Hübsche Frau +smarter Hund. Welches Bildbearbeitungsprogramm hast Du verwendet?
Ay Holger,
danke für die Blumen! Die Bildbearbeitung haben seinerzeit allerdings die Grafiker der TRÄUME WAGEN gemacht, da habe ich gar keine Aktien drin 😉 Die können das besser als ich…
Und soweit ich weiß benutzen die alle PhotoShop.
Viele Grüße aus dem grauen Norden
Sandmann