Grüäzi z’amme,
es klingt doch wahrlich nach einer großartigen Herrentour: 4 Tage quer durch die Schweiz, nur ich und der V8, und vor Ort drei lang erwartete Veranstaltungen der ausschließlich angenehmen Art! Je nach Affinität zum eigenen Automobil kann auch ein selbst gefahrener Weg über 1000 Kilometer zum asketischen Erlebnis werden. Also ICH mag’s, das hat sich wohl hier schon herumgesprochen. Meine erste Etappe geht von Hamburg nach Einsiedeln am Sihlsee, wo in einem ufernahen Haus ein Geburtstag im Kreise der V8-Gemeinde gefeiert wird. Auch Blog-Prominenz hat sich angekündigt, mrlifeguard und barolo sollen am Freitag Abend mit von der Partie sein. Freude, wenn – ja wenn da nicht diese 1000 Kilometer und ein heftiger bundesweiter Schneefall wären…
Was in der mittleren bis südlichen Bundesrepublik Deutschland weitläufig als „Schnee“ bezeichnet wird, nennt man hier oben in Schleswig-Holstein und Hamburg „Matsch und Regen„. Schnee, echter Schnee ist zwischen den Meeren eher selten. Finde ich am frühen Freitag Morgen noch mein Auto unter einer romantischen weißen Mütze wieder, wandelt sich das Bild auf der A7 dramatisch. Trotz Minusgraden sprüht wässrige, salzige und schmutzige Gischt auf die Scheibe. Es ist grau in grau bis Göttingen, und nur der warme, schöne Nachtgeruch des halbfinnischen Fräulein Altonas in meinem Shirt verhindert eine spontane Winterdepression. Ja, will denn diese kalte Jahreszeit niemals aufhören? SMS piepen rein, das Geburtstagskind wünscht mir eine gute Reise und Meg (die einzige V8 fahrende Frau, die ich kenne) berichtet aus München von Schneefall in der gesamten Republik…
Es ist tatsächlich nicht so, dass ab Göttingen das Wetter nennenswert besser werden würde. Nein. Hier schlägt man sich mit ganz anderen Naturkatastrophen herum. In dem Moment, wo der TMC Empfänger meines TomTom eine Vollsperrung der A7 bemerkt, schlidder ich auch schon fluchend an das Stauende heran. Und jetzt stelle ich Ihnen einmal eine fast schon philosophische Frage: Wenn Sie Brückenbauarbeiten vornehmen wollten, die die kurzfristige Sperrung einer bundesdeutschen Hauptverkehrsader für 2 Stunden erforderten… wann würden Sie das machen? Genau! Freitag Mittag! Willkommen bei der Bauleitung, wann können Sie anfangen? So stehe ich mit zahllosen Leidensgenossen direkt zwischen „hier winken wir Sie raus“ und „hier geht es jetzt nicht weiter“. Lisa, mein Navi, fragt mich mit jeder neuen eingehenden Verkehrsmeldung, ob sie die Route an der Sperrung vorbei planen soll. Wie lieb von ihr. Zärtlich verneine ich jedes mal und warte brav vor mich hin parkend bis um 12.00 Uhr, wo wie vom Verkehrsfunk prophezeit die Straße wieder freigegeben wird. A7, Freitag Mittag! Ich muss das nicht verstehen, oder?
„Sandmann, wann bist du denn da?“ fragen mich die sms’s vom Doc und von barolo. Lisa orakelt auf Höhe Stuttgart eine Ankunftszeit in Einsiedeln um 19.00 Uhr, also lege ich mich so bei 20.00 Uhr fest. „Ich will noch ein paar Fotos in Zürich machen„. Hier ist der Wunsch der Vater des Gedanken. Züüri am Freitag Abend? – Vergessen Sie das. Für eine 12 Kilometer lange Route durch immerhin sehr bekannte Straßen brauche ich schlanke 60 Minuten. *nerv* Zu allem Überfluss warte ich seit geraumer Zeit auf ein telefonisches herzbalsamierendes Lebenszeichen meiner Halbfinnin. Stop. Go. Stop. Go – Ups, ein wenig zu doll aufs Gas gegangen, der Audi hüpft nach vorn und mein Telefon fällt… unter den Beifahrersitz! Das finden Sie nicht schlimm? Dann fahren Sie keinen Audi V8 mit elektrischen Sportledersitzen! Wenn da etwas drunter rutscht, ist es weg. Nahezu für immer. Das wäre nicht so schlimm, würde das verlustige Gerät nicht in dem Moment auch noch klingeln! Selbst mein verzweifeltes Ausscheren auf die Busspur, um neben der offenen Beifahrertür knieend unter dem Sitz wie im Gebet herum zu nesteln, wird vom rapide näher kommenden wild hupenden Bus abgebrochen! Was ist hier eigentlich los?
Nach vielen weiteren, mich in höhere Berglagen bringenden Serpentinen erreiche ich eben jenen Damm über den Sihlsee, der mir schon bei meiner spektakulären Landung mit dem Flugsimulator im Weg war. Ich fahre darüber und blicke durch das herunter gelassene Fenster in die Dunkelheit. Keine Flugzeuge zu hören. Es ist eiskalt in der Region um Einsiedeln. Nach nun fast 12 Stunden Fahrt erreiche ich das Treffen im schönen Kanton Schwyz und erahne eine dunkle Bergsilhouette. Am Ende einer Reihe geparkter rollender Schätzchen mit mehr oder weniger vier Ringen kommt mein LPG getriebener Bolide zum Stehen. Angekommen! Doktor Schlunz empfängt mich – Whiskey einschüttend – in der erleuchteten Tür. Da sind sie ja alle 🙂
Eine nette Lokation hat man hier mit Roy’s Hilfe am Ufer des Sihlsees angemietet. Im Sommer offensichtlich als öffentliche Badestelle missbraucht, findet sich hier alles, was das langstreckengeplagte Partyherz begehrt. Eine Küche, in der das scharfe Chili schon vor sich hin köchelt (und wo geraucht werden darf), ein großer teppichbelegter Raum im Obergeschoss mit schicken orangen Stühlen für den späteren Abend, dreifach Etagenbetten 😀 und jeder Menge Schnee zum Bier kühlen. Der liegt allerdings draußen. In unserem aktuellen Fall ist bei der Schneemenge die Tendenz steigend, bei der Temperatur die Tendenz fallend. 12° minus! Es soll die kälteste Nacht in der Schweiz in diesem Winter mit vereinzelt -33° in einigen Hochlagen werden!
Hat barolo sich noch erheitert schimpfend ob meiner zu geringen Flughöhe über Zürich beschwert, macht er nun Nägel mit Köpfen und zückt seine (echten) Flugkarten. Der Mann fliegt tatsächlich und weiß offensichtlich (im Gegensatz zu mir), worum es bei den Starts und Landungen geht. Spannend, ich habe so etwas noch nie gesehen! Andere Gespräche drehen sich natürlich um Autos, um Frauen und was Mann sonst noch so in einer reinen Herrenrunde zu besprechen hat. Sie kennen das ja. Wenn sich Gleichgesinnte treffen… Ein paar beherzte Gitarrenakkorde schallen im weiteren Verlauf des Abends durch das obere Zimmer. Lustig, der Genuss von Genussmitteln verursacht doch nennenswerte Textlöcher, und plötzlich schlägt die Uhr halb vier. Gute Nacht Schweiz. Ich krabbel mal in mein unteres Etagenbett und freu mich semi-euphorisch über 10 schnarchende Männer…
Guten? Morgen. Ich bin tatsächlich wieder in der Schweiz. Irgendwie ist das noch nicht so ganz bei mir angekommen, vielleicht ist auch ein wenig Melancholie in der viel zu kurzen Nacht wieder vaporisiert worden. Der graue Tag begrüßt uns mit kräftigem Schneefall, und die ersten losen Verabredungen zum Quattro-Rodeln werden unter den wieder Auferstandenen getroffen. Ich erkunde derweil einmal die nahe Umgebung in der Hoffnung, einige Parallelen zu meinem Flugsimulator Abenteuer zu entdecken. Der Schneefall jedoch lässt direkte Vergleiche nicht wirklich zu. Märchenhaft ist es hier oben so oder so, und fast finde ich es ein wenig schade, nachher weiter fahren zu müssen. Die eigentliche Party hier vor Ort ist erst heute Abend, aber da bin ich schon beim Remo in Hallau zum traditionellen Chasfondue mit den Audi 100 Typ 44 Jungs eingeladen!
Nein, bei aller Romantik, das ist mir zu kalt! Und nach Driften und Cruisen auf dem nahen Rodelberg ist mir ehrlich gesagt auch nicht, vielmehr schreit mein Verstand nach einem heißen Kaffee und vielleicht einer frischen Backware, bevor ich mich wieder in die Nordschweiz aufmache. Ob man hier irgendwo im Umkreis von 20 Kilometern so etwas erwerben kann? Ich habe ja nicht einmal Fränklis dabei… Das Problem löst sich mittelfristig durch das Auftauchen der Schmiede-Crew. Die Herren Carsten & Co. rollen mit einem V8 und einem Chevy Pickup an, wobei letzterer noch quer auf irgendeiner abgelegenen Rodelpiste steht, die er nicht hoch gekommen ist. Und ich sag doch immer: In eurem Navi niemals „Kürzeste Strecke“ eingeben! Woll?
Die einkaufswilligen Schrauber managen das Herbeischaffen bemerkenswerter Mengen an Wurst, Käse und Bürli, was der leicht nachdurstigen Menge ein optimistisches Lächeln ins Gesicht zaubert. Heute Morgen war mein erster Anblick noch der gute Manfred, in Unterhose am Tisch sitzend, Spreewaldgurken essend und Rotwein trinkend. Jetzt klart sich die versammelte Menge zu einer fachkompetenten Frühstückscommunity auf. Vorn rechts sehen wir messerschwingend mrlifeguard, der studiumsbedingt momentan nicht so oft hier im Blog ist. Und er hat Microfasertücher mitgebracht! Da kann ich natürlich gleich mit einem Kassendisplay Caramba Magic Wonder kontern, einer revolutionären alles könnenden Sprühpolitur. Die Autos wollen ja gepflegt werden. Wetterbedingt können wir das nicht direkt testen, hat irgend einer von euch die inzwischen einmal ausprobiert? Ich bitte um Berichterstattung!
Auch die dicksten Dinger haben ihre Schwächen. Trotz brutalem V8-Sound und brachialer Country-Südstaaten-Optik kann der Chevy der Schmiede nicht über seinen Heckantrieb hinweg täuschen und bewegt sich trotz Vollgas quasi nicht von der Stelle. Erst mit viel Gebuddel und Geschiebe schwirrt der Kleinlaster träge durch den vereisten Schnee und gibt das Feld frei. Denn ich stehe mit meinem Auto irgendwo ganz vorn und begehre Durchlass. Hallau in der Nordschweiz lockt mit Käse, Rotwein und weiteren Benzingesprächen. Vor mir liegt eine verschneite Stunde Fahrt, aber das wird eine andere Geschichte. Diese Veranstaltung jedenfalls war ein klasse Auftakt für das lange Wochenende. Viel Audi, viel lachen, viel reden und viel Schnee. Und erfahrungsgemäß bringen meine Reiseberichte nicht viele Kommentare, weil sie weder provozieren noch zum Diskutieren anregen. Hm. Was mach ich denn jetzt…? Ist hier vielleicht jemand, der mir erzählen kann, was am Samstag noch alles so passiert ist, nachdem ich weg war??? Oder kann mir jemand sagen, was ewig lange Telefonate über Vodafone von der Schweiz nach Hamburg kosten?
Folgen Sie mir driftend auf den Weinberg! Man liest sich!
Sandmann