Liebe Blog-Gemeinde,
es steht eine Zeit der Nachdenklichkeit ins Haus, vielleicht, weil schon bald wieder Weihnachten ist, vielleicht, weil einfach gerade jetzt Dinge passieren, die nicht immer schön sind, vielleicht, weil ich merke, dass ich älter werde. Und vergänglich bin. Es gibt einen Platz in diesem Land, wo ich zwei Sommer meines Teenager-Daseins verbracht habe. Wo ich mit meinem ersten eigenen Auto, gerade mal 15 Jahre alt (warum sind meine Eltern nicht eingeschritten???), fahren gelernt habe, und wo sicherlich die Wurzeln einer Autovernarrtheit gewachsen sind. Im Jahr 2007 bin ich an diesen Platz zurück gekehrt, nach über 20 Jahren zum ersten mal. Eigentlich fast durch Zufall. Und die wilden 80er Jahre sind wieder da.
Ein Gutshof mit Ländereien zwischen der B404 von Segeberg nach Kiel und Ascheberg. Hier wohnte damals eine Klassenkameradin aus meinem Jahrgang. Hier fahre ich heute wieder vorbei, weil in Ascheberg meine damals fast 96 Jahre alte Oma wohnt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Seit 20 Jahren bin ich nicht mehr an dem Wegweiser zum Gutshof vorbei gekommen. Hier haben wir meinen Ford Taunus, 1986 als 11-jähriges altes Auto für 100,- Mark gekauft, abstellen dürfen. Der Ablauf war zwei Sommer lang immer der gleiche: Zu zweit oder zu dritt setzen sich 15 – 16jährige Jugendliche, meist Sonntags, auf ihre Fahrräder. Einer (ich) hat einen gelben 5-l-Kanister dabei. An der Tankstelle in Ascheberg kaufen sie 5 Liter Super verbleit und fahren damit zu jenem gelbem Ford Taunus, kippen das gute Super in den Tank und machen einen ganzen Nachmittag damit die umliegenden Feldwege (alles Privatgelände, alles ohne Gefahren für Leib und Leben) unsicher. Die drei lernen wie von selbst fahren, werden von Woche zu Woche mutiger und wagen auch schon mal einen Drift durch die versandeten Wege. Hier lernen wir die Beherrschung eines heckgetriebenen Fahrzeuges in Kurven und Extremsituationen, hier lernen wir das Bergen eines sich der Beherrschung entziehenden und ins angrenzende Feld gedrifteten gelben Großserienfahrzeugs, hier sind wir drei Freunde fern vom schulischen Alltag und unseren Eltern. Ein Paradies.
Ab und an hatten wir den Fotoapparat dabei (liebe Kinder, das war so einer, wo man nicht gleich sehen konnte, wie das Bild geworden ist, und man musste die Fotos ENTWICKELN lassen) und haben vor den Ölpumpen, die hier in Schleswig-Holstein weit verbreitet waren, posiert. Oder einfach banale Bilder gemacht, beim Reparieren des gebrochenen Lichtmaschinenhalters, beim Nachfüllen von Kühlwasser mit dem Gartenschlauch (Wacki, weißt du noch?) oder beim Flicken eines abgerissenen Endschalldämpfers. Die Sommer schienen kein Ende zu nehmen, sie waren warm und ohne Wolken. Mädchen waren sicherlich sekundär irgendwo vorhanden, aber wir drei hatten den Taunus und unseren ganz eigenen Road-Movie. Bis es dämmerte und wir wieder zurück mussten, nach Hause, zum Abendbrot.
Nun gut. That was then. Heute fahre ich die lange Allee entlang wie vor 20 Jahren, allerdings nicht mit einem Fahrrad und einem gelben Kanister auf dem Gepäckträger. Sondern mit einem 300-PS-Auto mit Allradantrieb und 4.2 Litern Hubraum, das fast 2 Tonnen wiegt und damals noch gar nicht geplant war. Jeeesus, 1986 hatten die gerade mal den V8 in der Pipeline, vom A8 aus Aluminium hat man noch nicht mal geträumt!
Alles ist anders. Der Platz, an dem „Charlie“ (so habe ich den Taunus genannt) Tag und Nacht stand, ist jetzt eine schlichte Rasenfläche. Nichts erinnert mehr an den zugewachsenen Ort unter den Pappeln, neben zwei alten MAN Militärlastern. Ich komme mir ziemlich komisch vor und schalte das Abblendlicht aus, als ich in „unsere“ damalige Fahrstrecke einbiege, ein langgezogener Weg zwischen den modderigen Erdbeerfeldern.
Zunächst noch auf Asphalt (heute mit jeder Menge Laub und Ästen übersäät) an einigen Gutshäusern vorbei führend, dann übergehend in einen holperigen Feldweg. Ich kenne noch jede Bodenwelle, so viele Male habe ich diesen Untergrund erfahren, so viele Male hat der Taunus seinen Blues auf diesen Pfaden gesungen! Da lief uns ein Reh vor den Kühler! Dort ist uns der Endschalldämpfer abgerissen. Hier konnten wir immer bis in den dritten Gang schalten. Ich bin wieder 16 Jahre alt, aber irgendwie ist das Gefühl bitter. Ich halte an der Stelle an, wo 1986 das obige Bild, wo ich mich aus dem hinteren Fenster lehne, entstanden ist. Der Schotterweg ist inzwischen zugewachsen, hier kommt nur noch selten jemand vorbei. Jeder Baum sieht mich an und fragt mich, was ich hier eigentlich will. Ich suche was. Aber hier kann ich es nicht mehr finden.
Die Ölpumpen, die den Wendeplatz so herrlich in ein „Dallas“-Ambiente getaucht haben, sind alle abgebaut. Es hat sich wohl nicht gelohnt. Am Ende der Strecke, wo die große Förderpumpe vom Titelbild stand, stehen jetzt ein paar Bienenstöcke. Mich überkommt eine unglaubliche Traurigkeit. Das Leben geht weiter, auch wenn man nicht vor Ort ist. Der gelbe Taunus ist eines Tages einfach verschrottet worden, vermutlich haben wir seinerzeit einige Anwohner mit unseren motorisierten Sonntags-Ausritten genervt. Erst wurde er kaputt gehauen, dann war er einfach weg. Jetzt blicke ich über die Felder wie damals und frage mich, wo die Jahre geblieben sind. Und träume mich zurück in das Jahr 1986, wo meine größten Sorgen bevorstehende Physik-Klausuren und das Erscheinungsdatum der neuen Schülerzeitung waren…
Mit einem „PLOPP“ hole ich mich zurück in das Jahr 2007, 21 Jahre nach diesem Sommer mit dem Taunus. Damals war es erst sechs Jahre her, dass meine Eltern sich getrennt haben. War Challenger eigentlich schon explodiert? Egal – 1986 ist der erste Wein gekeltert worden, der mir je etwas bedeutet hat. Ein Château de Mornag aus Tunesien! Ich lege den Mantel der Vergangenheit wieder zurück und lasse das gelbe Auto in Frieden ruhen. Und auch alle Geschichten, die mit dem Auffinden des Fotoalbums wieder hoch gekommen sind. Die Plätze sind noch da. Sie sehen anders aus, aber das tun wir ja auch. Denken Sie auch manchmal an damals? Was auch immer da war? Ich schließe mit einigen Worten von Patti Smith, seinerzeit …
„Summer has gone, I can’t believe. It went so fast. Why do only the cold and lonely times seem to last?“
Sandmann
Hey Jens
Ich nehme Dich jetzt einmal virtuell in den Arm und drücke Dich ein wenig.
Jeder von uns wird älter. Ich sehe es an meiner Tochter bzw. meiner teilweise angedeuteten Kurzatmigkeit (ich sollte weniger rauchen).
Ich bin jetzt 35 und habe hoffentlich weniger als die Hälfte meines Lebens gelebt. Die schönste Zeit, auch wenn man es damals nicht glauben wollte, war doch die Schulzeit. Man hatte eigentlich keine Verantwortung zu tragen. Man lebte und hatte Spaß. Alleine oder mit Freunden.
Meine Freunde von damals, habe ich in diesem Sinne nicht mehr. Mit den „alten“ habe ich mich auseinander gelebt, oder sie sind einfach nicht mehr da.
Dafür habe ich neue Freunde gefunden. Solche die mit mir die gleichen Interessen teilen, oder solche wo die Einstellung zum Job und zugesagter Hilfe stimmt. Wo man Abend’s aufschlägt und spät des nacht’s wieder vom spontanen Grillen wegfährt. 🙂
Oder sich halt zum schrauben trifft und Benzin und Männergespräche führt.
Mein lieber. Das Leben ist, auch wenn man der Meinung ist das es völlig eingefahren ist, daß reinste Abenteuer. Als Erwachsener sieht man dies wohl etwas anders. Logisch. Man ist halt erwachsen und eine Tour zum Baggersee ist ganz normal. Meine kleine Prinzessin würde Kopf stehen. Abenteuer pur.
Wir „alten“ klammern uns halt an die guten, alten, Zeiten. Kehren gedanklich und auch sehr real immer wieder an die Orte zurück wo noch alles im Lot war. Orte wo wir glücklich waren und wo wir uns so richtig ausleben konnten.
Ich persönlich werde den alten Hof auf den ich aufgewachsen bin wohl nicht mehr besuchen. Es hat sich zuviel verändert, laut meiner Schwester. Nur ein Beispiel. Die alte „Obstplantage“ mit wirklich zig Bäumen gibt es nicht mehr. Abgeholzt für den Kamin. Ein absoluter Frevel in meinen Augen
V8 mäßige Grüße
Markus der jetzt wieder nach vorne blickt
Ay Markus,
ich kehr ja bekanntermaßen ganz gern wieder mal zurück und kann anschließend besser nach vorn gucken. Vermutlich ein gefundenes Fressen für jeden Psychotherapeuten. Nun ja.
Entschleunigung. Das ist mein Stichwort. Das schaffe ich mit dem KaSi und den alten Bildern und den alten Freunden und den alten Orten. Langsame Gedanken. Älter werden ist gar nicht so schlimm, wenn ich mich damals so ansehe… dann sah ich echt scheiße aus 🙂 Dann lieber mit grauem Bart und mit Hut.
Im schnellen unverbindlichen Alltag gibt es wenige Momente zum Durchatmen. Das ist okay und wird nicht langweilig, aber diese Auszeiten nimmt sich jeder auf seine Art. Und meine liegen in der Vergangenheit. Und wenn die Akkus wieder voll sind, komme ich zurück und reiße weiter an der Schnur des Lebens. Volltanken und immer weiter fahren. 🙂 Da ist noch ein langer Highway…
Sandmann
Moin Jens,
ich finde: das macht einen Menschen aus! Die Zukunft ausrichten an den Gedanken über die Vergangenheit. Das ist der Weg auf den Psychotherapeuten ihre Patienten zu bringen versuchen, wenn es im Leben hakt.
Zeit und Muße zu haben, über seinen Standpunkt nachzudenken, sich selbst zu finden, auch sich selbst kritisch zu betrachten.
Die Menschheit krankt daran, dass ihr für diese ganz persönlichen Gedenkminuten kaum noch Platz gelassen wird.
Wie z.B. der wummernde Bass des tiefergelegten GOLF vor der Eisdiele. Immer weiter. Bloß keine Pause, sonst kommt man womöglich ins Nachdenken über das, was man da tut. Es könnten ja peinliche Gedanken werden. Bummbummbummm…
Du schreibst da von sympathischen Gedanken. Mag ich! Und stelle fest: geht mir genau so!
Das ist okay so!
Graumelierte Grüße
El
Danke, Herr Gigante.
Salbende Worte von einem, der immer seine Gedanken den anderen mitteilt und damit bestimmt auch oft aneckt. Aber dafür weiß man vermutlich nach einiger Zeit ziemlich genau, woran man ist…
Ich brauche diese Auszeiten wie die tägliche Sonne. So gesehen richte dich darauf ein, hier noch mehr in dieser Richtung zu lesen. Na ja, und die K70 Geschichte kennst du als Eingeweihter ja bereits 😉
Sandmann
Hi Jens
Da bist du nicht allein. Ich schwelge gerne mal in der Vergangenheit. Und ja, auch ich fahre gerne mal an Orte wo man seine Kindheit oder die Zeit danach verbracht hat. Sei es mit alten Freunden oder den Eltern. Früher war es das absolute Hilight als meine Leute, ich, mein Kumpel und seine Leute zusammen mit dem Trabbi, später Skoda an die Ostsee getuckert sind 🙂 da denke ich echt gerne zurück. Und ich frage mich auch wo die Zeit geblieben ist. Das ist nun auch gute 20 Jahrer her. Das letzte mal als ich an diesem Ort war, war es mit meiner langjährigen Freundin (Heiraten?) kommt noch 🙂 aber diesmal im Passat B6 und weniger als 10 Stunden Anreise. Ja die Zeit hat einiges verändert.
Wie den alten Steinbruch, bei uns mitten im Wald, den wir damals als Kinder unsicher gemacht haben. Erst mit dem Fahrrad da hin, was auch eine gute Stunde damit entfernt war. Machchmal auch zu Fuß. Das war damals ein richtiges Abenteuer.
Oder mit Kerzen und Streichhölzer, die man sich heimlich von zuhause geklaut hat ab in die Karl-May Höhle die sich Nähe des Steinbruchs befindet. Heute ist da alles ziemlich zugewachsen. Überall wuchern meterhohe Birken den Himmel entgegen, und es sieht alles irgendwie anders aus.
Unser altes Stadtbad, was es jetzt nicht mehr gibt…. Da gibt es so viele Dinge wo man sich zurück erinnert. Oder den “bösen alten Opa“ der gerne mal Wasser aus den Balkon gekippt hat, weil die Kinder unten zu laut auf der Wiese gespielt haben. Das war auch ein dolles Ding. 🙂 Wir sind da mal auf die Idee gekommen, dem eine Wasserstofftablette vor die Tür zu legen. Und das haben wir auch gemacht. 🙂 einer hat draufgespuckt und geklingelt. Mann sind wir die Treppen runter gerannt. Das hat ganz schön gequalmt. 🙂 Später durften wir uns nacheinander beim Abschnittsbevollmächtigten bei der Volkspolizei melden. 🙂 mann das waren Zeiten.
Also ich erinnere mich gerne wieder an die “gute alte Zeit“ irgendwie war die Welt da noch richtig in Ordnung.
In diesem Sinne….
Ay Rene,
zu Fuß und mit Kerzen zur Höhle… klasse. Kennst du den Film „Stand by me“? Eine Stephen King Adaption? Wenn nicht, der wird dir gefallen. Leih ihn mal aus und guck ihn einfach, ohne dich vorher schlau zu machen…
Ich habe vor drei Jahren oder so mal einen Wald bei Uelzen, wo ich aufgewachsen bin, durchstreift. Da haben meine Großeltern damals immer Blaubeeren gepflückt, und ich bin durch das Dickicht getobt. Ich erinnere mich an eine alte Kutsche, so einen Vieacker (heißen die so?), die da langsam vor sich hin moderte… Im Jahre 1986 (schon wieder) habe ich die Reste mit meinem Freund Binz noch wiedergefunden. Ich war mir dieses mal eigentlich sicher, die Stelle grob wieder zu erkennen, aber die Kutsche fand ich nicht mehr. Schade. Vielleicht ist sie inzwischen eingeebnet und moosbewachsen, vielleicht haben Waldarbeiter sie auch einfach mal irgendwann entsorgt.
Vor lauter Frust habe ich dann unsere alte Höhle und unser Baumhaus in einem anderen Wald gesucht und – beides in Überresten noch gefunden 😀 Es riecht da noch immer genau wie früher, nach Moder und Kiefernharz… Okay, neben dem Baumhaus steht jetzt ein großes Eiswek von Schöller und direkt neben der Höhle und dem Baum, in den ich meine ganzen Verliebtheiten eingeritzt hatte erhebt sich ein namhaftes Gewerbegebiet. Aber ist noch alles da, nur nicht mehr GANZ so versteckt 😉
Ich muss da mal wieder hin…
Sandmann
Den Film “Stand by me“ kenne ich. Der steht mit bei meinen DVD Sammlungen, und der gefällt mir auch richtig gut. Irgendwie will man da wieder kind sein.
Was ich noch richtig klasse finde, sind eben die alten Autos bzw. Fahrzeuge aus der “guten alten Zeit“ Ich hab mir den Winter über vorgenommen eine alte Simson s51 wieder neu aufzubauen.
Ich freue mich schon auf den nächsten Sommer.Irgendwie haben alte Fahrzeuge was mit Zeitmaschienen gemeinsam. oder klingt das vieleicht zu komisch ?
Mfg Rene
Nicht komisch, überhaupt nicht.
In meinem alten Granada liegt noch immer die Dropsdose, die ich damals auf dem Weg zur Comicausstellung in Hamburg leer genascht habe. 1994. Und die Plakate der Ausstellung sind auch noch auf die Türen gekleistert. Alles noch da 🙂 Na wenn das keine Zeitmaschine ist…
Sandmann