Nein, kein Krimi. Vollsperrung, Bordsteinschwalben und Alkohol…
Hamburg, 19.30 Uhr. Ich bin auf dem Weg von Kiel zu Luigi’s im Hamburger Portugiesenviertel, dem Stammitaliener von Nick und mir. Etwas ist heute anders. Menschen bremsen mitten auf der A7, um mich herum blinken unheimlich viele Warntafeln und plötzlich steht alles. Und mein alter V8 in der allerersten Reihe. Auslösung der Höhenkontrolle im Elbtunnel, Vollsperrung der A7. Na super, und ich muss da gar nicht durch! Ich muss Othmarschen runter, das ist direkt vor dem Tunnel und sogar schon in Sichtdistanz. Vor mir eine beleuchtete Geisterautobahn, rechts von mir ein menschenleerer, einladender Seitenstreifen und hinter mir ein krakeelender Rettungswagen mit Blaulicht… und das ist erst der Anfang eines eher skurrilen Abends.
Rettungswagen muss man durchlassen. Und als ich so mittig vor allen anderen quer auf der leeren Autobahn stehe, kann ich auch gleich weiter fahren, schließlich ist nicht die Ausfahrt gesperrt – sondern der Tunnel. Ein erhabener Moment, sich unter den ganzen blinkenden STOP-Tafeln langsam vorzutasten und den beiden plötzlich auftauchenden, böse guckenden Polizeibeamten in der Ausfahrt mein Anliegen mit wedelnden Händen plausibel zu machen. Die beiden nicken gönnerhaft. Na, das ging ja noch mal gut.
Bei Luigi zelebrieren wir regelmäßig unsere Updates über aktuelle Autowagen und zu erledigende Geschichten, das alles bei einer mehr als guten Pizza und einer Karaffe Chianti. So tafeln wir, Ideen entwickelnd, bis gegen 22:30 Uhr. Das Gläschen Wein macht mir als Autofahrer ein partiell schlechtes Gewissen, aber mit dem guten Gefühl, um mich herum in dieser Stadt jede Menge wirklich betrunkene Menschen zu haben, lädt mich der Nick noch zu einem Cruising in dem heute aus der Werft entlassenen Sternen-Dickschiff ein. Schwer und träge an der Hafenmole dümpelnd umgarnt mich im Fond jener Velours-Luxus der frühen 90er Jahre. Fahrer – Kiez bitte. Reeperbahn. Wenn schon, denn schon.
Nun kann ich es nachempfinden. So muss Liz Mohn, prominente Vorbesitzerin dieses Autos, sich gefühlt haben, als sie von ihrem vermutlich wesentlich weniger charismatischen Fahrer quer durch die Republik gefahren wurde. Ein wahrhaft ausuferndes Raumgefühl. In dieses Auto möchte man direkt mit all seinem Hab und Gut nebst sämtlichen Möbeln einziehen, wäre nur die Quadratmetermiete nicht so teuer. Seidenweich schnurrt der 17 Jahre alte Achtzylinder, als hätte er heute nichts besseres vor. Rollende Grundfläche eines durchschnittlichen WG-Zimmers. DAS ist ein Mercedes. Alle Testfahrten mit SLKs oder CLS‘ in Ehren. Sicher gute Autos, aber das hier ist ein Mercedes Benz der alten Schule!
Auf der Reeeeeperbahn nachts um halb Eins. Dingelingeling. Hans Albers ging seinerzeit zu Fuß, aber es muss ähnlich bunt gewesen sein. Neben mir sitzt mit einmaliger Stilbruch-Tendenz ein Farbeimer (Grau, zehn Liter) aus dem Baumarkt und schweigt. Herr Nick denkt offensichtlich praktisch und nutzt dieses Transportmittel durchaus zweckmäßig, was laut viel diskutierter Ökobilanz irgendwie Sinn macht. Kombi – braucht man nicht. Ach ja. Der Kiez. Sie waren noch nie hier? Hier kann man alles kaufen, Männer, Frauen, schnelles Glück oder die große Sehnsucht. Der dunkelblaue Mercedes 400 SEL fügt sich gut ins Straßenbild ein und schleicht seidenweich durch die alltagsferne Neonwelt.
„Sandmann, ich lass dir mal das hintere Fenster runter, dann kannst du die Nutten besser sehen.“ Nick tut kichernd und schalknackig tatsächlich wie angedroht, und hinter den manuellen Gardinen in Polsterfarbe kommen die mannigfaltig mietbaren Ladies der sündigen Meile zum Vorschein. Sein anschließendes nervöses Geklicke am Schalter des Fensterhebers stört akustisch meine Aussicht. „Äh… Ich krieg ihn nicht mehr hoch!“ Ein Schelm, wer hier etwas anderes als ein technisches Problem vermutet. Also krabbel ich auf die andere Seite des Rücksitzes (was das Zurücklegen einer beeindruckenden Distanz bedeutet) und klicke meinerseits munter mit, während der hanseatische Regen die offen im Wind flatternden Gardinen benetzt. Nein, man spricht mich nicht an. Gemeinsam bekommen wir das schwere Dämmglasfenster wieder in Schließposition und machen einen Strich auf der Liste zu beobachtender Elektrikmängel.
Zurück im heimischen Gestühl meines Audi V8 begebe ich mich (nicht minder gediegen) auf den Weg in den Hafen, um mein halbfinnisches Fräulein Altona von einer großen offiziellen Party abzuholen. Das Telefon am linken Ohr plaudere ich mit ihr und entdecke sie rechts an der Straßenecke, mit einer bekannten Daily-Soap-Schauspielerin plaudernd, winkend. Den Blick nach links drehend lächel ich erneut direkt in die freundlichen Gesichter zweier weniger bekannter Streifenpolizisten und lasse glatt das Handy fallen. Und kraule mir lasziv mit der noch erhobenen Hand unauffällig die linke Kotelette. Der Abend will es irgendwie wissen!
Ich wende den Audi (noch voller Hoffnung) mitten auf der Straße, lasse meine Freundin einsteigen und stelle mich direkt hinter den an der roten Ampel wartenden Streifenwagen. Um uns herum toben die Partyheimkehrer, in mir drin eine böse Ahnung. Na klar. Blaulicht an und STOP – Polizei! Wieder blinkt es rot und blau. „Schön‘ guten Abend, allgemeine Verkehrskontrolle. Haben Sie da gerade telefoniert?„“Ich? Ja, äh, nein, ich habe meiner Freundin gewunken, hier, sie ist gerade eingestiegen.“ „Aha. Na dann mal die Papiere, bitte. Waren Sie auf der Veranstaltung?“ „Nein, meine Freundin war da, hat was getrunken, und ich hole sie nur ab…“ „Komisch, das hören wir jetzt schon das zweite mal. Die Frauen feiern und die Männer müssen fahren. Na klar. Sind Sie mit einem Alkoholtest einverstanden?“ … Wau. Premiere! Hab ich noch nie gemacht. Während ich mit irgendwie weichen Knien beherzt puste, bemerkt der Beamte noch: „Ganz schön gelb, Ihre Scheinwerfer… ist das normal?“ „Nein, das sind die Lampen der französischen Ausführung, das ist seit dem 1. Januar auch in Deutschland okay so…“ Es regnet. „Na, das ist ja gar nichts hier, aber Sie wissen – ab 0,3 hätten Sie Ärger bekommen und ab 0,5 ein Fahrverbot.“ „Ja, das ist bekannt, deshalb habe ich ja auch nichts getrunken…“
Sie geben mir meine Papiere zurück und wünschen einen guten Abend. Nun ist auch mal genug, so viel Aufregung in nur 3 Stunden ist zu viel für einen kleinen Blogger. Mit einer neu entdeckten Liebe zum leckersten Italiener Hamburgs, einer gesteigerten Affinität zu deutschen Luxuslimousinen und einem leicht erschütterten Vertrauen in deutsche Messtechnik fahren wir durch den Regen nach Hause. Hamburg, meine Perle. Haben Sie schon mal pusten müssen…?
Sandmann
Ja wie denn?
Schon einen Tag online, und KEINER von euch kann was zu Alkoholkontrollen berichten? Oder Prostitution??? Das glaube ich nicht. Seid ihr denn alle Engel? 😉
Sandmann
Ave Sandmann,
Ich habe seit 1981 den Führerschein uns habe seither (das sind 30 Jahre) noch NIEMALS pusten müssen!
Ich hatte auch noch NIEMALS eine allgemeine Verkehrskontrolle!
Nur bei einer Lasermessung wurde ich mal rausgezogen mit knapp 30KM/h zuviel.
Ansonsten hatte ich noch nie etwas mit der Polizei zu tun.
Ich bin ein Engel 😀
Howdy,
Marlboroman
Ay Marlboromann,
das ist beeindruckend. Ob du wirklich ein Engel bist wäre aber daran zu messen, ob du wirklich noch nie angetrunken gefahren oder sonstwie illegal unterwegs warst – oder ob du einfach noch niemals erwischt wurdest 😀
In meinen „wilden“ Jahren mit Taunus, Granada und Cadillac bin ich IMMER angehalten worden. Vielleicht war es auch eine Zeit, in der sich die Polizei ansonsten gelangweilt hat und in mir ein gefundenes Fressen sah? Wer weiß. Inzwischen bin ich ja brav…
Schönes Wochenende, ride your horse!
Sandmann
„Haben Sie schon mal pusten müssen…?“
Noch nie im Straßenverkehr, aber 1982 mal am Ellenbogen, ich fiel zuvor hin (Kopfsteinpflaster!).
😀
Ausgerechnet DU hast noch nie pusten müssen? Der Mann, der laut Video schon zum Frühstück sechs Bierchen verdrückt und mir dann auf den Serpentinen den Schweiß unter die Achseln treibt? 😉
Sandmann