Ein Bilderbuch aus dem Süden
Sizilien mit dem Fiat Panda – Teil III
Widmen wir uns einmal den schönen Seiten der Insel 😀
Urlaub ist nicht ausschließlich Skin-Shaping und Lemon-Soda am Strand. Ich möchte auch etwas von meiner Umgebung sehen, und nachdem wir nun einige etwas ärmlichere Aspekte des eigentlich sehr schönen Siziliens beleuchtet haben, fahren wir heute mit dem kleinen Panda auf einen ziemlich hohen Berg. 3300 Meter, um genau zu sein. Oben sind ein paar Löcher drin, und aus denen raucht es ab und an. Der Ätna, regelmäßig Lava spuckender Erdschlund mitten auf Sizilien, ist von unserem Balkon aus gut zu sehen. Vom herrlich grünen Wasser in der Bucht soll uns der schwachbrüstige Fiat nach fast ganz oben tragen, wo Geröll und Asche an der Tagesordnung sind. Das kann man sich hier unten gar nicht so recht vorstellen, und so impfen wir das Navi, nehmen ein paar Reisepflaumen mit und fahren blauäugig – einfach mal los.
Auf, auf und davon.
Nach dem Auffinden eines wunderschönen Lidos in der Bucht von Giardini Naxos fällt angeordnetes Sightseeing nicht sehr leicht. Aber heute ist der Ätna einigermaßen wolkenfrei, und es wurde schon so viel erzählt… Da müssen wir rauf! Wer will schon jeden Tag faul am Strand liegen, kalte Cola trinken und gute Bücher lesen? *grummel*
Auch wenn das Hotel nur 32 kleine, liebenswerte Zimmerchen hat, irgendwie scheint hier jeder einzelne Gast mit seinem eigenen Auto angereist zu sein. Und wieder einmal bin ich trotz aller Dekadenz-Entbehrungen froh, dieses filigrane Fahrzeug mit den gefühlten Außenmaßen eines Kinderwagens gemietet zu haben. Mit jedem Golf wären Sie in diesen Straßen hoffnungslos stecken geblieben. Habe ich schon erzählt, dass ich mit dem Schloss der Heckklappe unser treues Luftmatratzen-Handy getötet habe? Es liegt ermattet im Kofferräumchen, ich habe ein sehr schlechtes Gewissen. Vielleicht kann man es ja noch flicken. Aber da wir heute ohnehin nicht baden wollen…
Schon aus London kenne ich den Anblick eines an den Rückspiegel gezwirbelten Navigationssystems. Damals hatte ich den Saugfuß vergessen und mein halbfinnisches Fräulein Altona freundlich um eine Lösung ersucht. Eine Zigarrenhülse tat weitere gute Dienste. Heute greift sie auf ihren damals erworbenen Erfahrungsschatz zurück und zeigt mit einem nicht falsch zu interpretierenden Blick, was sie von der Tatsache hält, dass ich das Teil schon wieder vergessen habe. Aber was soll ich machen? Ich bin ein Mann! Wir können doch nicht an alles denken, wir sind serielle Wesen! Ich bin doch so stolz darauf gewesen, dass ich meine schicken FlipFlops gefunden und eingepackt hatte…
Die liebe Lisa plappert von nun an munter auf Augenhöhe und zeigt uns jenseits der Autobahnen gedärmähnliche Straßenverläufe, die es schwierig machen, das reichhaltige Frühstück in der Magengegend in geordneten Abläufen zu verdauen. Immer wieder einmal springen selten gewordene Kleinwagenklassiker ins Bild und sind eine wahre Augenweide in dem ganzen rollenden Plastikmüll, der sich nur wenig von den Haufen am Straßenrand unterscheidet. Die Dörfchen werden lieblicher, die Straßen werden schmaler – und die Luft wird spürbar dünner. Immer häufigeres, großmundiges Gähnen kündigt eine beginnende Seekrankheit an und erlöst hin und wieder mit einem satten Knacken die drückenden Ohren.
Denn man täuscht sich, wenn man glaubt, auf den grummelnden Vulkan führe eine elegante Touristenautobahn hinauf. Oh nein. Serpentine für Serpentine schlängelt sich die Buckelpiste durch die immer selteneren Ortschaften. Und alle haben sie ihre eigenen Feste. Zumeist werden rund ums ganze Kalenderjahr farbenfroh katholische Heilige dafür gepriesen, dass der letzte Lavastrom ein paar Meter am eigenen Dorf vorbei geflossen ist und die meisten Häuser noch stehen. Denn der Ätna kennt keine Gnade. Erst 2002 hat er einen ganzen Landstrich und die Seilbahn in eine Mondlandschaft verwandelt!
Optimistische Frohnaturen nehmen die Strecke im T-Shirt und natürlich (so weit oben) ohne Sonnenmilch in Angriff. Mürrisch warf ich heute Morgen noch meine Wachsjacke auf das schlappe LuMa-Handy im Kofferraum und legte mir schon ein paar „Siehste – Brauch-ich-doch-sowieso-nicht“ Sätze für meinen hübschen blonden Planungsfetischisten zurecht, die ich nachher schnippisch hervorholen werde. Hihi. Absurd, zu glauben, man käme aus sonnigen 30 Grad ein paar Meter weiter oben gleich in den alpinen Winter. Okay, ein bisschen frischer ist es hier auf halber Höhe vielleicht, ich mach mal das Fenster zu. Und die Klimaanlage aus. Hui, der Panda flitzt gleich ein bisschen schneller.
Absurd. Wir sind in den Wolken. Wo kommen die denn auf einmal her? Rings um uns herum lässt sich ein brutaler Kampf der Natur mit den ehemals flüssigen Gesteinsmassen aus dem Erdinneren bewundern. Hier sieht es gerade noch aus wie in einer schwarzen Wüste, und eine Kurve weiter fahren wir durch satte grüne Kastanienwälder. Ein bizarres Märchenland mit steil ansteigenden Asphaltpisten.
Nicht jeder Bewohner hat offensichtlich eine Flatrate zu seinem Schutzheiligen gebucht, und so wird dem vorbeiziehenden Automobilisten hier und da vor Augen geführt, welche Urgewalten so ein Vulkan freisetzen kann. Garten? Weg. Bäume? Weg. Haus? Fast weg. „Hallo Herr Kaiser, gut dass wir Sie treffen. Wir haben da einen Versicherungsschaden…“ 🙂 Und die Besiedelung der Hänge des Ätna geht fleißig weiter, obwohl die Seismologen Zeter und Mordio rufen. Man sagt, er werde wieder ausbrechen. Und das nächste mal würde es schlimmer als je zuvor, Nebenkrater und Lavaströme aus den abfallenden Hängen des Berges inklusive. Aber auf die verrückten Wissenschaftler hört man hier ja nicht.
Mit dem Auto oben ist allerdings noch nicht GANZ oben. Von einer Touristenfalle mit gebührenpflichtigem Parkplatz, Nippesbuden und Billigrestaurants auf 2000 Metern Höhe geht es mit einer Seilbahn (und einer erschreckenden Menge Geld) weiter bis auf rund 2500 Meter. Von hier aus kann sich der Vulkanaktivist eines Busses bis auf etwa 3000 Meter Höhe bedienen, oder er ist knauserig und geht schlicht zu Fuß. Das sollte ja kein Problem sein, denke ich mir und ignoriere erneut die skeptischen Blicke meiner schönen Freundin. Außerdem sind die Wolken wieder weg, die Sonne strahlt von einem kristallklaren Himmel und es… nun… ich gebe es ja nicht gern zu, aber es ist… hm… *grummel* es ist kalt…
Na gut, na gut, ziehe ich halt meine Jacke an! Weibliche Weitsicht kann manchmal ganz schön ernüchternd sein, sind wir Männer wirklich permanent merkbefreit? Und natürlich ist es unter normalen, touristischen Gesichtspunkten nicht empfehlenswert, ohne Training bis zum „Torre del Philosopho“ aufzusteigen. Von hier aus hätten wir zwar einen schönen Blick über die Krater, benötigten aber einen Haufen Zeit, Wanderstiefel und trainierte Beinmuskeln… Ergeben wir uns also hier vor Ort der kargen Schönheit aus Asche und Staub.
Standen Sie schon einmal auf einem Vulkan, gar in 3000 Metern Höhe? Die Insel, sofern man von ihr noch etwas sieht, scheint unfassbar weit weg. Alles ist winzig klein, und irgendwo am Horizont ahne ich das Meer. Wie ruhig es hier ist. Keine Bäume, in denen der Wind rauscht. Keine Vögel, die piepend ihr Nest konfigurieren. Es riecht leicht nach Asche und manchmal nach verschwitzten Bergsteigern. Der kalte Wind zerrt in Böen an den Haaren. Dies ist eine andere Welt. So muss es bei der Entstehung der Erde gewesen sein, und ich bin ganz froh, dass ich damals nicht dabei war. Ich bin eigentlich auch ganz froh, dass ich genötigt wurde, die Jacke mitzunehmen, trotz der ich ein bisschen fröstel. Und die Luft scheint auch recht dünn, ich fühle mich kurzatmig. „Schatz, wollen wir nicht wieder runter an den Strand…? Die Südseite des Vulkans soll ja ebenfalls mit attraktiven Landschaften nur so um sich werfen!“ Sie lächelt.
Ciao, du großer, wunderschöner, grauer Berg. Ein bisschen weiter unten, wenn die Wärme langsam wieder in die sonnenverbrannten Arme zurückfließt, mag man gar nicht mehr glauben, durch was für eine fremde Welt man gerade gelaufen ist. Unser Pandamobil seufzt ebenfalls hörbar, als die steil abfallenden Serpentinen wieder einigermaßen ebenen Pisten weichen und dem Motor und den Bremsen ein paar Pausen gönnen. Üppige Zitronenhaine, Olivenwäldchen und Apfelbäume krallen sich in die enorm fruchtbare Vulkanerde und trotzen der Trockenheit und der Möglichkeit eines weiteren Ausbruchs. Man wird sehen.
Was ich hier wirklich großartig finde: An jeder erdenklichen Ecke stehen die schon erwähnten Frucht-Mobile, und man bekommt frisches Obst gegen wenig Geld direkt auf die Hand. Backbordpflaume und Steuerbordpflaume reihen sich nahtlos in das biedere europäische Cockpitdesign der röhrenden Flohkiste ein, eigentlich fehlt hier im Lande der Heiligen nur noch eins: Eine Dashboard-Madonna. Ein hübsch anzusehendes Figürchen, das irgendwo im Cockpit über uns wacht. Schließlich hat uns der Schlund nicht verschluckt, und die wesentlich gefährlicheren italienischen Verkehrsteilnehmer hatten ebenfalls noch nicht einen einzigen Blechkontakt mit unserem Auto. Das ist irgendwie schon religiös. Tja. Eine Madonna. Sowas wird hier doch vermutlich noch irgendwo erwerbbar sein…
Aber für heute genug der Natur. Hier zeige ich Ihnen noch einmal den kleinen Schlingel, der zwar eine nennenswerte Kälte im Inneren des Pandas zaubern kann, aber als Gegenleistung immer den Motor aus dem Leerlauf in den Stillstand würgt. So ein Flegel. Wobei dieser Motor aber auch nicht so aussieht, als könne er der komprimierenden Fraktion viel Kraft entgegen setzen. Ich weiß gar nicht, was für eine Motorisierung wir eigentlich gebucht haben, aber zum Fahren reicht’s. 🙂 Und vor allem ist mir der Panda inzwischen ein bisschen ans Herz gewachsen, weil er wirklich alles mitmacht und eine simple, übersichtliche Technik drin hat. Pluspunkte im Zeitalter von elektroniküberfrachteten schweren Limousinen.
Baden? Nein, heute nicht mehr. Der Tag war wunderschön, aber auch anstrengend. Die Höhenunterschiede zerren am Kreislauf wie ein Klimakompressor am Motor, der Hunger nagt große, lavagefüllte Risse in den Magen und die Krater in meinem Selbstbewusstsein ob der Jacke und der Sonnenmilch muss ich auch erst einmal wieder mit vorausdenkendem Urvertrauen füllen. Und Sie wissen ja, als Mann ist das gar nicht so leicht. Fazit: Immer auf die Frau hören, meistens hat sie am Ende des Tages recht. Bald ist der Urlaub schon wieder vorbei – ich kann das gar nicht glauben und werde ein bisschen traurig. Aber hey – heute Abend lungern wir noch ein bisschen auf dem riesengroßen Bett mit Blick aufs Meer rum, mampfen Chips und luftgetrocknete Wurst, trinken kalten Weißwein und gucken ein paar Folgen von den „Sopranos“ auf dem Klapprechner.
Das Leben ist schön 🙂
Sandmann
Hi than,
ich merke auch bei dir eine gewisse Einkehr, die der Ätna in seiner Stille, oder wegen ihr, von dir fordert. Das geht mir jedes Mal dort oben GENAUSO! Irgendwie fühlt man sich ganz klein, ganz unwichtig und ganz unfähig, kommt gewissermaßen back to the roots, stimmt’s? Ich nenne das BEEINDRUCKT!
Als wir im Juli dort waren, herrschten am Meer in Porto Palo (rd. 300 km westlich vom Vulkan) an dem Tag 38°C, dort oben waren es 18,5°C. Unsere mitgebrachte Sizilianerin, die dort oben in ihrem ganzen Leben noch nie war und den Mund gar nicht wieder zu kriegte, sprach anschließend von Winter! Ihre Aussage über diese Temperatur wollte nicht mal ihr über achtzigjähriger Vater abends begreifen – erst durch unsere Bestätigung glaubte er es dann.
Zur Dashboard-Madonna will ich noch eben etwas erwähnen: es ist auf Sizilien üblich, Autos zu segnen! Zum Beispiel die (natürlich katholische) Kirche San Galogero in Sciacca bietet diesen Service an. Natürlich gegen Bares besprenkelt der Pope das Fahrzeug (muss nicht mal neu sein!) und als Beweis des Segens klebt er dir dann einen Madonnenaufkleber hinter die Windschutzscheibe auf dem steht, dass dieses Fahrzeug jetzt eben von der Madonna (also jetzt nicht Madonna Louise Ciccone) beschützt wird.
Dabei muss ich immer an Otto Walkes denken: „… und ist seitdem noch nie mit einer anderen Orgel zusammengestoßen“
Ciao
El
Ay El,
die segnen mir das Auto? Klasse… Aber das würde ich nur mit meinem eigenen machen, der Miet-Panda hat das nicht verdient 🙂
So eine Madonna haben wir selbstverständlich erworben, eine steht nun in meinem V8 und eine hängt als Triptychon vor meinem Badezimmerspiegel. Hach. Aber dazu später mehr.
Bis dahin muss ich langsam mal das Sizilien-Wetter-Widget von meinem Desktop löschen. Durchschnittlich 10 Grad mehr und Sonnenschein machen einen sehr, sehr nachdenklich…
Sandmann
Tach Sandmann,
was für eine schöne, karge Welt. Deine Reiseberichte sind eine super Unterhaltung, ich lach mich in jedem Absatz scheckig und habe das Gefühl, dabei gewesen zu sein! Danke…
Abel
Ay Calimero,
ja, die Welt da oben war SEHR karg. Schön, dass du die Berichte magst, sie fangen erfahrungsgemäß immer nicht sehr viele Kommentare 😉 Aber fühl dich nicht nur so, als wärest du dabei gewesen, sondern tank deinen Golf voll und fahr da einfach mal hin!
Sandmann