Connected Drive – sind wir schon da?

Längst vorbei scheinen die technologiebefreiten Zeiten, an denen man nach einer längeren Tour mit dem Kraftwagen voller geheuchelter Schamesröte die Verspätung auf veraltetes Kartenmaterial, einen nörgeligen Beifahrer oder womöglich auf eine unvorhergesehene Verkehrssituation schieben konnte. Moderne Navigationssysteme scheinen unbestechlich, holen sich über das Internet immer die neuesten Karten, kennen jeden Stau gefühlt noch vor den Unfallverursachern selbst und wissen ziemlich genau, wann ich vor der Tür stehen werde. Unelektronische Bedienfehler eingeschlossen. BMW hat noch einen drauf gesetzt und ein System geschaffen, was den Fahrer und seinen Lebensraum über das Internet und das Telefon mit seiner Umgebung auf mehreren Ebenen vernetzt. ConnectedDrive. Ich stelle mir hier und heute (noch) nicht die Frage, ob so etwas notwendig ist. Ich probiere es lediglich zwei Wochen lang aus und bringe in Erfahrung, wie es sich anfühlt. Für mich. Als Fahrer…

Was haben wir denn hier eigentlich? Ich zitiere einmal die BMW-Website: „BMW ConnectedDrive ist wie ein persönlicher Assistent für Sie. Er bedient sich der neuesten Technologien. Mit dem Ziel, Sie mit all den Informationen zu versorgen, die Sie wünschen und benötigen‚ wo auch immer Sie mit Ihrem BMW unterwegs sind“.

Beginnen wir mit einem Navigationssystem. Einem SEHR guten Navigationssystem. Ist man die Sprachkennung oder den Touchscreen eines TomTom & Co. gewohnt, maßt die Zieleingabe über den iDrive Knopf altbacken an. Aber nein – schon nach einigen Versuchen gelingt es mir, mein Ziel fast ohne den Blick von der Straße zu nehmen locker mit der rechten Hand in den Bildschirm zu klicken. Das Navi stellt mir nicht nur die Sehenswürdigkeiten in meiner Nähe in 3-D-Gebäuden dar, es meldet auch alle über den Verkehrsfunk hereingekommenen Staus, zeigt sie mir im Splitscreen-Verfahren an, schlägt mir (auch grafisch angezeigte) Alternativen vor. Und wenn ich während der Zielführung (bis Finnland sind es übrigens, wenn man „Fähren vermeiden“ eingibt, entspannte 2800 Kilometer) lieber von der eingebauten Festplatte meine eigene Musik hören möchte, wird über das Head-Up-Display auf der Windschutzscheibe alles Wissenswerte zur Routenplanung dezent und unaufdringlich angezeigt. So konnten wir einen Rückstau an der Elbfähre Glückstadt/Wischhafen von 2 Stunden umgehen, indem wir alternativ nach Sankt Peter Ording fahren. Ist ja auch ganz nett, so ein bisschen Nordsee. Beide Daumen hoch. Dieses Navi überzeugt mich.

Aber Navi können die anderen auch.

Wie ein geübter Pianist ertaste ich ein paar Tage später fast blind das Menü und wähle die BMW Dienste. Hier befindet sich das kommunikative Zentrum meiner Selbst, meines Autos und meiner Ziele. Hier finde ich Informationen über mein Auto, hier kommen meine über Google Maps am Heim-PC ausgesuchten Ziele (und als E-Mail-versendete) Navi-Etappen an, hier finde ich eine Support- und Auskunftshotline und einen Internetzugang. Gewürzt wird alles durch die SOS Taste im Wagenhimmel, über die umgehend ein Notruf abgesetzt und die Fahrzeugkoordinaten weitergegeben werden. Die Hotline schlägt mir vor, auch das einmal zu testen und bei Verbindung umgehend klar zu machen, dass es sich nur um einen Test für autobild.de handle… Aber da hatte ich dann doch zu großen Respekt. Von meinem regelmäßig wiederkehrenden Alptraum über einen lebenswichtigen Notruf, den ich nicht absetzen kann, mal ganz abgesehen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Schauen wir doch mal, ob das, was mir die Hotline so alles vorgeschwärmt hat, wirklich so einfach ist. Ich rufe über das eingebaute Autotelefon gebührenfrei den BMW Auskunftsdienst an. Man muss dazu sagen, dass in diesem Moment einige Daten über das Auto und seinen Standort übertragen werden. Aber für Volkszählungsboykottierer würde ich einen BMW 750 Li ohnehin nicht empfehlen. Dem unfassbar freundlichen Mann am anderen Ende der Republik erläutere ich, dass ich gern zur Martini Bar in Rendsburg möchte. Da feiert nämlich „Seine Kleine Schwester„, eine Freundin von mir, heute ihren Geburtstag. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, wo genau das da ist. Wer will schon nach Rendsburg? Der gut gelaunte Bayer recherchiert mir das Ziel, schlägt Parkmöglichkeiten in der Nähe vor und sendet sie zu meinem Auto. Ob er noch etwas für mich tun könne? Nein, für heute war das schon eine große Hilfe, denn die Innenstadt von Rendsburg birgt viele Geheimnisse, die sich mir mit diesem freundlichen Individuum in München ein wenig mehr erschließen können.

Tja. Dieses Auto kann nicht nur E-Mails bekommen, sondern auch Nachrichten aus jenem München. Und die beinhalten die gewünschten Zielkoordinaten. Das alles hat nun keine 2 Minuten gedauert. Okay, was mein münchener Gegenüber nicht wusste: In Rendsburg lief gerade die „Stadtwette“ unseres Lokalsenders NDR, von daher war mit den vorgeschlagenen Parkplätzen kein Blumentopf zu gewinnen. Aber dieser Service ist mir dennoch sehr sympathisch. Die Hotline wird für drei Jahre mit dem System zum Fahrzeug dazu gekauft. Der telefonische Auskunftsdienst recherchiert außerdem Hotels in vordefinierten Preiskategorieen, Restaurants, Sehenswürdigkeiten… eben alles, was Sie gern entlang Ihrer Route noch abklappern möchten. Weiterhin bietet BMW geführte Touren an, die über das Navi zu besonderen Orten und Plätzen leiten und eine kleine Rundreise zeichnen, wenn man das möchte. Allerdings nicht in Norddeutschland. Da besteht noch Nachbesserungsbedarf 🙂

Showtime. Ich höre und lese immer „Internet„. Vorn nur im Stand, über das gleiche System im Fond und über zwei in den Sitzen integrierten Monitoren aber auch während der Fahrt lassen sich (mit Google als Startseite…) über den iDrive Suchbegriffe eingeben. Ich als täglicher Anwender von Touchpad und Maustasten finde die Bedienung über die herausgefischten Buchstaben und den wie mit einem Joystick bewegten Mauszeiger sehr mühsam, bis ich mir wieder einmal klar mache, dass ich hier in einem AUTO sitze. Mir fällt eine Szene ein. Es war so um 1993. Mein Freund Heiko hatte als einer der ersten um mich herum in seinem Golf II ein C-Netz Telefon, und ich rief eines Abends eine Freundin aus diesem Auto heraus an. „Hey, rate mal, von wo aus ich dich gerade anrufe?! – Aus Heikos AUTO!!!“ „Waaaas? Abgefahren!“ „Ja, das ist doch echt krass oder???“ Heiko: „Mach mal langsam Schluss, das ist extrem teuer!“. Das ist erst 15 Jahre her. Heute kann ich mich nicht zwischen Internet, den Privatsendern und einer DVD aus dem 6-fach-Wechsler entscheiden. Kinder Kinder, was geht denn hier alles noch?

Aber ich habe mich gehen lassen. Wo waren wir? Ach ja – Internet. Nun, das funktioniert. Über das Mobile Office könnte ich mir noch meine Kontakte und meine Mails auf das Auto routen lassen, aber so weit geht meine Liebe heute nicht. Er gehört ja nicht mir. Auch die Bluetoothverbindung zum Handy, das Kopieren der Telefonbücher und die Telefonie selbst klappt (wie schon zuvor beschrieben) einwandfrei. Eingehende SMS werden auf Wunsch auf dem Display angezeigt. Während der Fahrt ist es nebenbei möglich, sich Informationen über den Zielort, das Wetter am Zielort (mit 4-Tages-Prognose) oder schlicht die neuesten erschütternden Nachrichten auf dem Bildschirm anzeigen zu lassen. Hier macht es sicher Sinn, einmal die Bedienungsanleitung zu studieren, sicherlich geht noch sehr viel mehr. Und mich wundert auch nicht, dass die während der Fahrt recherchierte Schanzenviertel-Kneipentour meiner Freundin auf einmal als (zum Glück ignorierte) Zielkoordinate im Navi ist. Da hat sie wohl irgendwo den falschen Knopf gedrückt. Oder den richtigen. Wer kann das schon so genau sagen?

Nach einigen Tagen in diesem Auto komme ich langsam zu dem Schluss, dass es wie geschaffen für Menschen ist, die täglich lange Strecken zurück legen müssen. Ich bin so einer nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass sowohl der Komfort als auch das Entertainment des ConnectedDrive in dieser Disziplin punkten können. Der abschließende Test: Ich lasse den freundlichen Herren in München die Adresse meines Freundes Jan in Flensburg heraussuchen. Da soll heute Abend Einweihungsparty sein, und ich brauche noch einen Parkplatz für das Auto. Alles funktioniert bestens, auch der Wetterbericht orakelt mir eine ruhige Nacht. Man könnte an dieser Stelle über die totale Vernetzung nachdenken, speziell über einen Internetdienst wie Google. Ich kann nur berichten, dass das, was ich ausprobiert habe, einwandfrei funktioniert und mich bei meinen eigenen Zielsetzungen immer da hin gebracht hat, wo ich hin wollte. Und dass die diversen Eierliköre mit Jan auf dem Rücksitz des BMW, während Vienna Teng zur rötlichen Ambient-Beleuchtung „Nothing without you“ durch das Surround-System hauchte, zu einem der Highlights meines Abends gehörten.

ConnectedDrive bietet BMW nicht nur in seinen Oberklasse-Modellen an. Es ist in allen Modellen erhältlich. Wer die angesprochenen Features auf häufigen, langen Reisen benötigt, dem spreche ich meinen Segen aus. Es macht Spaß, es unterhält und es bringt einen ans Ziel. Aber ich habe auch schon in den 80ern keine Barrikaden angezündet, weil jemand von oben wissen wollte, ob ich da bin. Im Zeitalter von Google Maps und Facebook ist dieses System im Trend. In einem Auto. Man lasse es sich auf der Zunge zergehen.

Ich gewöhne mich jetzt wieder an meinen 16 Jahre alten Audi. Aber ich denke dabei an den Abend in Flensburg, auf dem Rücksitz, mit Likör und Vienna Teng. Was denken Sie?

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

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