Von einem, der auszog, ein Billigauto zu er-fahren. Teil 3
Längst vergessene Alltagsphänomene.
Da steht er nun vor meiner Tür, der alte Audi 80 für ganz kleines Geld. Sagen ranken sich im Internet um dieses Auto. Er sei wahnsinnig schrauberfreundlich, nahezu unzerstörbar, preiswert im Unterhalt und trotz allem ein Audi. Hm. Sie sehen mich stutzen. Primär ist er ein Aldi, denn er ist billig gewesen. Und er wird bald ein Youngtimer. Ist er denn heute überhaupt zeitgemäß im Straßenverkehr zu bewegen? Als Luxus-verbitchter Audi V8 Anwender habe ich mich an die vielen kleinen, emsigen, elektrischen Helferlein gewöhnt, und hier steht ein fast komplett elektromechanisches analoges Alteisen. Immerhin verzinkt. Was sind die augenscheinlichen und die haptischen Unterschiede des Komforts?
Aller Strecke Anfang ist die musikalische Untermalung. In Ermangelung eines bordeigenen CD-Players tauche ich in meinen Keller und suche nach alten Kasetten, die ich bespielen kann. Okay okay, von der Langspielplatte habe ich mich schon vor Jahren verabschiedet, und so kann ich komfortabel mit dem Rechner die Alben so zusammen stellen, dass die Lieder jeweils eine 45-Minuten-Seite (brutto sind’s ja fast 47 Minuten) ganz ausfüllen… Kennen Sie das noch? Anschließend einen Finger am irgendwann mal sehr teuren Tapedeck auf „Rec„, einen auf „Play„, beide gleichzeitig drücken, Zähler nullen, auspegeln und laufen lassen. Also ich bitte Sie. Wenn das keine Zeitmaschine ist! Ich fühle mich gleich wieder wie damals mit 19.
Die fertig bespielten Kasetten sollen noch warm dem fast originalen Grundig Radio zugeführt werden. Schon tut sich draußen vor den ingolstädter Toren umgehend das nächste Ungewohntum auf. Mein V8 hat eine Infrarot-Schließanlage mit einem Empfänger an der B-Säule. Ob Sommer, ob Winter, ein kurzer Druck auf den dicken Schlüssel und alle Türen öffnen sich. Beim Aldi 80 ist das anders. Da ist zwar ein Knopf auf dem Schlüssel, aber der bringt nur ein funzeliges, kleines, internes Lämpchen unmotiviert zum Leuchten… so unmotiviert, dass die vielen Kratzer rund um das Türschloss einige Geschichten davon erzählen. Ich muss den Schlüssel in eben dieses Schloss stecken, ihn drehen und belustigt dabei zusehen, wie sich langsam (immerhin alle) Knöpfe heben. Dann kann ich einsteigen. Gute alte Vorgänge im Zeitalter von Keyless Entry.
Hey – ich bin drin. Bin ich schon drin? Hossa, ist das warm hier! Meine suchenden Hände wandern in alter Gewohnheit über die Armlehne der Fahrertür, finden aber die haptisch hochinteressanten Fensterheberschalter nicht wirklich. Das könnte daran liegen, dass diese schlicht nicht existieren. Wohl stammt der Wagen aus einer Zeit, da solch ein elektrisches Gehebe und Gesenke durchaus in den Extras katalogisiert war – aber in die Mittelklasse noch keinen serienmäßigen Einzug gefunden hatte. Hier greift der fahrfreudige Lenker nun beherzt nach einer Kurbel und dreht mit einigem Kraftaufwand das Glas herunter. Kindersicherung deLuxe, hinten geht es so schwer dass meine Mädels gar nicht auf die Idee kommen würden, die Scheiben zu senken…
Folgen Sie mir weiter und widmen Sie ihre Aufmerksamkeit dem Himmel. Ein beseelter Blick nach oben zeugt weniger von ehrlicher Religiösität als mehr vom Wunsch, den Blick auf einen blauen Zenith frei zu geben. Ein kleiner Knopf mit der Aufschrift „PRESS“ sagt mir entweder, dass meine Berufung im Journalismus zu finden ist – oder entpuppt sich schlicht als ein geburtsvorbereitender Hinweis an meinen weiblichen Bordercollie. Aber das ist eine andere Geschichte. Dieser Knopf entriegelt den Drehmechanismus der Kurbel, die das Hub-Schiebedach aufmachen kann. Während ich kraftvoll an der einen kleinen fragilen Kreuzschlitzschraube drehe, mühen die gespannten Drähte das Dach nach hinten. Hallo Sonne. Ich erwarte demnach in diesen Sommer eine Art Tennisarm vom Dach aufkurbeln.
Kälter als draußen geht in diesem Auto nicht. Drei einfache Regler, von hinten interessant ausgeleuchtet, kümmern sich (wieder über Bowdenzüge) um die Drehzahl des Gebläses (von säusel bis hurricane ist alles dabei), die Mischung aus warmer und kalter Luft und der Dosierung zwischen Scheibe, mittleren Düsen und Fußraum. Alles über Drähte von der Art einer bundesdurchschnittlichen Damenrad-Handbremse, alles rein mechanisch. Und alles funktioniert. Kein Stellmotor quittiert seinen Dienst, kein Steuergerät probt den Aufstand und muss resettet werden und kein Quietschen kommt aus den Schlitzen. Wohl fühlen kann so einfach sein. Langsam darf es losgehen, die Gewöhnung nimmt ihren Lauf.
Ein erhabener Moment. Der analoge Tacho steht auf analogen 78.782 Kilometern, als ich den analogen Tageskilometerzähler erstmalig beherzt drückend auf null setze (ich weigere mich auch hier, den Begriff des Resettens zu gebrauchen…). Die Testphase kann losgehen, der Tank ist voll und ich möchte der Laufleistung in kurzer Zeit einige 1000 Kilometer hinzufügen. Noch das knirschende Gefühl der Spannfeder aus dem Tacho-Pinöppel in der Fingerkuppe kurbel ich an der Rückenlehne meines Sitzes herum und ziehe mutig an der mechanischen Höhenverstellung, die mich nach unten gleiten lässt. Nun passt alles. Im V8 würde ich jetzt einen Memory-Platz belegen, hier aber muss ein eventuell anders als ich gebauter Fahrer alles neu einstellen. Halb so schlimm, so viele anders gebaute Menschen werden den Audi 80 nicht fahren.
Musik Kasetten gehören zu einer aussterbenden Welt, welche die jüngere Generation gar nicht mehr kennt. Da nimmt man auf kleinen Tonbändern mit Magnetpartikelchen analoge Klangwellen auf, die analog gelesen und unter ansteigendem Qualitätsverlust wiedergegeben werden können. Für die musikalische Defloration des Grundig wähle ich die Goodbye Logik von Madsen, einer heftig coolen Band aus Hamburg, und lasse das Tape in den Schacht schmatzen. Autoreverse schaltet vorwärts, dann rückwärts, dann vorwärts, und es gibt ein knisterndes, fast schon reißendes Geräusch von ganz tief drinnen. Dumpf und flehend diffundieren gitarrenähnliche Klänge aus den kleinen Lautsprechern, formen sich kurz zu etwas Musikähnlichem und versacken wieder im Klangbrei. Grundig wirkt überrascht, leicht schläfrig. Der alte Tape-Trick mit dem kurzen Antippen der Vorspultaste bringt das Band in die Spur, und Madsen schreibt Geschichte und rockt mit erstaunlich guter Tonqualität los.
Vielleicht, ja vielleicht nehme ich mir morgen früh ein bisschen mehr Zeit, um mich in dem Audi zu sammeln und noch einmal alles klar zu machen. Der alte V8 passt mir einfach, beim Audi 80 befinde ich mich in der analogen Gewöhnungsphase. Schräg, oder? Alle optionalen Kasetten drücke ich klappernd in die Mittelkonsole (an der ich schmerzlich die Armlehne vermisse) und habe schon wieder keine Ablagefläche für meinen Kaffeebecher. Das muss anders werden. Radio hören im „Gute-alte-Zeit-Modus“ ist kein langer Genuss, RDS gab es 1989 immerhin schon in der Raumfahrt (aber nicht in diesem Auto) und den namentlich erratenen Sender muss ich alle 30 Kilometer neu suchen lassen. Also, mit modernen verwöhnten Kenntnissen einfach losfahren ist in diesem Auto nicht. Es bedarf einer gewissen Vorbereitung. Vielleicht sollte man wieder mehr selber singen…
Das Triebwerk erwacht zum Leben, die Straße wartet und der alte, hässliche Audi 80 rollt analog in Richtung Delmenhorst bei Bremen. Kurbeln Sie noch an den Fenstern? Kennen Sie unklimatisierte Juni-Mittage unter schwarzem Lack? *hach* ist das alles pur 🙂
Sandmann
Der Mann nennt den treuen Typ89 hässlich… In einer Welt in der Fiat Van(sse) baut, die eigentlich eine sofortige Schmerzensgeldklage aller nach sich ziehen müsste, die von dem Anblick entsetzt niederknien, und Koreanische Halb/geländewagen über die Straßen wabern, die schon an sich eine komplette beleidigung für das geneigte Auge darstellen.
Ich find ihn schon fast elegant, den alten 80’er, besser noch sein Facegelifteter Nachfolger, der B4.
Aber ich bin mir auch im klaren über die durchschnittliche Ernsthaftigkeit der Aussagen hier. 😉
Ay emsiger Schreiber,
zunächst einmal sehr beruhigend, dass du die extreme Ernsthaftigkeit hier bemerkst. Respekt 🙂 das erspart mir einige Erklärungen.
HÄSSLICH ist vielleicht ein wenig übertrieben. In der Tat sieht der B3 noch aus wie ein klassisches Auto. Der B4 ist irgendwie rundgelutscht. Ach, ich kann mir nicht helfen, schön ist anders. Mal ehrlich.
Schlimmer geht immer, klar, und was heute manchmal gebaut wird wage ich gar nicht zu erwähnen.
Und jetzt drifte ich ín den FREIIIITAAAAAAG!!!
Sandmann 🙂
Also wirklich Herr Sandmann
Schön ist anders….. Gut das mein Audi keine Ohren hat. 🙂
Interessant, wie sich da die Meinungen teilen.
ICH finde den ja auch nicht schön, aber im Vergleich zu einem Chevy Matiz ist er eine Traum-Prinzessin. Im Motortalk habe ich mir ganz schön Schimpfe eingefangen, als ich sagte, der sei hässlich 🙂 Na ja, das ist alles relativ.
Für damalige Verhältnisse irgendwie recht rundgelutscht, aber immer noch eine klassische Stufenhecklimousine. Mein halbfinnisches Fräulein Altona bezeichnete den B4 heute auf einem Spaziergang als „spießig“… hm.
So, Wochenende ist mal wieder vorbei. Ich habe gerade mit meinem Töchterchen „Stand by me – das Geheimnis eines Sommers“ geguckt. Kennt ihr den? Ich finde ihn noch immer großartig…
Sandmann
Na bloß gut dass wir hier nicht auf Motortalk sind, sondern auf Sandmanns-Welt 🙂
Da wird wenigstens alles locker und unkompliziert genommen.
Klar gibt es schönere Autos, mein Traumauto ist der 80 mit Sicherheit nicht. Aber er ist eben was er ist. Zuverlässig, rostet nicht , und man kann wirklich viel selber machen. Momentan habe ich keine weiteren Ansprüche. Naja…. ein größerer Motor wäre schon lecker.
Meine bessere Seite findet den Audi auch nicht super toll 🙂 besonders das Lenkrad soll die Größe eines Busses haben ??? 🙂
Zum Film
Ja der ist toll, genau das richtige für einen nassen Sonntag.
Gruß Rene‘
Ay Rene,
na ja, wenn das Lenkrad die Größe eines Bus-Lenkrads haben soll, dann hat deine Liebste noch nicht in einem alten Granada oder Mercedes /8 gesessen. Da ist richtig Arbeit angesagt 🙂
Ich bin bei meinem V8 in den letzten Wochen aber auch immer wieder erfreut, was alles von Hand machbar ist. Mit relativ geringem Aufwand. Irgendwie habe ich wohl ein Glücksauto abgegriffen, wenn ich im Forum so lese, was die manchmal alle für echte Sorgen haben!
Sandmann
Tach auch!
Mit dem fehlenden Komfort hatte ich, als ich den Aldi holte auch so meine Probleme.
Mein Touran hat ja immerhin Vollausstattung. Und so wuchs zum Anfang auch der Zweifel, ob die Entscheidung aus nostalgischen Gründen den Aldi 80 zu fahren mal so seine Richtigkeit hatte. Hatte es!!!! 😉
Das Radio flog dann allerdings raus und wurde durch eine komplette Anlage ersetzt. Allerdings habe ich diese so verbaut, das fast nichts davon zu sehen war. (Irgendwo existieren davon auch noch Fotos…).
Der Mechanismus des Schiebedach wurde einmal komplett zerlegt und wieder gangbar gemacht, so dass man das Dach locker mit zwei Fingern aufkurbeln konnte. (Es gibt da so einen Trick, den Umlenkmechanismus durch den des Audi 100 zu ersetzen). An den Rest gewöhnte man sich relativ schnell. Elektrische Fensterheber? Braucht man nicht. Klimaanlage?…. Öhm… Ansichtssache. Sitzheizung? Nö, er wurde nicht im Winter bewegt!
Was ich mir absolut NICHT abgewöhnen konnte, war den Blinkerhebel immer kurz anzutippen um die Komfortblinkfunktion zu aktivieren. Das Blinken musste ich „neu lernen“. Kaum zu glauben, dass man sich an SOWAS gewöhnt.
Aber dafür bewahrheitete sich der Spruch: „Wo nix dran ist, kann nix kaputt gehen.“ Das Fahrzeug stand nach dem Erwerb erstmal knap 4 Monate abgemeldet im Garten (laaange Geschichte). Dann entschied meine Frau recht spontan: Morgen muss er angemeldet werden. Äh…. Schatz, der TÜV ist abgelaufen. „Dann fahr ihn morgen doch hin!“ Äh…. so einfach geht das nicht….
Geht doch! Morgens um 07:00 Uhr mit dem Touran in den Garten und Starthilfe gegeben. Den Audi 20 Kilometer zur GTÜ gefahren und nach anfänglich vorsichtiger Gangart auf der Umgehungsstraße den Drezahlmesser hochgejagt. Schlüssel und Schein hingelegt und um das volle Program gebeten. Nach einem vor sich hingegrummelten Hinweis auf eine lose Auspuffschelle (Die Anlage war eh verspannt montiert und musste nochmal komplett gelöst und neu ausgerichtet werden), wurde die Plakette erteilt und der Vermerk: OHNE MÄNGEL notiert.
SO einfach kann das Autoleben sein. In den folgenden ca. 10.000 Kilometern ging dann folgendes kaputt: NICHTS! 😉
So gesehen, kurbelt man doch gerne! 😉
Touranus
Ay Touranus,
das sind alles die Geschichten, die damals ein bisschen an mir vorbei gelaufen sind… Wenn ich das so lese, bin ich kurz davor, mal wieder bei mobile.de reinzustromern… Aber das lasse ich lieber, das endet eigentlich immer mal wieder mit einem Autokauf 😀
Mein V8 hat allerdings vergangenen Monat auch mangelfrei TÜV bekommen. Und jetzt muss ich noch meinen Anhänger rüberbringen, hihi, aber das sollte keine große Hürde sein 🙂
Sandmann