Teil I. Der Kauf.
Ay liebe Gemeinde,
was bringt es, wenn man nur träumt und wartet und in der Vergangenheit herumstromert – aber es bei den Träumen belässt? Wer es nicht gelesen hat, klickt einmal hier… ich verlasse kurzzeitig die Welt der komfortablen 8 Zylinder auf der Suche nach der eigenen Kindheit. Und treffe auf eine ganz besondere, noch nicht ausgestorbene Spezies. Die K70-Besitzer, organisiert in Clubs und Interessengemeinschaften, hilfsbereit und voller Enthusiasmus. Schnell kristallisiert sich bei meiner Suche nach dem geeigneten Automobil heraus, dass es entweder billige total verrostete Möhren oder top restaurierte 5000,- Euro Exemplare gibt. Irgendwo dazwischen kursiert einer, der auch schon bei „Die Ludolfs“ eine Gastrolle hatte. Baujahr 1971, goldgelb, fahrbereit und in Dortmund. Und den wollen Andinho und ich heute vielleicht kaufen und auch gleich mitnehmen…
Das Inserat im Internet verspricht eine gute Basis für das Projekt. Import aus der Schweiz, gut im Blech, Technik gesund, „braucht nur eine technische Durchsicht und eine neue Lackierung„. Hm. Nun. Dichtung und Wahrheit liegen bei Oldtimern immer dicht beieinander. Aber ich bin gern bereit, ein wenig Arbeit zu investieren. Der internationale K70 Club kümmert sich schon jetzt um mich, bietet mir die K70-Post und einen großen Teilefundus an. Schon habe ich nach einem Gesuch auf der Internetseite Mailkontakt zu einigen Mitgliedern und bekomme hilfreiche Tipps. So schwer kann diese Aufgabe doch gar nicht sein, mein Interesse steigt…
Ich nehme mir prompt einen Tag frei, schlafe ungewohnt schlecht vor lauter Aufregung und hole meinen außerordentlich gut aussehenden und durchtrainierten Freund Andinho [sprich: Andinio] um 6.00 Uhr in der Frühe aus dem Bett. Wir müssen zu Tomy und seiner Citroen-Garage im sonnigen Dortmund, noch vor 12.00 Uhr, um dann gegebenenfalls bei der Zulassungsstelle ein Kurzzeitkennzeichen zu erwerben und den KaSi gleich mitzunehmen… Andinho ist müde, aber begeistert, wieder mal eine echte Männertour, autogucken, schön das, aber es ist irgendwie echt früh…
Kaffee trinkend, bei McDonald’s frühstückend und nicht enden wollende Männergespräche führend lassen wir uns im gediegenen und komfortablen sitzbeheizten A8 von Kathrin (meinem TomTom) zielstrebig sagen, wo es lang geht. Wobei ich die A1 hier in diesem bereich wie meine Westentasche zu kennen glaube…
11.30 Uhr, Tomys Citroen Service, die Frisur sitzt. Zwischen Wayne’s World und einem rotweinfarbenen Derivat aus den frühen 90ern steht irgendwas goldenes, und es sieht aus der Nähe nicht ganz so gut aus wie erwartet. Tomy entpuppt sich als sympathischer Restaurator, Citroen-Schrauber und Ludolfs-Belieferer. Viele würden darauf abfahren, wenn das betreffende Auto mal einen Auftritt bei denen hatte, sagt er. Mir ist eigentlich völlig egal, ob das Auto irgendwann einmal von einem der vier dicken Schrottplatz-Brüder mit hohem Unterhaltungswert aus dem Westerwald gefahren wurde, ich interessiere mich vor allem für die Substanz. Ein K70! Nach 30 Jahren stehe ich wieder bewusst einem gegenüber. Er ist genau so alt wie ich, er ist golden. Hallo, Freund.
Ich sitze in ihm. Ich erinnere mich an gar nichts. Es sitzt sich großartig, ein überwältigendes Raumgefühl, riesengroße Fensterflächen, ein Cockpit wie für den S4 oder TT gemacht Und es riecht feucht-muchelig nach Moos und Vernachlässigung.
Wohl meinem unentspannten Gesichtsausdruck gewisse Zweifel entnehmend bietet Tomy an, den Wagen auf die Bühne zu nehmen. Was zunächst daran scheitert, dass der KaSi nur auf 3 wassergekühlten Zylindern läuft. Es werden Kerzen gereinigt und getauscht, und auf einmal ist Leben in dem alten NSU-Motor. Dieses Urgestein, bei dem die Ventildeckel noch mit Metallklammern gehalten werden, versprüht einen gewissen rauhen Charme und eine spröde Zuverlässigkeit. Es rieht nach unkatalysiertem Benzin. Der Auspuff patscht und schnattert, und an DAS kann ich mich irgendwie dann doch erinnern…
Doch viele Kleinigkeiten trüben meine Zuversicht in Richtung Kauf. Hier fehlt eine Zierleiste, da ist ein Blinker zersplittert, dort ist eine Beule oder ein Kratzer. Die Wagenheberaufnahmen sind klassisch durchgerostet, die Frontschürze, die Stoßstangen und die Radkappen sind zerdellt, die Fahrertür ist schlecht nachlackiert. Ein klassischer „Wenn-nicht-jetzt-dann-NIE„-Kandidat, er wird sterben, wenn man sich seiner nicht in den nächsten Monaten annimmt. Ich habe noch nie Algenwuchs an der Innenseite von Scheinwerfern, die mich flehend mustern, gesehen. Aber im Wohnzimmer ist alles klasse. Es muchelt zwar, alles ist aber komplett und alles ist schwarz. Die sagenhafte L-Ausstattung mit Drehzahlmesser, beleuchtetem Zigarettenanzünder, beheizter Hechscheibe und Liegesitzen ohne Kopfstützen!
Ich weiß nicht. Da sehe ich viel Arbeit. Vielleicht ist es eine Übersprungshandlung, aber ich hebel die am schlimmsten zugerichtete Radkappe ab und dengel schweigend in mich gekehrt die Beulen mit einem Gummihammer wieder einigermaßen raus. Karitative Gefühle kommen in mir hoch. Irgendwie liegt mir dieses Auto am Herzen. Ich kann es nicht beschreiben. Da ist er wieder, dieser Drang, etwas kaufen zu wollen, was noch viele Geschichten nach sich ziehen könnte. Wie damals mit meinem gelben 1973er Hüftschwung-Granada-Coupé, wie mit dem maroden Cadillac Eldorado Biarritz oder letztendlich auch dem Audi V8. Aber das sind andere Geschichten. Von Zweifeln zerrissen rechne ich Teilepreise aus, ziehe sie vom ursprünglichen Kaufpreis ab und unterbreite Tomy ein freches Angebot…
Und Tomy geht drauf ein! Neiiiin! Damit habe ich nun wiederum nicht gerechnet. Während Andinho mit meiner Blog-Cam, meinem Telefon und mit seinem 5-Megapixel-Smartphone samt schwindender Akkukapazität Fotos machend durch die verwinkelte Halle hüpft, werde ich mir darüber im klaren, dass ich gerade einen 37 Jahre alten VW-NSU-Exoten kaufe. Dass ich „ja“ gesagt habe. Achje achje. Jetzt heißt es zügig handeln. Der Arbeitskollege von Tomy bekommt die Fahrgestellnummer notiert (die Papiere liegen noch bei der Filmgesellschaft, welche die Ludolfs produziert) und macht sich auf den Weg zur Zulassungsstelle, ein Kurzzeitkennzeichen nebst Versicherung für den Weg nach Kiel zu besorgen. 430 Kilometer. Mir ist nicht wohl.
Neue Scheibenwischer kommen selbstlos drauf, die linke Antriebswellenmanschette ist aufgebrochen und lässt Fett raus, also nicht so schnell fahren. Der Keilriemen jammert und fleht die nagelneue, von mir mitgebrachte 50 Ah Batterie an, die Spannschraube ist ein wenig ausgegniedelt. 13.00 Uhr. Die Frisur sitzt. Immer noch. Andinho weiß nicht so recht, was er sagen soll. Tomys Kaufvertrag ist unterschrieben, viele große und mittelgroße Geldscheine wandern über den Tresen, die Papiere werden nachgesandt. Eigentlich müssen wir nur noch tanken, uns entspannen, vielleicht ein wenig beten und dem Navi die Heimatadresse verraten. Ach. Das Navi. Ja ja.
„Hat der eigentlich ein Radio?“ … „Äh – nee, aber da ist ein großes komfortables Ablagefach…„. Szenen eines Telefonats. Ich soll jetzt ein 37 Jahre altes Auto ohne Radio von Dortmund nach Kiel bringen? Nö. Ich hör mich noch lästern und philosophieren, dass Navigationssysteme zum Navigieren da sind und alle diese neumodernen Sonderfunktionen doch überflüssig seien. Ich verlink das hier jetzt auch nicht, Sie finden das schon 🙂 Ganz nebenbei und kaum darauf hinweisend bin ich in genau diesem Moment froh, dass mein TomTom Go 720 einen mp3-Player integriert hat, der mir von der SD-Karte die profilaktisch draufkopierten Schlager der späten 60er, weiterhin einen Mix aus Dschinghis-Khan, Nena und Truck Stop sowie einige dann doch ernst zu nehmende Alben von A Fine Frenzy, Matchbox Twenty und Paolo Nutini um die Ohren plärren kann. Der Rückweg wird zeigen, was geht. Ach ja, und Kathrin weiß auch den Weg nach Hause. Also rein damit, auch wenn sich der KaSi vielleicht erschreckt…
Wir fahren! 1.6 Liter voran, 4.2 Liter hinterher. Die ersten Passanten zeigen auf das längst vergessene goldene Ding aus Neckarsulm, die zwei mal zwei ursprünglichen Motorradzylinder schnurren, der Keilriemen singt mehr als melodiös und irgendwie riecht es hier nach Bremse. Da müsste doch bei 75 PS noch mehr drin sein? Irgendwas stimmt nicht. Andinho und ich müssen heute noch nach Kiel. Ohne Kopfstützen, aber mit schleifenden Bremsen und singendem Keilriemen. Der Blinker stellt sich nicht von selbst zurück. Die nicht selbstaufrollenden Gurte sind komisch. Der Sitz beißt mich in die linke Pobacke, ich denke ständig, dass ich mein Telefon noch in der Hosentasche habe. *grübel* Immerhin haben wir meine Werkzeugkiste dabei. Aber der Heimweg ist der Grund, warum ich JETZT erst einmal schlafen muss.
Es geht dort etwas ausführlicher um feste Bremsen, flatternde und singende Keilriemen, beißende Sitze, den Jahrhundertstau auf der A1 in einem Auto mit thermischen Problemen (wie mein Papa damals sagte), Musik aus der Vergangenheit und einen Andinho in einem ungleich komfortableren Auro hinter mir. Und Regen. Und Schnee. Und Sonne. Aber das ist eine andere Geschichte, und die schreibe ich erst in den nächsten Tagen, denn ich bin echt müde.
Vielleicht aktivieren Sie mich ein wenig. Was haben Sie schon mit derart alten Autos erlebt? Haben Sie schon einmal eher verkehrswidrig Fahrzeuge von a nach b gebracht? Glauben Sie an ein Happy-End in Kiel mit dem K70 (was bedeuten würde, dass Sie Vertrauen in innovative deutsche Technik von vor 40 Jahren setzen würden)? Glauben Sie auch wie die Ludolfs, dass der Multipla-Fiat einfach nur eine Katastrophe ist? Sie bekommen die Antworten.
Sandmann
Das dein KaSi Promibonus hat ist ja lustig. 🙂 Hoffentlich hat die sympathische Kaotentruppe Uwe und Manni das Goldstück nicht gar zu sehr in Mitleidenschafft gezogen. Ich erinnere mich an einen Teil, da wurde ein schönes Audi Coupe‘ zum Targa enthauptet . aber bei deinem isses ja noch drauf Was mich reizen würde wäre ein schöner Originaler Ford Taunus oder ein Granada. Aber dafür hab ich momentan absolut keinen Platz.
Wer hat da schon Platz für?
Aber wenn es Traumwagen von dir sind, schlag bald mal zu, die werden astronimisch teuer, weil die zu „Kult“ Klassikern erhoben wurden.
Ich habe ja noch mein Granada Coupé, und ich habe sogar ein Plätzchen zum Überwintern gefunden. KaSi in der Garage, V8 davor und der Granada in der Scheune. Und mehr Autos habe ich dann auch nicht 🙂
Die Folge mit den Ludolfs ist übrigens recht sehenswert, weil da der Gegenspieler Multipla Fiat nicht wirklich gut abschneidet. Wasser auf meine Mühlen.
Sandmann