Sandmanns Brut gullert mit dem V8 in den Süden. Hier Teil 1.
Nach einer erstaunlich angenehmen Nacht in den typischen Etap-Hotel-Eighties-Stapelbetten mit angrenzenden Kleinst-Nasszellen hängen wir uns noch schnell nach dem Frühstück ins Hotel W-Lan, bevor wir die urbane Zivilisation erst einmal verlassen. Mein Facebook-Account pendelt zwischen Neid und Sonnenwünschen, aber die beherrschende Aussage ist: Alter, mach doch mal URLAUB und lass das Internet in Ruhe 🙂 Hm. Stimmt eigentlich. Yo meine hübschen Begleiterinnen, weg mit den Laptops und den Iphones, rein in die altersergraute und nur mäßig klimatisierte Oberklasselimousine und rein mit dem noch kalten Quellwasser in den schwitzenden Körper. Unser Ziel heute: Les Saintes Maries de la Mer, sozusagen die inoffizielle westlichste Ecke der Côte d’Azur. Mitten in der Camargue, das bedeutet Wildpferde, Flamingos und verrückte Touristen. Na – dann mal auf die Piste!
So ein südtendierter Routenverlauf gestaltet sich recht chronologisch.
Zunächst möchte der alte Audi gefüttert werden, dazu hatte ich gestern Abend keine Lust mehr. Die nach 5 Jahren schon etwas müde Gasanlage erfreut sich bei Tagestemperaturen zwischen 30 und 40 Grad bester Agilität und genehmigt sich bei Reisegeschwindigkeiten von 130km/h (mehr ist hier nicht erlaubt) nur 14 Liter, der eiskalte Stoff selbst ist allerdings entlang der „Autoroute du Soleil“ verhältnismäßig teuer. Touristen tanken, egal zu welchem Preis, denn man kann ja die mautpflichtigen und perfekt eingezäunten Autobahnen nicht einfach so verlassen. Ohne zu bezahlen und anschließend wieder mit neuem Ticket rauf zu fahren, dazu haben die hier (und wir) alle keine Lust, also wird ein Literpreis von weiterhin 91 Cent in Kauf genommen. Frechheit. Aber das ist immerhin noch preiswerter als Super, welches in Paris zur Zeit bei 1,60 taxiert.
Mal abgesehen davon: Die spinnen, die Franzosen. Stellen Sie sich bitte den dicken Obelix vor, mit finsterer Mine, den Hinkelstein auf dem Rücken und sich heftig an den Kopf klopfend 😀
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Der Verkehr aus der Hauptstadt heraus fließt, aber fragen Sie nicht WIE! Kleinwagen und Transporter wechseln komplett blinkbefreit die zumeist vier Spuren, bremsen, geben Gas, hupen permanent und willkürlich – und zwischen allem schwirren die völlig verrückten Mopedfahrer todesmutig umher. Auf der Gegenfahrbahn versucht sich ein Krankenwagen durch den Berufsverkehr zu tuten. Der Fahrer hat mein volles Mitleid. Schnell raus hier.
Sur la route. Hier eine Péage, dort ein kleines Ticket aus dem Automaten ziehen – die Franzosen lassen sich das Benutzen ihrer privatisierten Autobahnen gut bezahlen! Einmal von Norden nach Süden, und Sie sind mit rund 80 Euro dabei… Dafür sparen die drei südwärts driftenden aber auch insgesamt sechs Stunden Zeit und vermutlich drei Garnituren Bremsbeläge, vier Antriebswellen und die erlöschende Lebensfreude von zwei Teenagern, die sich in den unwegsamen Nebenstraßen spätestens in den Bergen nicht nur die Seele aus dem Leib gekotzt hätten. Und wenn einem erst einmal im Auto schlecht ist, dann bleibt das ja erfahrungsgemäß und geht nicht mehr weg, solange der Motor läuft. Blöderweise schützen den ambitionierten Fahrer die allerbesten elektrischen Sportledersitze (mit 4fach Memory!) nicht vor der einen oder anderen Verspannung, also nehmen wir den alle zwei Stunden mit erhobenem Zeigefinger rumpöbelnden Bordcomputer ernst und pausieren hier und da. Streckend. Dehnend. Ein bisschen die Vegetation wässernd und neue Energie tankend.
Wie war denn das bei Ihnen damals so, als Sie mit Ihren Eltern in den Urlaub gefahren sind? Genervtes Genörgel in endlosen Staus? Schokoflecken und Kekskrümel in den Polstern? Die klassischen „Wann sind wir denn endlich da???„s oder die unvermeidlichen „Mir ist schlecht!!!„s? Nichts von alledem finden Sie auf den Fernreisen der Familie Sandmann wieder, und ich danke dem Schöpfer des Universums dafür. Wir packen verbal unseren Koffer (mit SEHR schrägen Dingen), diskutieren über Leben und Tod und hören in herrlichen Endlosschleifen die Urlaubs-CD meiner älteren Tochter. Dass Snoop Dog uns vorschlägt, jeden Tag Gras zu rauchen, LMFAO virtuelle Fliegen mit Kopfhörern an die Plattenteller lässt und Alexandra Stan sich von Mr. Saxobeat verzaubern lässt ist mir von heute an auf ewig ins Gehirn gebrannt. Wann wir da sind sagt uns unmissverständlich unser Navi und Schokoflecken auf den Ledersitzen sind ja nicht so schlimm. 🙂 Ich bin gern mit diesen beiden Mädels unterwegs! Und *schnipps* weicht das überhitzte französische Inland den Schilfebenen der Camargue, den wilden Pferden und den wie fliegenden Stöcken aussehenden Flamingos – und wir sind da.
Es ist WARM!!! In der Mittagshitze sollten wir eigentlich durch das Mittelmeer schnorcheln oder zumindest am Pool rumhängen, aber zunächst gilt es, das neue, voll unterkellerte Dreizimmerzelt und den Pavillon aufzubauen. Und den Kühlschrank. Und den Zweiplattengasgrill. Argh. Unser Zuhause für erstmal die nächsten vier Nächte. Der Wetterbericht sagt eine gewisse Wolkenlosigkeit hier unten voraus, und da unsere blasse Haus sehr laut nach Licht und Bräune schreit wollen wir ihr diesen Wunsch nachher erfüllen. Der Audi tickt leise und fragt flüsternd, ob er nicht bald mal wieder einen Schluck Öl haben darf. Ja natürlich, morgen früh, sehr gern. Er riecht ein bisschen nach warmem Gummi und heißen, verdampfenden Schmiermitteln. Hier fühle ich mich wohl. Als alles aufgebaut ist zieht der erfrischende Pool vom Campingplatz „La Brise“ uns regelrecht magisch an… Hören Sie ihn rufen…?
Hm. War das mit den Wasserwummen (mit den richtig GROSSEN Wasserwummen) wirklich so eine gute Idee? 🙄 Die junge Frau und das Frollein legen nie gekannte Feldherrengene frei und beweisen sich als hervorragende taktische Kriegsführerinnen. Verdammt. Das in Kombination mit dem durchtrainierten blonden Animateur, der im Hintergrund alle zum Aquajogging bei Dance-Beats anspornt ist mir heute ein bisschen zu viel. Ladies – was haltet ihr davon, einmal dem Mittelmeer hallo zu sagen, wenn wir schon mal hier sind? Pool können wir auch in Deutschland haben, und bevor die Tsunami-ähnlichen Wasserwellen der besagten Spritzwaffen noch Fremdtouristen verärgern schlage ich einen Ortswechsel vor.
La plage est 300 metres a pied.
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Besser. Erfrischt und erholt streife ich die lange Fahrt hier her ab und kann ein bisschen den momentan sehr bewegten Alltag loslassen. Wie mag es meiner Liebsten in Allemagne gehen, die noch mitten in der Arbeit steckt? Heute Abend werde ich es hören, wenn der Gott des Datenroamings Einsicht hat…
Vorher ist die Abendplanung der kleinen Sandmannfamilie geprägt von Glücksspiel und Essensvorbereitung. In Sachen Kartenspiele stehe ich ganz hinten in der Schlange der HIER-Sager. Ich kann kein Skat und kein Doppelkopf und will das auch nicht mehr lernen. Mau Mau geht grad noch. Bevor ich meinen beiden Grazien Rommé beibringen kann (das Spiel, was meine Eltern mit mir im Urlaub gespielt haben – der Gewinner bekam immer eine 250g Tafel Marabou Schokolade!) werde ich zu einigen Partien Phase 10 genötigt, was Rommé recht ähnlich ist. Außer, dass ich irgendwie immer verliere. Wie kann das sein? Ein bisschen tröstet mich der alte Spruch „Pech im Spiel, Glück in der Liebe„… Und da klingelt auch schon das Telefon. Alles ist gut.
Abendessen. Klasse. Im Windschatten des V8 macht die Große Salat und die Kleine legt zischende und dampfende Merguez (eine sehr pikante Chili-Bratwurst) auf den Grill. Ich öffne derweil den guten französischen Landwein. Und entdecke erneut dieses Phänomen Urlaub!
Was so phänomenal ist? Ein Vin de pays de Herault oder de l‘ Aude schmeckt hier, in der südfranzösischen Abendsonne, ganz phantastisch! Zeitlos köstlich, man möchte nichts anderes jemals irgendwann wieder trinken 🙂 . Aber haben Sie den mal nach Deutschland importiert, um später noch in Gedanken versunken an die schönen Zeiten erinnert zu werden? Dann schmeckt er wie Knüppel auf den Kopf. Woran liegt das bloß?
„Mach mal Urlaub“ sagten die Jungs auf Facebook. Mach ich ja. Aber irgendwie möchte ich auch hier und da mal meine Mails checken und ein paar Fotos nach Hamburg oder Berlin senden. Wo das Wetter offensichtlich nicht so super ist, wie ich gerade hörte. Vielleicht ist es die verliebte Abhängigkeit eines gerade 40 Jahre alt gewordenen hoffnungslosen Romantikers, vielleicht auch die Freude, mit anderen im Internet kommunizieren zu können und sie an dem Schwachsinn, den man im Urlaub so macht, teilhaben zu lassen. Bloggen halt, Tagebuch für alle. Wer es nicht mag, kann ja ausmachen. Irgendwie schräg, in was für Zeiten wir leben, oder? Solange noch Fledermäuse über meinen Kopf zischen (die sehen im Gegensatz zu den Flamingos aus wie hektisch fliegende Billardkugeln) scheint aber alles in Ordnung. Und die ersten Mücken höre ich auch schon. Oha. Wo Natur ist, sind gute Zeiten…
Gute Nacht, Mittelmeer. Nach zwei Tagen auf der Straße und einem großartigen Zwischenstopp in Paris sind die drei urlaubsreifen Kieler endlich bei dir angekommen. Uns erwarten noch rund 10 Tage zwischen Nudeln und Rotwein, zwischen einem alten Audi V8 und einem warmen Zelt und zwischen der Ungewissheit, auf dem nächsten Campingplatz vielleicht kein Plätzchen mehr zu bekommen und dem unerschütterlichen Optimismus der südreisenden Sonnenkinder. Vielleicht fahren wir morgen, wenn die Croissants verdaut sind, mal nach Cassis bei Marseille und gucken uns an, ob die sagenhaften Buchten mit dem smaragtgrünen Wasser und den weißen Felsen noch immer so schön sind wie vor 20 Jahren? Die Calanques? Wir werden sehen.
Es grüßt Sie und Euch aus dem Süden Europas
Sandmann
Wenn ich meiner Familie etwas von Urlaub auf eigener Achse erzähle, höre ich immer nur was von Flugzeugen. Unromantisches Volk. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir nur einen Audi 100 (Limousine, aber immerhin 2,8 Liter mit defekter Krümmerdichtung für ordentlichen Sound) fahren und 2 Erwachsene, 2 Kinder und 1 Hund sind.
Ich bin also leicht neidisch auf die hier beschriebene „Tour de France“ …
Bester Marco,
willkommen in Sandmanns Welt! 😀
Wieso „nur“ einen Audi 100? So viel kleiner vom Platzangebot als der V8 ist er nicht, man muss allerdings sehr gut packen und verstauen. Ich war mit der von dir beschriebenen Konstellation plus Kinderkarre und zwei Kisten Holz mal in Dänemark! Mit Dachgepäckträger kein Problem 🙂
Allerdings hat die Überlandromantik auch ihren Preis, am Ende werde ich mal das Geld für den Platz, das Benzin (bzw. Gas) und die Autobahngebühren zusammenrechnen. Wahrscheinlich wäre dann fliegen günstiger gewesen. Aber dann wiederum hat man ja vor Ort kein Auto…
Also – kein Neid, freu dich lieber mit uns und überzeuge deine Familie vom Spaß auf so einer Tour. Da kommen ja noch ein paar Berichte 😉
Sandmann
Vielen Dank für das Willkommen!
die Immobilität vor Ort im Falle einer Anreise per Flieger ist immer mein Hauptargument, dass mit bösen Worten wie „Leihwagen“ zu entkräften versucht wird.
Letztendlich stimmt es aber vermutlich, dass ein Billigflug mit der Nevercomeback-Airline günstiger ist, als die Sprit- und Verschleißkosten des ollen Audis.
In Erwartung weiterer Berichte, um die eigene Familie umstimmen zu können verbleibe ich mit einem
Schöne Reise noch!
DANKE 🙂 Ist angekommen.
Ich habe gleich was zu Lesen fortgesetzt, morgen kommen noch ein paar Leichen automobiler Art und nach dem Wochenende dann der Saint Tropez Bericht. Live fahren wir morgen schon wieder nach Nordfrankreich, ein paar Freunde besuchen. Und in der Nacht von Samstag auf Sonntag geht es dann zurück nach Kiel…
Wir lesen uns!
Sandmann 😀
Hey Jens
Sei froh das Du da unten bist und nicht hier „oben“. Mal kalt, mal warm gepaart mit Regen und einem Wettergott der nciht so recht weiß was er will. Der Sommer ist irgendwo verloren gegangen. Vielleicht hast Du ihn ja gefunden. Sag mal…kann es sein das Du braun geworden bist? Das eine Bild wo Du im Meer rumlungerst, mit leicht grauen Bart 😉 im Hintergrund die Segelschiiffe…ich könnte schwören das Du Deine Kieler Blässe abgestreift hast. Oder täusche ich mich jetzt?
Der Bericht ist aber wieder einmal richtig geil. FERNWEH!!!!!
Allerdings dann auch mit dem Auto, seiner eigenen kleinen Welt und Dosenwurst. Hehe
Entspanne Dich schön weiterhin mit Deiner kleinen Familie. Ich freue mich mit Euch dreien und wünsche Euch noch viel Spaß am Mittelmeer.
V8 mäßige Grüße
Markus im Regen der noch immer nicht mit seinem Handy umgehen kann 🙂
Bester Markus,
stimmt. Mit deinem Handy bist du noch nicht Freund, ich habe heute eine leere SMS von dir bekommen 😉
JA, die Kieler Blässe habe ich endgültig abgelegt. Ich bin ekelerregend braun. Hach, ist das schön 😀 😀 😉 Und vom schlechten Wetter hörte ich auch schon, mensch, mach das mal weg. Sonntag bin ich wieder da, dann bring ich den Sommer mit!
Sandmann
Tach Sandmann,
was kocht man denn so in zwei Wochen als quasi Alleinbespaßender Papa seinen beiden Töchtern jeden Abend? Seid ihr da kreativ? Oder gibt es ausschließlich Nudeln aus der Dose? 🙂
Hat man bei der Wärme überhaupt Hunger?
Abel
Ay Calimero,
das sind berechtigte Fragen… Hunger hat man in der Tat, denn baden macht bekanntlich hungrig. Und zwar nicht zu knapp. Tatsächlich standen die klassischen Dosenravioli von Maggi auf der Wunschliste meiner Töchter ganz oben (sie lieben die wirklich!), nur irgendwie sind wir nicht dazu gekommen.
Es gab Spaghetti mit frischer Tomaten- oder Bolognaisesauce mit Knoblauch und Zwiebeln, es gab leckere Grillplatten mit Merguez, Hähnchenschenkeln und Nackensteak (dazu Gurkensalat mit frischem Dressing), es gab Sandwiches mit Saucen, Käse, Wurst und Salat und es gab Nudelpfannen mit Sahnesauce, frischen Pilzen und Zwiebeln. Lecker!
Sandmann
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