Herbst 2009. Die Farbe stimmt, der Zeitpunkt ist brilliant und mein Bock auf erotisch geformtes, altes Blech war nie größer! In meiner Garage schlummerte mein goldmetallischer 1971er VW K70 einen einjährigen Dornröschenschlaf, abgestellt nach der epischen Tour in die 70er Jahre des Pfälzer Walds mit meinem Freund Örg im goldenen Oktober 2008. Nicht, dass wir das jetzt wiederholen möchten. Nein. Viel profaner. Dieses Auto will schlicht bewegt, gefahren werden. Nicht nur für einmalige Kult-Touren. Es ist nicht dafür gebaut worden, den größten Teil des Jahres in irgendwelchen Garagen trocken eingelagert zu stehen. Nicht einmal, wenn es sich um meine eigene Garage handelt. Mein erklärtes Ziel: Der alte K70 soll ein H-Kennzeichen bekommen und offiziell zum Straßenverkehr zugelassen werden. 38 Jahre, nachdem er als Neuwagen das Werk in Salzgitter verließ. 35 Jahre, nachdem mein Papa so ein Modell gefahren hat. 29 Jahre nach der Trennung meiner Eltern. Und ein Jahr, nachdem er sich quer durch die Bundesrepublik bewegt und somit bewährt hat. Springt er an? Nach einem Jahr?
Ja. Er springt an. Ich muss ein wenig orgeln, aber was selbst fachkundige Elektrotechniker nicht für möglich gehalten hätten: Die seit dem nicht aufgeladene, alte Berga-Batterie mit 55AH dreht den mickrigen Anlasser ohne ein Überbrückungskabel so lange durch, bis im Solex Doppelvergaser angereichertes Benzin den Ansaugkrümmer flutet und das alte NSU Triebwerk zu einem knorrigen, hochtourigen Leben erwacht. YESS! Neben dem Auto liegen die Neuteile, die ich über den Club erworben habe: Zwei neue Bremssättel mit Klötzen (Original VW) für die vorderen, innen liegenden Scheibenbremsen und zwei neue Radbremszylinder für die hintere Trommelbremse. Außerdem nenne ich zwei gebrauchte Vergaserflansche mein eigen, die ich gegen die verhärteten, porösen Originale tauschen will. Der monströs große, durstige Vergaser und sein Luftfilterkasten aus Metall hängen mit ihrem stattlichen Gewicht seitlich am Motor, da leiden die Gummidichtungen gern einmal. Aber hier zeigt sich gleich die Schrauberfreundlichkeit dieses Autos von seiner besten Seite: Einmal aus der Garage ins Licht herausgefahren (nur mit der Handbremse bremsen… Sie haben die Rückblende vielleicht eben gerade gelesen…?) brauche ich nur einen 13er Ringschlüssel, mit dem ich alle 8 Muttern gut zugänglich löse. Schon kann ich den Solex abnehmen und die müden Flansche vom Ansaugkrümmer lösen. Die sehen eigentlich gar nicht so schlecht aus. Irgendwie sogar besser als die „neuen“… Hm.
Beim anschließenden Probelauf entpuppt sich das optisch angekündigte Problem von fast 40 Jahre alten Gummidichtungen: Sie sind nun einmal härter als damals. Was gegen die Ansaugspinne noch mit einer Papierdichtung abgedichtet wird, soll vergaserseitig schmatzend Blech an Gummi liegen. Und hier zieht das Gaswerk reichlich Luft und dreht dadurch viel zu mager in den höchsten Tönen. Wenn ich den Choke reindrücke, geht er ganz aus. Werksseitig sind hier keine Dichtungen vorgesehen, also muss ich mir selbst helfen. Bei einem Us-Parts-Händler in Kiel erwerbe ich auf dem Heimweg frohen Mutes 0.75er Dichtungspapier als Meterware, packe alle anderen Teile auf den Rücksitz, mein Fahrrad in den riesigen Kofferraum und mache mich zunächst auf in unsere kleine Werkstatt, um den Vergaser abzudichten. „KaSi“ fahren. Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich das einen machen kann! Simplify your life. Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd, und alle Menschen, an denen ich vorbei fahre, tun es mir nach.
Dichtungen selbst schnitzen ist gar nicht schwer. Man legt das Gummiteil auf das Papier (mit ausgestanzten Löchern für die Schraubgewinde) , zeichnet die Umrisse nach und schnibbelt das ganze dann mit einer Schere aus. Wie damals der Spiel- und Bastelteil in der Mitte der Micky Maus, als sie dem Yps-Heft noch nicht das Plastikspielzeug geklaut hatte.
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In irgend einer hinteren Ecke des Verstandes wundert man sich zwar, dass anschließend ein Ergebnis vorliegt, welches gegen Öl, Luft und Benzin bei hohen Temperaturen abdichten soll – aber okay, ich habe es nicht erfunden und vertraue den Amerikanern. Parallel gibt es bei unseren Nachbarn in der Konstruktionswerkstatt von Neander Motors Kaffee und Kuchen, die Herbstsonne lächelt über Kiel… was für ein schöner Tag!
Sieht das nicht wunderschön aus? Lacht da nicht ein jedes sentimentales Schrauberherz? Neue Dichtungen an einem uralten Motor, der es aber noch einmal wissen will. Mit dem einzigen notwendigen Schraubenschlüssel drehe ich die verbliebenen vier 13er Muttern wieder fest, ziehe den Choke (einige hier werden gar nicht wissen, was ein Choke ist, oder???), drehe den Schlüssel – und der Motor schnurrt fast vibrationsfrei, als müsse er eigentlich noch eingefahren werden. Obwohl… nach erst 80.000 Kilometern kann man das fast noch durchgehen lassen. Sodenn! Garstige Nebenluft adé, endlich riecht es wieder nach unkatalysiertem Normalbenzin. Zausi, Örgs Papa, steht schnuppernd neben dem Szenario. „Irgendwie süßlich, findest du nicht? Ganz anders als meiner…“ Zausi fährt einen original erhaltenen R4, dieser scheint im Abgas offensichtlich andere olfaktorische Erlebnisse bereitzustellen. Vielleicht ein Fall für „Wetten Dass?“… Letzte Etappe. Auf nicht 100%ig legale Weise bewegen der K70, mein Fahrrad und ich uns in Richtung der 1A Autoservicewerkstatt von Herrn Menzel. Vorläufiger Hafen für heute.
Rüdiger Menzel ist ob meines Vorhabens vorgewarnt und heute Abend sogar noch selbst vor Ort. Letztes Jahr hat man hier noch vor der offiziellen Eröffnung der sauberen, großzügigen Werkstatthalle meinen „Aldi 80“ inspiziert und wieder auf Vordermann gebracht. Die aktuelle Aufgabe ist ein wenig kniffeliger. Einbau der besagter vorderer Bremssättel, der neuen hinteren Radbremszylinder und der beiden gerissenen vorderen Antriebswellenmanschetten. Außerdem ein Bremsflüssigkeitswechsel und einstellen des mechanischen lastabhängigen Bremskraftverteilers. Das trauen sich nicht einmal mehr alle VW Werkstätten. Aber die haben auch die Rechnung ohne Herrn Menzels Vater gemacht, der den K70 aus „seiner“ Schrauberzeit nur zu gut kennt und sich meiner Sorgen gern annehmen wird. Ach ja. Und den Doppelvergaser kann man in dem Zusammenhang ja auch gleich einstellen. Der angesetzte Preis hat mich nicht lange nachdenken lassen, bevor ich alle diese Arbeiten in fremde, kompetente Hände legte. Welche Werkstatt traut sich heute schon noch selbstbewusst an Old- und Youngtimer heran? Top, der Handel gilt. Machen Sie, bitte.
Last Exit H-Kennzeichen? Wenn ich das Auto am Donnerstag abhole, habe ich ein frisches KURZzeitkennzeichen in der Tasche und hoffe, das lange Wochenende ein bisschen mit meiner kleinen Tochter, intakten Bremsen und sauber laufendem Motor durch den Norden der Republik fahren zu können. Bleiben Sie bei uns, dann werden Sie es lesen…
Sandmann
Sandmann,
herrlich! Es ist dermaßen entspannend solch eine schöne Geschichte zu lesen. Du mit Deiner Tochter, Euch scheint die Sonne förmlich in`s Auto. Ja, das ist es was ein Youngtimer bewirken kann, er entschleunigt einen. Dazu noch ein gutes Band im Radio, passende Musik machts doppelt bekömmlich. Für Dich ist es eine Zeitreise, was ist es dann erst für deine Tochter?
Sie sitzt in einem Auto aus einer anderen Zeit, keine Handys, kein MP3- Player, von PCs ganz zu schweigen. Fragt sie Dich in solchen Momenten wie das Leben früher war?
Mein kleiner hat neulich gefragt, was ein Telegramm ist??
Deine Werkstatt ist ja unbezahlbar, da scheint der Kasi in richtig guten Händen zu sein.
Unbezahlbar, so etwas. Ja, auf dem Land gibt es dass noch.
Gruß vom Bronx, der sich auf eine Fortsetzung freut.
Ay Bronx,
nein, sie fragt mich eigentlich nie, wie das Leben früher war. Das erzähle ich ihr schon immer von ganz alleine, ich komme mir manchmal vor wie mein eigener Opa, der Lausbubengeschichten erzählt 🙂
Sie genießt wohl vor allem, dass sie Zeit mit ihrem verrückten Papa verbringt, dass wir zusammen unterwegs sind und bekloppte Lieder singen. Und das werden wir hoffentlich immer wieder machen.
Sandmann, am FREIIITAG!