Autos kennen keinen Sonntag

Sonntagmorgen, 06:30 Uhr. Ich habe gestern einen Fehler gemacht. Ich bin ans Handy gegangen! Nun liegen 10 Stunden Nachtdienst hinter mir. Auf den Beinen bin ich seit 24 Stunden. Konnte ich ja gestern morgen noch nicht ahnen, dass die eigentliche Nachtwache vom Nachbarshund angefallen wird und ausfällt…. gäääähn. Ich bin hundemüde und lasse meinen Blick über den Parkplatz schweifen. Neben mir parkt der alte, aber gepflegte Golf 3 einer Mitarbeiterin. Der Innenraum steril sauber und ordentlich. Lächelnd registriere ich den Kindersitz auf der Rückbank. Okay, ein guter Grund das Auto sauber zu halten. Daneben ein völlig ausgeblichener Golf 2, mit der ein oder anderen Gebrauchsspur. Laut der Besitzerin, liebt sie „die alte Karre“, weil er einfach fährt. Kein schicki-micki an Bord, Uraltradio und aufgescheuerte Sitzbezüge. Ich lasse meinen Blick weiter über die automobilen Fortbewegungsmittel meiner Mitarbeiter gleiten und registriere, dass sie genauso unterschiedlich sind, wie die Kennzeichen, die sie vorn und hinten tragen. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie haben ihre Besitzer an diesem schönen Sonntagmorgen zur Arbeit gebracht.

Nach einem Druck auf die Fernbedienung entriegeln die Türen meines rollenden Gemischtwarenhandels. Ein Blick durch den Innenraum offenbart die Spuren einer ehelichen Trennung. Alles dabei, was man immer am Mann haben muss, wenn man zwischen gemeinsamem Haus und eigener Wohnung pendelt. Wofür ein Auto doch alles herhalten muss… Dieser Gedanke wird mich die nächsten 53 Kilometer noch öfter beschäftigen, deshalb schreibe ich es hier einfach mal auf…

Nach sehr kurzer Vorglühzeit erwachen 105 Turbodiesel PS zum Leben und treckern durch die fast menschenleeren Straßen der einzigen Stadt in Schleswig Holstein, unter der ein unterirdischer Fluss fließt… Ich wusste doch immer, dass ich einen vernünftigen Beruf hätte erlernen sollen, schießt es mir durch den Kopf, als ich mir den Schlaf aus den Augen reibe und dem Hörbuch von Jeff Lindsay lausche. Eigentlich könnte ich bei der leeren Straße ja mal etwas Gas geben… aber die Müdigkeit und die Erinnerung an den verkürzten A4 meiner Frau lassen mich die Sache ruhiger angehen. Ich komme an der Rettungswache vorbei, bei der unser Auszubildender heute ebenfalls Nachtschicht hatte (ganz nebenbei ist er Sanitäter). Der Rettungswagen, an dem er lehnt sieht irgendwie nicht gut aus… vor allem das Heck schreit irgendwie selbst nach Rettung. Der Sache muss ich nachgehen….. Er berichtet von einem nächtlichem Einsatz und einer unaufmerksamen Autofahrerin, der das Blaulicht zu dunkel und das Martinshorn zu leise war und es deshalb zu unerwünschtem Kontakt kam. Verletzte? Nein, nur der Schreck in den Knochen. Der Ersatzwagen kam auch noch rechtzeitig zum eigentlichen Einsatzort. Auszeit für unseren Azubi und seinem Kollegen? Fehlanzeige! „Die haben uns einen Ersatzwagen geschickt, und mit dem fahren wir jetzt weiter.“

Nachdenklich setze ich meinen Weg fort, mittlerweile etwas wacher. Was auch gut ist…. Im nächsten Ort erwartet mich eine S-Kurve. Nix gefährliches, die kenn ich schon seit Jahren, und es ist ja auch Innerorts. Wenn man denn etwas sehen kann! Und das wird verdammt schwierig, wenn am rechten Fahrbahnrand ein Trecker steht, der Fernlicht anhat, welches einem direkt in die übermüdeten Augen strahlt! Also runter auf Schrittgeschwindigkeit und direkt neben der hübschen Bäuerin angehalten, die hinter dem Trecker offensichtlich auf den Fahrer wartet. Suuuuurrrrr „Guten Morgen. Ähm…könnten Sie bitte mal das Fernlicht ausmachen? Man sieht so irgendwie gar nix mehr, wenn man in die Kurve fährt. *räusper*„Der wird ja nicht ewig hier stehen! Wir müssen halt auch Sonntags arbeiten!“ blafft es sehr direkt zurück… „Öhm, ja okay, ich ja auch *stammel* Aber es ist wirklich ziemlich gefährlich…“ „Hör’n se mal……“ holt die arbeitseifrige, blonde Schönheit im geblümten Kittel aus, aber sie sollte ihren Satz nicht mehr beenden. Das Kreischen von Reifen, die bemüht waren, einen offensichtlich etwas zu schnellen 3er GTI von ca. 70 km/h auf null zu verzögern, verdarb ihr den Spaß, mich über was auch immer aufzuklären. Die noch wesentlich direktere Art des jugendlichen Lenkers, auf die Gefahr des Fernlichts hinzuweisen, veranlasste die niedersächsische Maid dann doch dazu, den Fahrer des Treckers zu suchen.

Mit einem kurzen Blick auf die Ladung (sah irgendwie nach Rüben aus), setzte ich meine Fahrt fort. Ich wollte doch nur nett sein…. Ein weiterer Blick, diesmal in den Rückspiegel offenbart mir allerdings, dass man 24 Stunden nach der letzten Rasur und rot geränderten Augen einfach nicht nett wirken kann… Mir kommt ein überbreiter, leuchtend gelber Mähdrescher entgegen. Am Steuer ein junger Mann mit Handy am Ohr, der sich mit der anderen Hand (wie lenkt so ein Teil eigentlich?) bei mir für mein Ausweichmanöver auf den Grünstreifen bedankt. Äh, wie jetzt? Es ist Sonntag!!!! 07:10 Uhr mittlerweile! Was ist hier eigentlich los? Mittlerweile will ich einfach nur noch ins Bett und lasse die Tachonadel im nächsten Ort etwas höher klettern. Es ist ja schließlich (immer noch) Sonntag! Bis denn ein schwarzer Golf 5 vor mir auftaucht. Das lapidar an die Heckklappe gepappte Schild mit roter Aufschrift lässt bereits meinen Fuß auf das mittlere Pedal wandern, als die Vermutung zur Gewissheit wird. Fahrschule! Hey, es ist….. okay, das hatten wir schon. Ich lasse mich etwas zurückfallen und setze hinter dem Ortsschild zum Überholen an. Irgendwie geht das aber nicht so schnell, wie die vorherige Fahrweise des Fahrschülers vermuten ließ…. Während ich vorbeiziehe bestätigt mein Blick auf das vor Panik verzerrte Gesicht der jungen, brünetten Fahrerin meine Vermutung. Kennen sie auch diese Fahrlehrer, die es unheimlich lustig finden, das Gaspedal auf ihrer Seite durchzutreten, wenn sie überholt werden? EL, ich bin mir sicher, du gehörst nicht zu dieser Gattung! 😉

Auf den letzten Kilometern begegnen mir noch diverse unterschiedliche Fahrzeuge, wie der Bäckerwagen, der mit lautem Gebimmel köstlich duftende Brötchen anpreist, ein Streifenwagen, dessen Besatzung sich mit einem warmen Kaffee von der Aral Tanke aufzuwärmen versucht, ein blauräuchernder VW Bus, dessen Insassen gerade hektisch ein gelbes „Castor-X“ an einen Baum nageln (bleibt zu hoffen, dass sie früher damit fertig wurden, als die Streifenbeamten mit ihrem Kaffee), ein BGS Bulli, der einen Hundeanhänger zur Zollhundeschule beförderte, plus diverser unscheinbarer Privat-PKWs. Ob deren Fahrer auch gerade eine Nachtschicht hinter sich haben? Oder ob sie zu einer der Berufsgruppen gehören, die einfach IMMER ran müssen? Ob sich diese Fahrer auch manchmal Gedanken darüber machen, warum an einem Sonntagmorgen so viele andere Fahrzeuge unterwegs sind? Während sich doch der Großteil von uns an einem Sonntagmorgen um diese Uhrzeit nochmal umdreht und weiterschläft… (Ja, ich weiß, Eltern junger Kinder tun das nicht). So werden doch jeden Sonntag und jeden Feiertag zu jeder Uhrzeit eine Menge Zündschlüssel rumgedreht und Motoren gestartet. Um Menschen zur Arbeit zu fahren, um Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, um Brände zu löschen, Leben zu retten, Ernte einzubringen und weiß der Geier was noch alles.

Vom sparsamen Dreizylinder bishin zum durstigen Achtzylinder halten sie unsere Welt am laufen. Okay, auf Zuckerrüben am Sonntag könnte ich ja noch verzichten, und ob mir die Brötchen bis vor die Haustür gebracht werden müssen, lässt sich auch diskutieren. aber sollte mir ein Reifen platzen und ich am Baum landen, wäre ich dankbar für den Commonrail Diesel, der den RTW nebst Besatzung zu mir führt. Sollte mein Haus brennen, wird ein achtzylindriger MAN das nötige Löschwasser und die Retter in der Not zu mir bringen. Egal ob in Zukunft Elektromotoren oder Brennzellen dafür sorgen, das sich etwas bewegt, so kann man doch auch heute schonmal einen Blick auf die Fahrzeuge werfen, die einem so begegnen, vor allem zu Zeiten, wo sich eigentlich nicht mehr viel bewegen solte. Kaum zu glauben, was Herr Benz und Herr Daimler da auf den Weg gebracht haben. Ihre Erfindung rettet Leben, löscht Brände, bringt uns unser Essen und sorgt dafür, dass Menschen auch Sonntags zur Arbeit kommen. Wieviele Zündschlüssel werden wohl an einem Sonntagsmorgen gedreht… und warum?

Touranus

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Über Touranus

Autofahren ist für mich mehr, als nur von A nach B zu kommen. Man erlebt halt einiges mit seinem Auto.... und darüber zu sprechen, kann enorm viel Spaß machen!!!! In meinem Leben vor dem Arbeitsalltag verbrachte ich unzählige Tage mit meinem besten Freund in einer Schrauber-Scheune... Also, ein bißchen Ahnung vom "Heiligen Blechle" hab ich auch ;-) Und nun ist ein Kapitel mit einem alten Schweden aufgeschlagen ;-)

Eine Antwort zu Autos kennen keinen Sonntag

  1. Sandmann sagt:

    Ay touranus,

    schöne Gedanken, die du da festgehalten hast. Nur leider immer wieder unterbrochen von den ständigen anderen Menschen, die in unerwarteter Anzahl genau wie du ihrem Tagwerk in aller Frühe nachgegangen sind. 😉

    Ich bin manchmal, in diesen „lost moments“, an Orten, die eigentlich normalerweise viel belebter sein sollten. Ein früher Sonntag Morgen in Kiels Einkaufsmeile, im Sophienhof zum Beispiel. Zwischen all den geschlossenen Geschäften, und um dich herum ist so wenig los dass es fast gespenstisch wirkt.

    Oder in einer Dezembernacht vor vielen Jahren, als mich der Rückweg von einer Party zu Fuß durch den längst geschlossenen Weihnachtsmarkt führte, mit leichtem Nieselregen und Nebel. Das war so speziell, dass ich es sogar in eines meiner Lieder eingebaut habe (ist allerdings auf Deutsch und deshalb hier nicht zu hören 😉 )

    Fahr weiter vorsichtig.

    Sandmann

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